Es klingt kurios: Typ-2-Diabetiker, die allein mit Metformin behandelt werden, scheinen länger zu leben als Nicht-Diabetiker. Wissenschaftler sehen darin die Vermutung bestätigt, dass der Wirkstoff mehr leistet, als nur den Blutzuckerspiegel zu senken.
Diabetiker, die mit Metformin behandelt werden, leben statistisch gesehen länger als Gesunde. Zu diesem Ergebnis kam eine retrospektive Studie mit 180.000 Teilnehmern mit Daten des UK Clinical Practice Research Datalink aus dem Jahr 2000. Ausgangspunkt der Untersuchung waren Beobachtungsstudien, die gezeigt hatten, dass Diabetiker, die mit Metformin behandelt wurden, ein geringeres Risiko haben, kardiovaskuläre Erkrankungen zu erleiden und früher zu sterben, als Patienten, die mit Sulfonylharnstoffen therapiert werden. Klar war aber nicht, ob dieses Phänomen möglichen positiven Eigenschaften von Metformin oder möglichen negativen Eigenschaften der Sulfonylharnstoffe zuzuschreiben ist.
Metformin wird in den US-amerikanischen und europäischen Leitlinien als First-Line-Therapie zur Behandlung eines Typ-2-Diabetes empfohlen. Sulfonylharnstoffe werden nur dann als Einzelmedikament eingesetzt, wenn Metformin kontraindiziert ist. Sie können jedoch mit Metformin und anderen Antidiabetika kombiniert werden. Der Einsatz von Sulfonylharnstoffen in der Diabetestherapie hat zwar in den letzten Jahren nachgelassen, spielt aber nach wie vor eine Rolle. Diese Substanzklasse erhöht allerdings das Risiko einer Gewichtszunahme und von Unterzuckerung.
In der Datenbank fanden die Wissenschaftler 78.241 Patienten, die Metformin als First-Line-Therapie eingenommen hatten. 12.222 Patienten wurden auf diese Weise mit Sulfonylharnstoffen behandelt. Die Lebensdauer dieser Patienten verglichen die Forscher mit der von Menschen, die nicht an einem Diabetes erkrankt waren. Faktoren wie Alter, Geschlecht, Raucher und Vorerkrankungen wurden dabei berücksichtigt. „Was wir gesehen haben, war aufschlussreich“, so Studienleiter Craig Currie von der School of Medicine der Cardiff University in Großbritannien, und weiter: „Patienten, die mit Metformin behandelt wurden, hatten einen kleinen, aber statistisch signifikanten Überlebensvorteil gegenüber der Gruppe der Nicht-Diabetiker.“ Die Überlebenszeit von Nicht-Diabetikern war 15 Prozent geringer als die der Patienten, die mit Metformin behandelt worden sind. Patienten, die mit Sulfonylharnstoff behandelt wurden, hatten eine um 38 Prozent verkürzte Lebensdauer gegenüber den mit Metformin behandelten Diabetikern. „Das entspricht den Tatsachen, ohne dass wir die Statistik dafür clever manipuliert haben!“, so Currie. Ein mögliches Manko der Studie ist die Tatsache, dass diese durch das Pharmaunternehmen AstraZeneca finanziert wurde und Konzerninteressen hier – wenn nicht direkt, so doch zumindestens indirekt – mit einiger Sicherheit intendiert sind. Der Konzern hatte Anfang des Jahres die Diabetes-Sparte von Bristol-Myers Squibb übernommen und ist bemüht, sein Diabetes-Engagement auszubauen.
Vor diesem Hintergrund sind die Hinweise der Studienautoren auch mit Vorsicht zu genießen: Demnach könne Metformin auch für Menschen sinnvoll sein, die nicht an einem Diabetes leiden. Dass der Wirkstoff vor Krebs schützen könnte, wird bereits seit einigen Jahren vermutet. Auch ein Schutz vor kardiovaskulären Erkrankungen wird Metformin nachgesagt.
„Das bedeutet allerdings nicht, dass Menschen mit einem Typ-2-Diabetes sich zurücklehnen können. Ihre Krankheit wird voranschreiten und die Behandlung typischerweise auf aggressivere Mittel umgestellt werden. Ein vernünftiges Gewicht und moderate Bewegung sind immer noch die besten Mittel, das Fortschreiten eines Typ-2-Diabetes hinauszuzögern“, so Currie. In weiteren Versuchen wollen die Wissenschaftler nun herausfinden, welche mögliche Anschlusstherapie für Patienten mit Metformin als First-Line-Therapie sinnvoll sein könnte, um deren günstige Lebenserwartung beizubehalten. Denn eine effektive Blutzuckerkontrolle ist für Diabetiker unumgänglich, um das Risiko für Folgeerkrankungen wie Schlaganfälle oder Erkrankungen der Herzkranzgefäße zu minimieren.
Insgesamt ist die Datenlage zu positiven Nebeneffekten von Metformin nicht ganz so eindeutig wie in der aktuellen Studie. Es gibt zwar zahlreiche weitere Observationsstudien, in denen die Beobachtungen der Forscher bestätigt wurden, andererseits kam eine Metastudie zu einem gegenteiligen Ergebnis: Metformin habe weder krebspräventive noch lebensverlängernde Eigenschaften. Weitere Untersuchungen werden diesbezüglich Klarheit bringen müssen, bevor eine wissenschaftlich valide Aussage möglich ist.