Was ich als Landärztin nicht will: Dass meine 80-jährigen Patienten sechs Kilometer zur nächsten Apotheke laufen müssen. Jetzt kommt aber das E-Rezept – und bringt jede Menge Probleme.
Es gibt eine Menge Dinge, die auf dem Land sicher schwieriger sind als in der Stadt. Ein häufiges Problem sind längere Wege, vor allem für ältere Patienten. Denn viele möchten eigentlich nur noch möglichst wenig mit dem Auto unterwegs sein. Aber sechs bis acht Kilometer laufen zum Arzt oder zur Apotheke ist natürlich auch oft keine Option.
Unsere Lösung: Wir versuchen mit den Apotheken zu kooperieren, damit weniger Wege nötig sind. Für die Patienten, die das wollen, holen die Apotheken mittags die Rezepte ab, die die Patienten vorher telefonisch bestellt haben. Diese Patienten können dann ihr Medikament in der Apotheke abholen oder sogar nach Hause gebracht bekommen. Das war übrigens auch ein großer Vorteil während der Corona-Pandemie, existiert aber als Kooperation schon länger und meines Wissens nach auch in allen Praxen hier im Umkreis und wahrscheinlich in den meisten Kreisen.
So weit, so gut. Jetzt kommt aber das E-Rezept. Und damit ergibt sich ein Problem, was ich auch vor kurzem schon mit den Apotheken diskutiert habe: Denn für die Einlösung des E-Rezeptes mittels Gesundheitskarte muss der Patient auf jeden Fall in die Apotheke.
Wir können natürlich den Ausdruck des E-Tokens mit in die Apotheke geben, aber dadurch ergibt sich eine etwas paradoxe Situation: Anstatt eines Din-A6-Zettels (beim bisherigen Rezept) muss ich dann eine Din-A5-Seite (beim E-Token) ausdrucken. Damit meine 80-Jährige das Auto weiterhin stehen lassen kann und nicht extra zur Apotheke fahren muss. Oder sie benutzt mal eben die gematik-App. Von der ich mit Fug und Recht sagen kann, dass ich bisher noch NIEMANDEN getroffen habe, der sie hat. Wenn möglich auf ihrem nagelneuen NFC-fähigen Smartphone. Mal ehrlich: Wie viele 80-Jährige können das? Wohl dem, der ein Familiennetzwerk samt digital native Enkeln hat.
Hat hier schon mal jemand die E-Rezept-App der gematik versucht? Mir graut es schon vor dem Telefonsupport, den wir dann geben dürfen, wenn es mal wieder nicht geklappt hat mit der App und dann die Patienten bei uns anrufen und doch „noch eben den Ausdruck an die Apotheke gefaxt“ haben wollen. Oder wir sie dann per Telefon durch ihre App lotsen sollen. Es gibt ja sonst nichts zu tun.
Wir sehen das aktuell bei der eAU – das mit „total-digital“ klingt super, aber letztlich drucken wir immer noch mindestens ein Drittel der AU aus (eher mehr), weil das oft auf Arbeitgeberseite noch nicht klappt und die Patienten die AU noch zusätzlich einscannen und mailen.
Das andere ist das leidige Thema Signieren. Unser Computerprogramm bietet (wie die meisten) ja die sogenannte „Komfort-Signatur“ und „Stapelsignatur“ an. Das heißt letztlich, dass man nicht für jedes einzelne Rezept die achtstellige PIN in das Lesegerät eingeben muss. Mit wechselnden Anordnungen der Ziffern, also dauert es immer etwas länger, weil man ständig schauen muss, wo die Ziffern jetzt wieder sind.
Zunächst einmal ein Vorteil. Aber letztlich ist die „Komfort-Signatur“ nichts anderes, als dass man morgens 250 Rezepte blanko signiert, damit es dann im Praxisalltag schneller geht – nur schnell das Passwort eingegeben, dann geht das Rezept (oder eben der Stapel an Rezepten) raus.
Ich finde das etwas seltsam: Wir wurden bisher immer wieder darauf hingewiesen, dass Blanko-Rezepte unzulässig sind. Stets unter Androhung juristischer Konsequenzen. Aber wo bitte ist denn da der Unterschied? Andererseits wird das die einzige Möglichkeit sein, das E-Rezept überhaupt praktikabel zu machen – denn so schnell, wie ich unterschreibe, kann ich nie im Leben diese achtstellige PIN eingeben. Mal ganz davon abgesehen, dass ich dann ja auch in jedem Zimmer ein Kartenlesegerät brauche, wo ich dann jedes Mal meinen Arztausweis reinstecke. Das wären für unsere Praxis dann ZUSÄTZLICH 5 Lesegeräte oder wir müssten jeweils aus dem Raum in einen anderen Raum laufen. Also ob das jetzt der Weisheit letzter Schluss ist?
Ich würde manchmal gern Herrn Lauterbach in unsere Praxis einladen und ihn mal unsere Arbeitsabläufe ansehen lassen. So wie gestern mit 160 Leuten an einem Vormittag. Und mir dann zeigen lassen, wie er das machen würde. Wir haben alles an Arbeitsabläufen so optimiert, dass wir diese Patientenzahlen noch so versorgen können, dass die Wartezeiten möglichst gering sind, aber noch Zeit für Menschlichkeit und ein (kurzes) persönliches Gespräch bleibt. Gerade Dinge wie der e-Arztbrief helfen uns da sehr, weil die Zuordnung schneller geht und das obligatorische Einscannen entfällt. Aber beim E-Rezept sehe ich da definitiv noch Verbesserungsbedarf im Ablauf. Ebenso wie beim Medikationsplan, der oft nur vom (ungeknickten!) Original ablesbar ist, was letztlich doch meistens dazu führt, dass wir alles manuell nochmal eingeben müssen.
Aber tatsächlich gab es auch schon eine Situation, in der das E-Rezept mal ganz kurz seine Stärke ausspielen konnte: Eine Apotheke aus einer weiter entfernten Nachbargemeinde rief an, weil die Patientin dort versucht hatte, ihr Rezept einzulösen, aber das Medikament (mal wieder) nicht lieferbar war. Da die Patientin noch direkt vor der Apothekerin stand, konnten wir das dann mittels E-Rezept sehr elegant lösen, weil ich das E-Rezept für das Ersatzmedikament direkt nach telefonischer Rücksprache rüberschicken konnte. Jetzt müssen wir „nur“ noch die anderen Abläufe alle alltagstauglich machen, dann kann das auch irgendwann eine Erleichterung sein ...
Bildquelle: erstellt mit Midjourney