Ein Eisbad gegen Tuberkulose – damit startete Sebastian Kneipp einen Trend, der bis heute anhält. Doch was ist dran an Wechselbädern und Wassertreten?
Ein junger Theologiestudent aus Bayern namens Sebastian Kneipp wird weltberühmt, weil er sich dem Mythos nach selbst von Tuberkulose geheilt hat – und zwar mithilfe von Bädern in der eiskalten Donau. Damit therapierte sich der angehende Priester zunächst selbst, dann seine Kommilitonen und bald schon wichtige Persönlichkeiten, wie etwa Kaiserin Sissi von Österreich und Papst Leo den XIII. Zwar verspricht man sich heute vom sogenannten Kneippen nicht mehr die Heilung von Tuberkulose. Aber die kalten Bäder erfreuen sich vor allem in Deutschland trotzdem großer Beliebtheit und sollen positive Effekte auf die Gesundheit haben. Aber wie stehts um die Evidenz?
In der Hydrotherapie nach Kneipp (KH) steht die Anwendung von kaltem Wasser im Wechsel mit Wärme im Vordergrund. Obwohl er selbst kein Mediziner war, gründete Kneipp Sanatorien, in denen er Kranke behandelte. Neben der Hydrotherapie setzte Kneipp dabei auf weitere Therapieansätze, die auch heute noch in dieser Form Teil der Kneipp-Therapie sind. Insgesamt steht das Konzept auf fünf Säulen: Hydrotherapie, Ernährungstherapie, Heilpflanzen, Bewegungstherapie und Ordnungstherapie.
Die wohl bekannteste Säule ist jedoch die Hydrotherapie. Dabei wird vor allem kaltes Wasser (nicht wärmer als 17 °C) in Kombination mit Wärme eingesetzt. Ob professionell angeleitet oder in der heimischen Badewanne – Wechselduschen und Wassertreten folgen dem gleichen Prinzip: Der Körper oder auch nur einzelne Körperteile werden zunächst kaltem Wasser ausgesetzt, was zu einer Vasokonstriktion führt. Nach der Kälte folgt die Wärme: Warmes Wasser, warme Kleidung oder Bewegung führen zur Vasodilatation mit reaktiver Erwärmung. Das soll nicht nur gut für das Immunsystem sein, sondern auch den Kreislauf in Schwung bringen. Je nach Einsatzgebiet wird das Abkühlen und wieder Aufwärmen mehrfach wiederholt.
Die Kneipp’sche Hydrotherapie hat dabei ein vielseitiges Einsatzgebiet: Als Einschlaf-Hilfe, Anti-Falten-Mittel oder gegen müde Biene soll es helfen. Zum Teil werden die Kuren sogar von manchen Krankenkassen bezuschusst. Doch sind sie wirklich effektiv, oder folgen wir hier dem Motto: „Das haben wir schon immer so gemacht“?
Eine aktuelle Übersichtsstudie hat das jetzt untersucht und durchforstete dazu zahlreiche publizierte Studien. Ihr Ziel war es, die wissenschaftliche Evidenz der KH zu untersuchen und herauszustellen, welche präventiven und therapeutischen Vorteile die KH hat. Die Übersichtsstudie ist die erste umfassende Auswertung von Literatur über KH. Sie fanden über 5.000 Studien, die die Hydrotherapie nach Kneipp untersuchten. Der Großteil der Studien hatte jedoch eins gemeinsam: Ihr Studiendesign war unzureichend. Randomisiert-kontrollierte Studien fanden die Autoren fast keine, doppel-blinde Studien schon gar nicht. Lediglich 22 der Arbeiten hielten den Prüfungskriterien der Autoren stand und wurden in dem Review zusammengefasst. Doch auch hier warnen die Autoren diese mit Vorsicht zu genießen, denn auch diese Studien sind nicht alle ideal, unter anderem, da die Anzahlen der Probanden zum Teil recht klein ausfielen. Das sind die Ergebnisse der Analyse:
Kardiovaskuläres System: Die kardiovaskuläre Gesundheit war Gegenstand einiger Studien. Zwar hatte die KH einige positive Auswirkungen, jedoch gab es auch häufig keinen Unterschied zur Kontroll-Gruppe. Am wirksamsten schien jedoch die Anwendung von Kneipp-Behandlungen bei Varikosis. Hier fanden die Wissenschaftler konsistente Hinweise für einen positiven Effekt der Hydrotherapie. Sie konnte bei Krämpfen helfen und Schmerzen der Patienten lindern. Bei Bluthochdruck und Herzinsuffizienz konnte kein solcher Effekt aus der Literatur bestätigt werden.
