Neue Impfungen, neuer Antikörper: In Sachen RSV-Schutz könnte es eine Präventionswende geben. Doch Deutschland zögert, sie einzuläuten.
Bisher war die Welt der RSV-Prävention relativ geradlinig. Frühgeborene sowie Reifgeborene mit schweren Grunderkrankungen haben ein erhöhtes Risiko, in den ersten Lebensjahren schwere RSV-Infektionen zu erleiden. Diesen Kindern wird deswegen eine passive Prophylaxe mit einem monoklonalen Antikörper empfohlen, und das wird in Deutschland auch ziemlich konsequent gemacht. Bisher war dieser Antikörper das Palivizumab (Handelsname Synagis®), das alle vier Wochen intramuskulär injiziert wird. Weil das bei Säuglingen kein Riesenspaß ist, erfolgen die Injektionen saisonal, nur im Winterhalbjahr.
Aber einfach war gestern. Mittlerweile gibt es zwei aktive RSV-Impfstoffe, die zur Impfung Erwachsener zugelassen sind: Arexvy® von Glaxo und Abrysvo® von Pfizer. Letzterer ist nicht nur für Senioren ab 60 Jahren, sondern auch für die Impfung von Schwangeren zugelassen. Die Idee: Durch eine Impfung im letzten Trimenon bildet die Mutter RSV-Antikörper, die via Plazenta auf den Fetus übertragen werden und die das Kind dann in den hinsichtlich RSV besonders problematischen, ersten Lebensmonaten schützen. Es handelt sich also um eine aktive Impfung der Mutter mit dem Ziel der passiven Immunisierung des Kindes. Das ist Neuland.
Beide Impfstoffe sind rekombinante Proteinimpfstoffe, die sich gegen das Fusionsprotein von RSV richten. Dahinter steckten zwanzig Jahre Grundlagenforschung, sagte Prof. Klaus Überla von der Virologie am Universitätsklinikum Erlangen auf einem Press Briefing. Die Impfstoffe seien so designt worden, dass die entstehenden Antikörper sich gegen das F-Protein in jener Konfiguration richten, wie es sie unmittelbar vor dem Eintritt in die Zelle aufweist. Es kommen so genannte präfusionsstabilisierte Varianten des F-Antigens zum Einsatz, damit die entstehenden Antikörper den Replikationszyklus des Virus im richtigen Augenblick unterbrechen.
Mit den zwei neuen Impfstoffen ist es aber noch nicht genug: Es gibt auch einen neuen, monoklonalen Antikörper, Nirsevimab (Handelsname Beyfortus®). Auch Nirsevimab wird bei Säuglingen und Kleinkindern intramuskulär injiziert. Allerdings ist das nur einmal pro Saison nötig, nicht monatlich. Ein weiterer Unterschied ist, dass die Studien nicht nur für Hochrisikokinder durchgeführt wurden, sondern auch mit gesunden Reifgeborenen. Entsprechend gibt es, anders als bei Palivizumab, eine breite Zulassung, sodass hier eine potenzielle Schutzoption zur Verfügung steht, die sich an alle Neugeborenen richtet. Der Hersteller hat das bei der Preisbildung insofern berücksichtigt, als das Präparat vergleichsweise günstig ist: Der Preis einer Saison-Injektion ist in den gängigen Online-Apotheken gut vierstellig, und damit ungefähr genauso hoch wie der Preis einer Monatsinjektion des bisher verfügbaren Antikörpers.
Die neuen Optionen eröffnen bisher nicht dagewesene Möglichkeiten für die RSV-Prävention. Bei den monoklonalen Antikörpern erhöht sich nicht nur der Komfort: Es wird zumindest denkbar, pauschal allen Neugeborenen in den ersten Lebensmonaten durch Injektion nach der Geburt einen RSV-Schutz „mitzugeben“. Die Studiendaten und die Zulassung von Nirsevimab geben das her. „Ich persönlich hätte da auch keine Bedenken“, sagte Prof. Bernhard Resch von der Neonatologie der Medizinischen Universität Graz.
