Ein Brustkorb, der Einblicke in die lebende Lunge gibt – während das Organ in Aktion ist. Wozu das gut ist, erfahrt ihr hier.
Um Lungenkrankheiten zu diagnostizieren, nutzen Mediziner bildgebende Verfahren wie MRT und CT oder histologische Analysen. Doch wenn es darum geht, Erkrankungen wie Krebs und Infektionen im Frühstadium zu untersuchen, dann stoßen Forscher mit diesen Werkzeugen schnell an ihre Grenzen. Eine neue Erfindung von Biomedizin-Ingenieuren des Boston University's College of Engineering könnte da weiterhelfen. Ihr „Kristall-Brustkorb“ liefert detaillierte Echtzeitinformationen und ermöglicht es, die Lungenfunktion von Mäusen auf zellulärer Ebene zu untersuchen – während das Organ in Aktion ist.
Und so funktionierts: Die Forscher transferierten eine intakte Mauslunge in einen künstlichen Brustkorb aus biokompatiblem Material, das ähnliche Eigenschaften aufweist, wie echte Rippen – dabei aber durchsichtig ist. Die Lunge wurde anschließend mit Überdruck belüftet, um eine mechanische Beatmung zu simulieren oder mit Unterdruck, um die Spontanatmung zu simulieren. Um die Lungenzellen mit Nährstoffen zu versorgen, umspülten die Wissenschaftler die Lunge mit Blut oder speziellen Nährmedien.
Immunzellmigration in Alveolen, die in Echtzeit durch den Kristall-Brustkorb abgebildet werden. Credit: Banerji et al.
Auf einem Mikroskopier-Tisch platziert, lässt sich die Lunge beobachten, während sie ihre physiologische Funktion beibehält. So können auch die dynamischen Vorgänge in der Lunge in Echtzeit sichtbar gemacht werden, die bildgebende Verfahren nicht abbilden können, wie z. B. den Zellverkehr und den Blutfluss. Das Modell ermöglicht es den Wissenschaftlern auch, verschiedene Parameter anzupassen, um die resultierenden Veränderungen in der Lungenstruktur und -funktion zu beobachten, etwa mittels Zugabe von Medikamenten oder Anpassung der Atemfrequenz.
Mit dem Kristall-Brustkorb wollen die Wissenschaftler mehr über die Entstehung von Lungenkrankheiten herausfinden. In ersten Untersuchungen haben sie beispielsweise den Umbau der Alveolar- und Kapillarfunktionen bei primärem und metastasiertem Lungenkrebs, bakteriellen Infektionen, Lungenfibrose, Emphysem und akuten Lungenverletzungen sichtbar gemacht.
Für die Forscher geht es über das Wissen der Krankheitsentstehung hinaus: Möglicherweise hilft der gläserne Brustkorb auch dabei zu verstehen, warum eine Lunge außerhalb des Körpers nur für etwa 6 bis 8 Stunden lebensfähig ist – was ein großes Problem bei Organtransplantationen ist. Auch beim Thema Tissue Engineering könnte der durchsichtige Brustkorb in Zukunft eine Rolle spielen, um die Funktion des Lungengewebes auf zellulärer Ebene bewerten zu können.
Quelle:
Banerji et al.: Crystal ribcage: a platform for probing real-time lung function at cellular resolution. Nat Methods, 2023. doi: 10.1038/s41592-023-02004-9
Bildquelle: Marc Schulte, Unsplash