Lachgas erlebt eine ungeahnte Renaissance. Aktuelle Studien untermauern Wirkung und Potential in der Notfallmedizin, Pädiatrie und Gynäkologie. Neue Mischungen machen das Gas verträglicher. Die WHO listet Lachgas unter den 100 bedeutendsten Pharmaka.
Die Wirkung von Lachgas variiert in Abhängigkeit der Dosis: In niedrigen Konzentrationen zwischen 5 und 30 Prozent wirkt es entspannend und anxiolytisch, mit steigender Dosis tritt eine Sedierung ein und ab 40 Prozent eine Analgesie. Bei mehr als 50 Prozent kann der Patient bewusstlos werden. Eine vollständige Schmerzausschaltung im Sinne einer Narkose ist mit Lachgas als Monoanästhetikum nicht möglich.
In Großbritannien ist die Lachgasgemischanalgesie während der Geburt bereits seit Jahrzehnten Standard und wird auch von Hebammen angewendet. In Deutschland kommt meist ein Gemisch aus Lachgas und Sauerstoff im Verhältnis 50:50 zum Einsatz. Als Freiname dient das Akronym EMONO (Equimolar mixture of oxygen and nitrous oxide). Diese Mischung reduziert die Schmerzen während der Geburt deutlich und hat den Vorteil, dass die Wirkung schnell einsetzt und nach Absetzen der Therapie rasch abklingt. Um die Arbeitsplatzgrenzwerte für die Lachgaskonzentration nicht zu überschreiten, wird das ausgeatmete Gas über eine Absauganlage abgeleitet. Je nach System kann ein Demandventil eingesetzt werden, das das Gasgemisch nur bei aktivem Einatmen freisetzt. Dies reduziert zusätzlich die Abgabe an die Umgebungsluft, die Gebärende kann die Wirkung gut steuern und die Gefahr einer Überdosierung wird vermindert. Das Gas lindert die Schmerzen während der Wehen, ohne die Uteruskontraktionen zu beeinflussen. Im Gegensatz zur PDA kann die Patientin die Dosis individuell bestimmen und ist nach der Geburt rasch wieder mobil. Die Applikation von Lachgasgemischen kann vom Arzt an eine Hebamme delegiert werden. Die PDA ist sicherlich noch Standard in der Geburtshilfe. In den Fällen, bei denen das Verfahren kontraindiziert ist, etwa bei Gerinnungsstörungen, sind Lachgasgemische eine effiziente Alternative.
Leanne Jones et al. von der University of Liverpool werteten für das Cochrane Zentrum Studien zur Schmerzlinderung bei der Geburt aus. Das Team kam zu dem Ergebnis, dass die Gabe von Lachgasgemischen über eine Atemmaske empfehlenswert ist, wenn eine PDA nicht infrage kommt. „Lachgas könne zwar im Einzelfall zu Übelkeit und Benommenheit führen, beeinflusse aber die Kontraktionen der Gebärmutter nicht und lasse die Gebärende selbst die Dosierung durch die Tiefe ihrer Atemzüge bestimmen“, so ein Statement des Cochrane Zentrums. Für eine Studie der Uniklinik Erlangen erhielten 66 Schwangere unter der Geburt bei vorliegender Indikation und Wunsch ein Lachgas-Sauerstoff-Gemisch. Alle Frauen wurden zu ihrer Erfahrung und Zufriedenheit befragt. Zusätzlich dokumentierten die betreuenden Hebammen ihre Zufriedenheit mit der Wirkung des Lachgasgemisches in der entsprechenden Situation. Die Autoren Dammer, Kehl et al. kamen zu dem Schluss: „Das Lachgas-Sauerstoff-Gemisch ist eine effektive Methode zur Schmerzlinderung unter Geburt, die sowohl von den Gebärenden als auch von den betreuenden Hebammen gut angenommen wird.“ Eine Studie von Riemer und Seeger aus dem Klinikum Halle kam zu ähnlich positiven Ergebnissen. 69 der 106 Patientinnen beschrieben eine deutliche und signifikante Besserung der peripartalen Schmerzen um drei oder mehr Stufen auf dem VAS-Score. Bei 29 Patientinnen zeigte sich eine Besserung um bis zu zwei Stufen. Durchschnittlich wurde eine Besserung von drei Schmerzstufen dokumentiert. Bei acht Patientinnen trat keine subjektive Besserung des Schmerzes auf. Unangenehme Nebenwirkungen, wie leichte Übelkeit, Schwindel oder kurzzeitige Kopfschmerzen traten bei 19,8 Prozent der Patientinnen auf.
