Die Erbinformation im menschlichen Genom wird in Proteine übersetzt, die letztlich die biologischen Funktionen im Organismus ausführen. Wie exakt jedoch die Regulierung dahinter abläuft, lag bisher im Dunkeln. Nun konnten Prozesse dieser Regulation identifiziert werden.
Eine wichtige regulatorische Rolle spielt dabei die Boten-RNA (mRNA), welche als molekulare Übersetzungsvorlage dient. Wissenschaftler des Helmholtz Zentrums München und der Technischen Universität München haben in Zusammenarbeit mit internationalen Kollegen nun den molekularen Mechanismus entschlüsselt, der die spezifische Erkennung von mRNA vermittelt und wesentlich dazu beiträgt, die unterschiedliche Genregulation in männlichen und weiblichen Organismen zu verstehen.
Die Anzahl der Gene von Mensch, Maus, und Fruchtfliege ist mit etwa 20.000 fast identisch und kann alleine die Unterschiede zwischen den Organismen nicht erklären. Für die Evolution ist also nicht nur die Genzahl, sondern wesentlich auch die Regulation der Gene entscheidend. Beim Ablesen der DNA entsteht zunächst mRNA, die anschließend als Vorlage für die Herstellung von Proteinen dient. Die Proteinherstellung wird dabei reguliert, indem regulatorische Proteine an die mRNA binden. Wie diese Proteine die RNA spezifisch erkennen, ist aber bislang im Wesentlichen unverstanden. Ein internationales Team unter Federführung des Helmholtz Zentrums München und der Technischen Universität München hat nun die Raumstruktur eines solchen regulatorischen Protein-RNA-Komplexes bestimmt. Dazu kombinierten sie Röntgenstrukturanalyse und NMR Spektroskopie, durchgeführt vom Münchner Team, mit Kleinwinkelstreuungs-Untersuchungen, die am Institut Laue-Langevin in Grenoble stattfanden. Die Wissenschaftler untersuchten am Modell der Fruchtfliege die Bildung eines spezifischen Komplexes der regulatorischen Proteine Sxl (Sex-lethal) und Unr (Upstream-of-N-Ras) mit Boten-RNA. Dieser Proteinkomplex sorgt dafür, dass die Expression von Genen, die auf dem einzigen X-Chromosom (XY) bei männlicher Fruchtfliegen lokalisiert sind, doppelt so hoch ist wie bei den X-Chromosomen in weiblichen (XX) Fruchtfliegen. Dadurch wird eine vergleichbare Proteinkonzentration erreicht, die für die Fruchtfliegen lebensnotwendig ist.
Die Raumstruktur des Protein-RNA Komplexes zeigt nun, wie mehrere Proteine zusammenarbeiten, um eine hochspezifische Erkennung der mRNA zu ermöglichen. „Unsere Ergebnisse stellen ein Paradigma für die Regulation vieler essentieller zellulärer Prozesse auf der Ebene der Boten-RNA dar“, erklärt Prof. Dr. Michael Sattler, Leiter des Instituts für Strukturbiologie am Helmholtz Zentrum München. Die spezifische Erkennung der Boten-RNA wird durch die Kooperation mehrerer RNA-bindender Proteine ermöglicht, obwohl jedes der beteiligten Proteine für sich alleine weniger spezifisch mit RNA wechselwirkt und an der Regulation anderer Zellprozesse beteiligt ist. Durch die Kombination mehrerer Proteine kann so eine Vielzahl von biologischen Prozessen auf der Ebene der mRNA mit einer relativ kleinen Zahl von regulatorischen RNA-bindenden Proteinen reguliert werden. Die Autoren gehen davon aus, dass dieses Prinzip einen essentiellen und weitverbreiteten Mechanismus der Genregulation in allen höheren Organismen darstellt. Mutationen bzw. Missregulation der beteiligten Proteine können dementsprechend die Entstehung von Krankheiten zur Folge haben. Originalpublikation: Structural basis for the assembly of the Sxl-Unr translation regulatory complex Janosch Henning et al.; Nature, doi: 10.1038/nature13693; 2014