Alternativ könnte man überlegen, Schwangeren die RSV-Impfung zu empfehlen, primär um reifgeborene Kinder zu schützen. Bei Risikokindern würde dann, wie bisher, zusätzlich ein monoklonaler Antikörper genutzt, um bestmöglichen Schutz zu erreichen. Außerdem könnte man ggf. jenen Kindern bzw. Familien die passive Prophylaxe anbieten, bei denen die Mutter sich in der Schwangerschaft nicht impfen lassen wollte oder bei denen, aus welchen Gründen auch immer, nicht geimpft werden konnte.
All das seien Szenarien, die jetzt diskutiert werden müssten, sagte Überla. Er ist Sprecher der STIKO-Arbeitsgruppe Respiratorische Synzytialviren. Überla kündigte an, dass sich die STIKO nicht nur zu den aktiven Impfstoffen, sondern auch zu den Einsatzszenarien des neuen Antikörpers äußern werde, allerdings werde das nicht mehr zur anstehenden Saison erfolgen. Die USA sind da etwas weiter: Die CDC empfiehlt den neuen Antikörper allen Kindern unter 8 Monaten sowie älteren Kindern mit erhöhtem Risiko für schwere RSV-infektionen. Eine „weich“ formulierte „May do“-Empfehlung erhält außerdem die aktive Immunisierung von Menschen ab 60 Jahren. Zur maternalen Aktiv-Impfung haben sich die CDC noch nicht geäußert, sie ist allerdings auch erst seit wenigen Wochen durch die FDA zugelassen.
Während das STIKO-Zögern bei den Antikörpern eine generelle Unentschlossenheit hinsichtlich eines therapeutischen Paradigmenwechsels in Richtung „Antikörper für jedes Neugeborene“ widerspiegeln dürfte, hat das Zögern bei der maternalen Aktiv-Impfung einen anderen Grund. Es herrscht etwas Unklarheit, was ein möglicherweise erhöhtes Risiko von Frühgeburtlichkeit angeht. Auch Arexvy®, der Aktivimpfstoff, der derzeit nur für Erwachsene ab 60 Jahren zugelassen ist, wurde in der Indikation Schwangerschaftsimpfung evaluiert. Hier habe es geringfügig vermehrt Frühgeburten gegeben, sagte Prof. Folke Brinkmann, Leiterin Sektion Pädiatrische Pneumologie am UKSH.
Daher sei dieser Impfstoff bisher für werdende Mütter nicht zugelassen. Bei Abrysvo® ist es nun etwas kompliziert: „Die Erhöhung der Frühgeburtlichkeit findet sich tendenziell auch bei Abrysvo“, betont Überla. „Sie war nicht signifikant, aber wenn man weiß, dass es bei dem anderen Impfstoff ähnlich ist, stellt sich schon die Frage, woher diese Frühgeburtlichkeit kommen könnte.“
So richtig deutlich sind die Zahlen allerdings nicht: Unter anderem habe sich die Erhöhung der Frühgeburtlichkeit in den Studien bisher in erster Linie in Ländern mit niedrigem/mittlerem Einkommen gefunden, nicht dagegen in Europa und USA, wie Überla betonte. Es gibt also noch einiges an Klärungsbedarf. „Von der Wirksamkeit her ist das ein toller Impfstoff“, so Überla. „Das hatte ich so nicht erwartet. Ich habe schon die Hoffnung, dass wir da gute Einsatzmöglichkeiten etablieren.“
Kurz gesagt: So richtig ran an das heiße Ei „neue RSV-Empfehlungen“ will man in Deutschland im Moment noch nicht. Es wird für die anstehende Saison noch keine STIKO-Empfehlung für die neuen RSV-Optionen geben, weder am Lebensanfang noch am Lebensende. Der Einsatz erfolgt nach individueller Einschätzung und die Erstattung ist abhängig vom Wohlwollen der jeweiligen Krankenkasse. Was die Seniorenimpfung angeht: Das Risiko durch RSV sei umso höher, je älter die Menschen werden, so Überla. Hier verhält sich RSV also nicht anders als Grippe oder COVID-19. Gegen eine versorgungseffizienzfördernde, gleichzeitige Impfung gegen Grippe, Covid und RSV bei den Senioren spreche aus immunologischer Sicht nichts, betonte Überla.
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