Die fehlende Bewusstlosigkeit unterscheidet die Lachgas-Sauerstoff-Inhalation von der Vollnarkose. Der Schluckreflex bleibt erhalten und die Mundhöhle wird durch den Tubus nicht verlegt. Gerade bei Angstpatienten ist die zusätzliche anxiolytische Wirkung sinnvoll. Die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e.V. (DGAI) hat dazu eine Stellungnahme verfasst: „Der Einsatz von Lachgas zur minimalen Sedierung bei zahnärztlichen Prozeduren bei Kindern kann nach Berücksichtigung der oben genannten Indikationen, Kontraindikationen, organisatorischen, apparativen und personellen Anforderungen nach dem heutigen Stand des Wissens im o.g. Umfang empfohlen werden.“
Hansak und Pessenbacher, ÖRK Landesverband Steiermark, führten eine Studie zur Anwendung von „Lachgas im Rettungsdienst“ durch. Darin kommen sie zu dem Schluss, dass die Gabe eines Lachgasgemisches (50 Prozent Lachgas, 50 Prozent Sauerstoff) durch Notfallsanitäter eine Berechtigung im Rettungsdienst hat. Die einfache und sichere Anwendung, die Akzeptanz der Patienten und präklinisch beteiligten Ärzte sprechen dafür. Durch die Anwendung mit Demandventil und die damit verbundene Selbstapplikation durch den Patienten unter Überwachung sowie die zusätzliche Kontrolle über die Pulsoxymetrie wurden keine nachteiligen Zwischenfälle während der Projektphase beobachtet. In einer kleinen Studie des Rettungsdienstes in Münster (Hengefeld, Lukas et al.) erreichten 34 Prozent der Patienten mit einem isolierten Extremitätentrauma eine Reduktion von bis zu drei Punkten auf der numerischen Rating-Skala. Bei den meisten Patienten (63 Prozent) war jedoch eine zusätzliche intravenöse Analgesie mit Opioiden oder Ketamin nötig. „Ein Lachgas-Sauerstoff-Gemisch zur Analgesie im Rettungsdienst zeigte in dieser Studie eine messbare Wirksamkeit bei muskuloskelettalen Schmerzen durch Extremitätentrauma. Die alleinige Applikation führte nur in einem Drittel der Fälle zu einer ausreichenden Analgesie (NRS 0-3)“, so das Resümee. In Ländern wie Großbritannien ist der Einsatz von Lachgasgemischen in der präklinisichen Notfallmedizin seit langer Zeit etabliert.
Eine Cochrane-Analyse widmete sich Studien, die ein Lachgas-Sauerstoff-Gemisch mit einem anderen Sedativum oder Placebo bei Koloskopien verglichen. Bei der Gabe von intravenösen Sedativa oder Narkotika kommt es in bis zu 20 Prozent der Fälle zu kardio-respiratorischer Komplikationen. Für die Analyse wurden sieben randomisierte und kontrollierte Studien zwischen 1994 und 2009 berücksichtigt, die ein Lachgas-Sauerstoff-Gemisch mit einem anderen Sedativum oder Placebo mit oder ohne zusätzliches Analgetikum verglichen. Insgesamt wurden die Daten von 547 Patienten analysiert. 257 erhielten das Lachgasgemisch. In vier von fünf Studien wurde unter dem Gasgemisch eine gleichwertige oder bessere Schmerzlinderung als unter konventionellen Methoden erzielt. Sechs von sieben Studien belegen eine raschere Erholung und eine kürzere Verweildauer in Kliniken.
Die ENIGMA II-Studie (Evaluation of Nitrous Oxide in the Gas Mixture for Anaesthesia) mit fast 7.000 Patienten bestätigte: Die Verwendung von Stickstoffmonoxid bei nicht herzchirurgischen Eingriffen beeinflusst weder das Sterberisiko noch das Risiko für perioperative kardiovaskuläre Komplikationen innerhalb von 30 Tagen nach dem Eingriff. Das Stickoxid erhöhte zudem nicht die Rate an Infektionen am OP-Situs, in beiden Gruppen lag sie bei 9 Prozent. Auch die Dauer des Klinikaufenthaltes war in beiden Gruppen gleich. Der Berufsverband Deutscher Anästhesisten und die DGAI haben sich zur Markteinführung in Deutschland über die unerwünschten Wirkungen wie folgt geäußert: Nachteilig sind neben den unerwünschten Folgen einer zentralen Depression die Druckerhöhung in luftgefüllten Körperhöhlen, die relativ hohe Emesis-Rate, die Beeinflussung des Methionin- und des Folsäurestoffwechsels bei Langzeit- und häufiger Anwendung sowie Aspekte der Arbeitsplatzbelastung.
Lange Zeit existierte eine „Einheitstheorie über Narkotika“. Alle Narkosegase sollten auf dieselbe Weise ihre Wirkung entfalten, welche das genau ist, ist nicht hinreichend geklärt. „Volatile Anästhetika wirkten gänzlich anders als Lachgas. Das ist ein sehr starker Hinweis darauf, dass die Einheitstheorie der Anästhesie nicht korrekt ist“, so der Intensivmediziner Peter Nagele vom AKH Wien. Er wies nach, dass Lachgas ein Agonist am glutamatgesteuerten NMDA-Rezeptor ist. An dieser Bindungsstelle dockt auch das Narkoanalgetikum Esketamin an. Außerdem bindet Lachgas zentral an Opiatrezeptoren.
Ganz andere Eigenschaften als die medizinischen wissen viele junge Briten zu schätzen. Nach Angaben des britischen Innenministeriums haben 470.000 Menschen zwischen 16 und 59 Jahren im vergangenen Jahr Lachgas inhaliert, im Jahr davor waren es noch rund 100.000 weniger. Nach Cannabis ist es die beliebteste Droge im Erwachsenenalter. Die Konsumenten inhalieren das Gas meist aus Ballons, verspüren Schwindel, Lachflashs und empfinden Musik dumpf-dröhnend. Das Zeitgefühl kommt abhanden und nach einer knappen Minute ist alles vorbei. Die Anwendung als Droge ist dabei mit Risiken verbunden: Lachgas kann zu Hirnödemen und, durch den Antagonismus zum Vitamin B12, zur Anämie kommen. Es ist zu befürchten, dass es auch in Deutschland zur Party-Droge werden könnte: Laut einer Polizeistatistik haben etwa acht Prozent der Jugendlichen in Deutschland bereits Erfahrungen mit Schnüffelstoffen.