Immunsystem: Laut der Philosophie von Kneipp soll die Hydrotherapie das Immunsystem positiv beeinflussen. Zum Beispiel sollen Fußbäder bei anfangender Erkältung helfen und auch präventiv einsetzbar sein. Das spiegelte sich jedoch nicht in der Übersichtsarbeit wider. Auch hier hielt die KH dem Vergleich mit Kontrollgruppen bei den meisten Anwendungen nicht stand.
Ein positiver Effekt konnte jedoch bei Kindern verzeichnet werden, die Fieber im Zusammenhang mit Infektionen der oberen Atemwege entwickelten. Hier konnte das Baden mit einem Schwamm Abhilfe schaffen und das Fieber senken. Ein weiterer Trend: Führten Patienten regelmäßige Kneipp-Behandlungen durch, wie etwa Wassertreten, Wechselduschen oder ähnliches wurden weniger Tage der Arbeitsunfähigkeit verzeichnet. Auch bei Kindern konnte dies beobachtet werden. Wurde regelmäßig gekneippt, fehlten Kinder weniger häufig im Kindergarten oder der Schule.
Möglicherweise gab es hier ein positives Ergebnis, weil die psychische Gesundheit der kneippenden Patienten positiv von den Behandlungen beeinflusst worden war.
Menopause: Die KH ergab wiedersprüchliche Ergebnisse zur Behandlung von Beschwerden im Zusammenhang mit Menopause. Zwar arbeiteten die Studienautoren der Übersichtsarbeit einen leichten Trend zugunsten der KH heraus, jedoch war die Evidenz hier nicht ausreichend. Bei manchen Probandinnen der Studien konnte die KH Hitzewallungen und Schlafstörungen lindern. Jedoch war dies nur in zwei Studien der Fall.
Die Autoren kritisieren die Studienlage in Bezug auf die Dokumentation von Nebenwirkungen. Zwar wurden schwerwiegende Nebenwirkungen dokumentiert (es gab lediglich einen Fall von Pneumonie, der allerdings nicht eindeutig auf die KH zurück zu führen war sondern eher auf eine COPD-Vorerkrankung), es wurden aber keine Angaben zu leichten Nebenwirkungen, wie etwa Schwindel oder Unwohlsein gemacht, was durchaus erwartbare Nebenwirkungen bei großen Temperaturschwankungen wären. Da also über leichte Nebenwirkungen nicht aufgeklärt wird, sollten eure Patienten die eine KH durchführen wollen, auf Warnsignale ihres Körpers hören. Bei niedrigem Blutdruck oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen könnte eine KH zunächst unter Anleitung durchgeführt werden, um eine Überbelastung des Körpers zu vermeiden. Generell empfiehlt sich die Kaltwasser-Anwendung langsam und herzfern zu beginnen, da dies verträglicher für das Herz-Kreislauf-System ist.
Obwohl die KH schon lange besteht und angewendet wird, kann man von klarer Evidenz noch nicht sprechen. Es fehlt an randomisiert-kontrollierten klinischen Studien. Auch, da Kontroll- oder Placebo-Gruppen schwierig zu designen sind – ein blindes Studiendesign ist fast unmöglich. Dennoch wollen die Autoren Wissenschaftler dazu ermutigen, die KH weiter zu untersuchen, auch in Bezug auf mögliche Nebenwirkungen. Auch die positiven Effekte sollten tiefer erforscht werden, um konkretere Aussagen über die Wirksamkeit von KH treffen zu können.
Ein Trend ist jedoch zu beobachten: Die KH kann positive Effekte mit sich bringen. Die Anwendung bei Fieber, sowie zur Linderung von Schmerzen bei Varikosis ist durchaus ein therapeutischer Ansatz, der ergänzend eingesetzt werden kann – nicht zuletzt wegen ihrer Praktikabilität. Das Versprechen des Wasserdoktors kann mit anderen evidenzbasierten oder medikamentösen Therapieformen jedoch nicht mithalten.
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