Gefährdungen für die Lendenwirbelsäule beginnen bereits bei bislang als unbedeutend geltenden Arbeitstätigkeiten. Dies geht nun aus den Daten der DWS-Richtwertestudie hervor, die die individuelle kumulative Belastung bestimmt hat.
Die DWS-Richtwertestudie basiert auf den Daten der sogenannten Deutschen Wirbelsäulenstudie (DWS), der bislang größten wissenschaftlichen Untersuchung zum Zusammenhang von berufsbedingten körperlichen Belastungen als mögliche Ursache von eindeutig definierten Wirbelsäulenerkrankungen. Für insgesamt 1.200 Personen mit und ohne Erkrankungen wurden die individuellen Belastungsangaben zu Körperhaltungen und Lastgewicht sowie die jeweilige Dauer und Häufigkeit für das gesamte Berufsleben ermittelt. Daraus wurde die individuelle kumulative Belastung der Lendenwirbelsäule bestimmt und für die epidemiologischen Analysen des Dosis-Wirkung-Zusammenhangs mit den festgestellten Erkrankungen verwendet. Bislang war man beispielsweise davon ausgegangen, dass relevante Risiken erst bei Tätigkeiten mit einer extrem vorgebeugten Haltung – einer Rumpfvorneigung von 90° – auftreten. Jetzt wurde festgestellt, dass auch weniger stark gebeugte Haltungen mit einem Vorneigen ab etwa 45° ein Gefährdungspotential aufweisen. Auch die „Relevanzschwellen“ für die Tagesdosis (die aufsummierte Belastung der Lendenwirbelsäule über einen Arbeitstag) sollten aufgrund der neuen Ergebnisse für Männer auf etwa ein Drittel reduziert werden, für Frauen sogar auf ein Siebtel – bezogen auf früher verwendete Werte. Allerdings wurde damit auch bestätigt, dass im Sinne einer „Erholung über Nacht“ aus wissenschaftlicher Sicht eine Mindestschichtbelastung vorliegen muss, um schädigungsrelevant zu sein – im Gegensatz zu derzeit geltenden juristischen Vorgaben. Das Überlastungsrisiko beginnt also in Bezug auf die Schwere des Lastgewichts, den Grad der Rumpfbeugung sowie die Auftretenshäufigkeit von Belastungen früher als gedacht. Und schließlich stellte sich heraus, dass bislang unberücksichtigte Tätigkeiten wie Ziehen und Schieben, Werfen und Fangen sowie andere große Kraftanstrengungen ebenfalls in die Risikoermittlung einfließen sollten.
Daraus ergibt sich die Schlussfolgerung, den Rücken bewusst und schonend einzusetzen, auch wenn es sich subjektiv um einen leichten Belastungsfall zu handeln scheint. Gleichwohl sind körperliche Belastungen zum Erhalt der Gesundheit und zur Steigerung der Leistungsfähigkeit natürlich auch geradezu angeraten und sinnvoll, um das Risiko für Fehlbeanspruchungen und Überlastungen zu verringern. Die Ergebnisse der nun vorliegenden Richtwertestudie deuten darauf hin, dass in Feststellungsverfahren zu bandscheibenbedingten Erkrankungen nach der Berufskrankheitenverordnung solche bislang als unkritisch angesehenen Belastungen zukünftig in die Bestimmung der lebenslangen berufsbedingen Belastungsdosis miteinbezogen werden sollten. Originalpublikation: Erweiterte Auswertung der Deutschen Wirbelsäulenstudie Matthias Jäger et al.; Zentralblatt für Arbeitsmedizin, Arbeitsschutz und Ergonomie, doi: 10.1007/s40664-014-0032-6; 2014