Anaerobe Bakterien der Art Clostridium novyi fühlen sich in sauerstoffarmem Tumorgewebe pudelwohl und zerstören genau die Bereiche, die mit klassischen Behandlungsmethoden nicht erreicht werden können. Erste Versuche an Tieren und Menschen geben Hoffnung.
Die klassische Chemotherapie oder die Bestrahlung haben bei der Behandlung von Krebs ihre Grenzen. Beiden Methoden gelingt es häufig nicht, tief ins Innere der Tumore, in die schwach durchbluteten und sauerstoffarmen Bereiche, vorzudringen. Doch Bakterien der Art Clostridium novyi, die nur in Abwesenheit von Sauerstoff wachsen, können genau diese Krebszellen zerstören und dadurch Tumore in Ratten, Hunden und sogar einem Menschen zum Schrumpfen bringen. Diese Ergebnisse wurden vor Kurzem in Science Translational Medicine veröffentlicht. „Wir haben vielversprechende Hinweise darauf, dass dieses Bakterium dazu benutzt werden könnte, bestimmte inoperable Tumore zu behandeln“, sagt Saurahb Saha, Autor der Studie, in einer Pressemitteilung. „Das könnte Patienten Hoffnung geben, die keine anderen Optionen mehr haben.“ Gerade bei Hirntumoren ist auch eine vollständige operative Entfernung oft nicht möglich, zu tief sitzt die Erkrankung im lebenswichtigen Nervengewebe. C.novyi jedoch findet die entarteten Zellen effektiver als ein Chirurgenskalpell es könnte – und frisst sie einfach auf.
Damit das möglichst nebenwirkungsfrei vonstattengeht, veränderten die Wissenschaftler zunächst das Bakterium C. novyi so, dass es keine giftigen Stoffe mehr produziert. Aus C.novyi wurde C.novyi-NT, für nicht-toxisch. Dann injizierten sie diese Bakteriensporen direkt in die künstlich eingebrachten Hirntumore von Ratten. Die Sporen selbst sind inaktiv, erst bei Erreichen von sauerstofffreier Umgebung fangen die Bakterien an zu wachsen, die Zellen zu infizieren und schließlich aufzulösen. Tatsächlich wuchsen die Bakterien extrem präzise nur im Tumorgewebe und verschonten die gesunden Zellen, die sich nur wenige Mikrometer entfernt befanden. Auch mikroinvasive Tumorzellen, die tief im gesunden Hirngewebe saßen, wurden zuverlässig aufgespürt. Nicht zuletzt sorgten die Bakterien dafür, dass das Immunsystem sich in die Vernichtung der entarteten Zellen einschaltete. Die mit Bakteriensporen behandelten Nagetiere hatten folglich eine bedeutend höhere Überlebensrate als ihre Artgenossen ohne C.novyi-Therapie.
Doch die Ergebnisse von Nagetieren sind nicht immer auf den Menschen übertragbar. Tumore bei Hunden hingegen ähneln menschlichen Tumoren viel stärker, die Anzahl der genetischen Mutationen und das Spektrum der Mutationen sind vergleichbar. Deshalb rekrutierten die Forscher 16 Hundehalter, deren vierbeinige Freunde spontane Tumore aufwiesen. In diese injizierten sie ein bis vier Mal 100.000 Sporen von C.novyi-NT im Abstand von je einer Woche. Bei drei Hunden verschwand der Tumor komplett, bei ebenso vielen schrumpfte er beträchtlich. Die Behandlung zeigte also bei mehr als einem Drittel der Tiere Erfolge. Die Nebenwirkungen waren meistens nur schwach ausgeprägt und äußerten sich vor allem in Entzündungen an der Einstichstelle.
Auch eine Patientin hat sich bereits im Rahmen einer Phase-1-Studie dieser Behandlung unterzogen. Sie litt an einem retroperitonealen Leiomyosarkom und hatte bereits mehrere Chemo- und Strahlentherapien sowie operative Tumorentfernungen hinter sich – alles ohne Erfolg; statt den Tumor zu bezwingen, hatten sich nach der Behandlung zahlreiche Metastasen gebildet. In eine dieser Metastasen in der Schulter spritzten die Ärzte 1.000 C.novyi-NT-Sporen. In den ersten Tagen traten lokal starke Schmerzen und hohes Fieber von bis zu 39,2 °C auf. Doch trotz der wesentlich geringeren Sporenzahl konnte bereits am dritten Tag eine großflächige Zerstörung des Tumors beobachtet werden. Die Patientin wird weiterhin überwacht und hat zurzeit Status 1 auf der Skala der Eastern Cooperative Oncology Group (ECOG). „Im Verlauf der Phase-1-Studie wird es interessant sein zu sehen, ob eine höhere Sporen-Dosis auch entfernte Metastasen angreift, entweder direkt durch die Ausbreitung der Sporen im Blutkreislauf oder durch eine Immunantwort“, schreiben die Autoren. Doch eine Behandlung mit Bakteriensporen wird immer auch an eine Chemo- oder Strahlentherapie gekoppelt sein. Da die Bakterien nur im sauerstoffarmen, nekrotischen Gewebe wachsen und gedeihen, verschonen sie die gut durchbluteten Randgebiete der Tumore. „Wir befinden uns noch in einem frühen Stadium und müssen die Sicherheit und Wirksamkeit der Behandlung sowie die Wechselwirkungen mit anderen Krebstherapien weiter untersuchen“, sagt Saurabh Saha.