Morbus Parkinson lässt sich womöglich erkennen, noch bevor klinische Symptome auftreten. Was ein tiefer Blick in die Augen verrät, lest ihr hier.
Tremor, Rigor, Akinese und posturale Instabilität sind bekannte, typische Symptome der Parkinson-Krankheit. Treten solche Beschwerden auf, haben Neurologen wenig Handlungsspielraum. Gegen den langsam fortschreitenden Verlust Dopamin-produzierender Neuronen gibt es keine kurative Therapie. Mechanismen, die zum Untergang der Nervenzellen führen, sind immer noch Thema der Forschung.
Doch wo liegt das Problem? Ein Grund ist, dass Symptome der Erkrankung erst auftreten, wenn rund 55 bis 60 % aller Dopamin erzeugenden Zellen, vor allem in der Substantia nigra, abgestorben sind – dann ist der Krankheitsprozess bereits seit einiger Zeit im Gange.
Allerdings hoffen Wissenschaftler, die Krankheit auf einem früheren Level zu stoppen oder gar zu heilen. Nur: Dazu müssten sie Patienten in frühen Stadien – möglichst vor den ersten Symptomen – identifizieren, um Wirkstoffe in klinischen Studien zu testen. Genau das könnte in absehbarer Zeit gelingen.
Forscher um Siegfried Karl Wagner vom Institute of Ophthalmology am University College London sind dieser sehr frühen Diagnosemöglichkeit einen großen Schritt nähergekommen. Aus Untersuchungen an verstorbenen Parkinson-Patienten war bereits bekannt, dass Veränderungen in der Retina zu finden sind.
Besonders einige Schichten dopaminerger Nervenzellen der Retina sind bei Parkinson-Patienten deutlich dünner – ein Zeichen dafür, dass auch hier neurale Zellen zugrunde gehen. Insbesondere die Ganglienzellschicht (ganglion cell-inner plexiform layer, GCIPL) und die innere Kernschicht (inner nuclear layer, INL) sind betroffen.
Die Wissenschaftler wollten herausfinden, ob es möglich ist, am lebenden Menschen das Auge nichtinvasiv auf diese Veränderungen hin zu untersuchen und ob Daten auch einen prognostischen Charakter haben.
Methodisch nutzten sie die optische Kohärenztomographie (Optical coherence tomography, OCT). Bei diesem Verfahren wird die Netzhaut mittels eines nichtinvasiven Lasers abgetastet. Verschiedene Schichten des Auges reflektieren die elektromagnetische Strahlung unterschiedlich stark. Daraus lässt sich ein dreidimensionales Abbild des Augenhintergrundes erstellen.
In der Vergangenheit hatten verschiedene Forschungsgruppen bereits versucht, einen Zusammenhang zwischen der Dicke der Retina und Parkinson zu finden. Doch die Resultate waren nicht eindeutig, wohl aufgrund kleiner Patientengruppen in früheren Studien.
Wagner und Kollegen nutzten für ihre Untersuchung zwei große Datensätze. Sie arbeiteten mit der AlzEye-Kohorte, einem retrospektiven Datensatz von 154.830 Patienten, die älter als 40 Jahre waren. Sie hatten zwischen 2008 und 2018 Nachuntersuchungen in Londoner Augenkliniken. Hinzu kamen Daten der UK Biobank, eine prospektive bevölkerungsbasierte Kohorte mit 67.311 Freiwilligen zwischen 40 und 69 Jahren. Bei ihnen fanden zwischen 2006 und 2010 Retina-Untersuchungen statt.
In den AlzEye-Daten fanden Wissenschaftler 700 Personen, die nach ICD-10-Definition an Parkinson erkrankt waren. Diese zeigten signifikant dünnere Retina-Zellschichten als nicht an Parkinson erkrankten Kontrollen (105.770 Patienten aus der AlzEye-Kohorte).
Aus den Daten der UK Biobank wiederrum extrahierten die Forschenden 53 Fälle, die erst im Schnitt 2.653 Tage nach der Retina-Untersuchung Parkinson-Symptome entwickelten. Zum Zeitpunkt der OCT zeigten sie bereits signifikant dünnere Retina-Zellschichten des GCIPL und des INL.
Daraus folgerten die Autoren, dass sich OCT-Untersuchungen der Retina eignen könnten, um Parkinson bis zu sieben Jahren vor klinischen Symptomen zu diagnostizieren – und unter Umständen frühzeitig zu therapieren.
In einem Editorial kommen Valeria Koska von der medizinischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Phillip Albrecht von den Maria-Hilf-Kliniken in Mönchengladbach zu dem Schluss, dass „diese Studie neue Maßstäbe für die Rolle der Netzhautmorphologie als potenzieller Biomarker bei neurodegenerativen Erkrankungen” setze.
Die Resultate förderten das Verständnis, dass Parkinson eine systemische Krankheit sei; die Beziehung zwischen der Morphologie der Netzhaut und dem Schweregrad der Krankheit seien von großem Interesse. Koska und Albrecht halten weitere Studien für gerechtfertigt, um die prognostische Bedeutung der Netzhautschichten als Biomarker zu untersuchen. Sie hoffen, durch technologische Fortschritte könnte die Methode an Bedeutung gewinnen. Besonders Entwicklungen der künstlichen Intelligenz bei der Auswertung könnten die Retina-Dicke zu einem prognostischen Faktor machen, eventuell zusammen mit weiteren Biomarkern.
Quellen:
Wagner S.K. et al.: Retinal Optical Coherence Tomography Features Associated With Incident and Prevalent Parkinson Disease. Neurology, 2023. doi: 10.1212/WNL.0000000000207727
Koska V., Albrecht, P.: Inner Retinal Thickness Changes in Prevalent and Incident Parkinson Disease: A Potential Biomarker With Prognostic Value?; Neurology 2023. doi: 10.1212/WNL.0000000000207780
Bildquelle: Amanda Dalbjörn, Unsplash