Die Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken naht – und liefert Diskussionsstoff. Wie sollten Grenzwerte für Verkehrsteilnehmer aussehen?
Am 16. August hat das Bundeskabinett nach langem Hin und Her den Entwurf eines „Gesetzes zum kontrollierten Umgang mit Cannabis und zur Änderung weiterer Vorschriften“ (CanG) beschlossen. „Das Cannabisgesetz markiert einen Wendepunkt einer leider gescheiterten Cannabisdrogenpolitik“, kommentiert Karl Lauterbach vollmundig. Der Bundesgesundheitsminister will „den Schwarzmarkt und die Drogenkriminalität zurückdrängen, das Dealen mit gestreckten oder toxischen Substanzen eindämmen und die Konsumentenzahlen drücken“. Ob das gelingt, wird sich zeigen. Doch bis zur Umsetzung des CanG stellen sich eine ganz andere Frage: Wann ist die Verkehrstüchtigkeit gefährdet?
Der Blick fällt recht naheliegend auf Alkohol als vergleichsweise gut untersuchtes Genussmittel. Wissenschaftliche Studien bilden Anhaltspunkte für Obergrenzen. In Deutschland gilt bekanntlich für Fahranfänger und für Personen bis zum 21. Geburtstag die Null-Promille-Grenze. Ansonsten werden 0,5 bis 1,09 Promille ohne weitere Auffälligkeiten als Ordnungswidrigkeit geahndet; ab 1,1 Promille ist es eine Straftat.
Genau solche Werte, die wissenschaftlich abbilden, wann sich die Reaktionsfähigkeit durch Cannabis stark verschlechtert, sind jetzt nötiger denn je. Prof. Stefan Tönnes, Vorsitzender der Grenzwertkommission der Bundesregierung, bringt das Problem auf den Punkt: „Die Studienlage ist recht groß, aber so heterogen, dass sich eine klare Grenzwertableitung eigentlich nicht machen lässt. (…) Wenn man möchte, kann man mit wissenschaftlichen Daten fast jeden beliebigen Grenzwert vertreten.“
Seit 1998 liegt die Obergrenze bei 1,0 Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum, doch 25 Jahre später sind Tests um Größenordnungen empfindlicher geworden. Hinzu kommt, dass dieser Grenzwert nur auf Gelegenheitskonsumenten abzielt – das könnte sich durch das CanG ändern. Mittlerweile sind 3,0 Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum in der Diskussion, doch getan hat sich bislang nichts.
Erschwerend kommt hinzu, dass keine flächendeckenden Blutscreenings möglich sind; Polizeibeamte sollten – wie auch bei Alkohol – durch „Feld-Nüchternheitstests“ erkennen, wer womöglich nicht mehr fahrtauglich ist. Dann folgen Blutentnahmen.
Wissenschaftler wollten herausfinden, ob solche Tests generell bei Cannabis möglich sind. Sie haben deshalb in San Diego, Kalifornien, eine randomisiert-kontrollierte Studie durchgeführt. Eingeschlossen wurden Cannabis-Konsumenten im Alter von 21 bis 55 Jahren. Sie erhielten randomisiert im Verhältnis 1:1:1 Placebo (0,02 Prozent Tetrahydrocannabinol), Cannabis mit 5,9 Prozent Tetrahydrocannabinol oder Cannabis mit 13,4 Prozent Tetrahydrocannabinol.
An der Studie nahmen 184 Personen teil (63,6 Prozent Männer). Das mittlere Alter lag bei 30 Jahren. Sie hatten in den letzten 30 Tagen durchschnittlich 16,7 Tage Cannabis konsumiert. 121 erhielten THC und 63 das Placebo. Polizeibeamte sollten danach zu vier Zeitpunkten angeben, ob sie der Meinung sind, dass eine Person aufgrund von THC im Straßenverkehr beeinträchtigt sein könnte. Grundlage waren verschiedene neurologisch-motorische Tests, etwa der Finger-Nase-Versuch, das Stehen auf einem Bein, das Balancieren (modifizierter Romberg-Versuch) sowie ein Konvergenztest mit Fixierung auf nahe Objekte. Auch in den Fahrsimulator mussten sich die Probanden begeben.
Beamte stuften 98 Teilnehmer (81,0 Prozent) in der THC-Gruppe und 31 (49,2 Prozent) in der Placebo-Gruppe 70 Minuten nach dem Rauchen als beeinträchtigt ein. Personen aus der THC-Gruppe schnitten bei acht von 27 einzelnen Tests (29,6 Prozent) deutlich schlechter ab als Teilnehmer der Placebo-Gruppe. Und Probanden ohne nennenswerte Mengen an THC im Blut absolvierten im Schnitt acht Tests nicht wie zu erwarten.
Zwar sei die Fahrtauglichkeit mit den Ergebnissen einiger Tests in Zusammenhang gestanden, resümieren die Autoren, das teils schlechte Abschneiden von Personen aus der Placebo-Gruppe sei aber „besorgniserregend“ und lege den Schluss nahe, dass solche Tests möglicherweise nicht ausreichten, um eine THC-spezifische Beeinträchtigung bei Kraftfahrern nachzuweisen.
„Die mangelnde Sensitivität der Tests […] ist keine große Überraschung, da sie in erster Linie für die Erkennung schwerer Alkoholbeeinträchtigungen bei hohen Blutalkoholkonzentrationen validiert wurden“, heißt es in einem begleitenden Kommentar. Die Editorialisten kritisieren aber auch die Methodik selbst, denn Menschen schnitten auch ohne Alkohol- oder Cannabis-Konsum beim Stehen auf einem Bein oder beim Gehen auf einer weißen Linie unterschiedlich ab. Viele Personen würden solche Tests nicht einmal in nüchternem Zustand bestehen.
Jetzt geht die Suche weiter – und die Zeit drängt.
Bildquelle: Elsa Olofsson, Unsplash