Antidepressiva können bei Wochenbettdepression eine wichtige Stütze sein. Ob sie auch für werdende und stillende Mütter geeignet sind, ist umstritten. Doch wo liegen die Risiken?
Medikamente sind in der Schwangerschaft und Stillzeit besonders kompliziert – schließlich dürfen sie den Babys nicht schaden. Gleichzeitig werden viele Wirkstoffe aus ethischen Gründen gar nicht bei Schwangeren und jungen Müttern getestet. So bleibt oft die Unsicherheit: Was darf man und was sollte man lieber nicht einnehmen? Das stellt Mütter mit Wochenbettdepression (PPD) vor schwierige Entscheidungen. Sollen und dürfen sie Antidepressiva nehmen? Was wiegt schwerer, das Risiko durch die Medikamente oder die Depression der Mutter?
„Eine schwergradige Depression in der Schwangerschaft oder Stillzeit nicht mit Medikamenten zu behandeln, wäre ein großer Fehler“, sagt Dr. Maria Gilles. Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie hat am Zentrum für Seelische Gesundheit in Mannheim eine Spezialambulanz für PPD aufgebaut und warnt: „Wenn durch eine PPD keine gute Bindung zwischen Mutter und Baby entsteht, erhöht sich auch das Risiko der Kinder, später an Depressionen zu erkranken.“ Zudem zeigen Studien: Das Risiko für Misshandlungen steigt und die Beziehung der Eltern leidet. In schweren Fällen kann die Depression gar zum Suizid der Mutter führen. Bei Kindern wurden teils Schwierigkeiten in der kognitiven Entwicklung, Verhaltensstörungen und emotionale Probleme festgestellt. Verbessern sich die Symptome der Mutter, hilft das auch dem Kind – umso wichtiger ist eine angemessene Behandlung.
„Bei leichteren Formen der PPD können nichtmedikamentöse Behandlungsoptionen wie Psychotherapie, etwa kognitive Verhaltenstherapie oder interpersonelle Psychotherapie, ausreichen“, so Gilles. Doch je schwerer die Symptome, desto eher raten Fachleute zu einer medikamentösen Behandlung. Dabei gelten selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) derzeit als erste Wahl, oft kombiniert mit Verhaltenstherapie. Sie werden als sicherer eingestuft als trizyklische Antidepressiva oder Monoaminoxidase-Hemmer. Da SSRI wie Citalopram und Sertralin bereits seit etwa 30 Jahren eingesetzt werden, gibt es zudem viele Daten zu möglichen Nebenwirkungen. Maria Gilles rät den behandelnden Ärzten, sich jedenfalls zu informieren. „Selbst Psychiater sind oft unsicher, wie sie mit werdenden Müttern oder dem Stillen umgehen sollen“, berichtet Gilles. Häufig werden dann Medikamente überstürzt abgesetzt oder gar nicht erst verschrieben, mit teils schwerwiegenden und eigentlich unnötigen Folgen für die Frauen.
Um auch langfristige Auswirkungen der SSRI bei PPD zu untersuchen, nutzte eine aktuelle Studie Daten einer norwegischen Kohortenstudie, bei der schwangere Frauen rekrutiert und nach der Geburt noch fünf Jahre weiter begleitet wurden. Rund 14 Prozent der Teilnehmerinnen entwickelte eine PPD, was mit dem weltweiten Durchschnitt übereinstimmt. Nur zwei Prozent (177 Frauen) davon bekamen nach der Geburt SSRI. Bei ihnen zeigte sich: Die Medikamente sorgten für eine bessere Beziehung der Eltern untereinander und verminderten die Verhaltensprobleme der Kinder. Negative Auswirkungen der SSRI auf die Psyche oder die kognitive Entwicklung der Kinder konnten die Forscher nicht feststellen. Damit legt die Analyse nahe, dass die Behandlung durchaus langfristig vorteilhaft ist.
Durch die besonderen Umstände ist die wissenschaftliche Evidenz zwar recht dürftig, bestätigt in der Regel aber die Beobachtungen aus der Praxis. Es gibt nur wenige randomisierte, kontrollierte Untersuchungen, die außerdem noch eine geringe Anzahl an Teilnehmerinnen aufweisen. Ein langes Follow-Up ist selten und aktive Kontrollen wie ähnliche Antidepressiva oder Psychotherapien kommen kaum vor. Zudem ist die Auswahl der Patientinnen oft nicht repräsentativ für die gesamte Bevölkerung. Selbst Meta-Analysen kommen zu gemischten Ergebnissen.
Dennoch deutet einiges darauf hin, dass SSRI gut verträglich und wirksam bei PPD sind. Ein Cochrane-Review von 2021 kommt beispielsweise zu dem Schluss, dass SSRI effektiver als Placebos sind. Er fand aber nicht genug Material, um SSRI mit anderen Antidepressiva, anderen Medikamenten oder Psychotherapien zu vergleichen. Auch über potenzielle Nebenwirkungen konnten die Autoren nichts sagen, zumal diese in den untersuchten Studien sehr unterschiedlich berichtet wurden. Für die Medikamente spricht, dass SSRI durch ihr hohes molekulares Gewicht nur in geringem Maße in die Milch zu gelangen. Citalopram etwa gilt als sicher während der Stillzeit.
Generell herrscht unter Fachleuten ein Konsens für SSRI in der Behandlung von PPD – auch, um das Risiko der Mutter zu vermindern, in späteren Schwangerschaften erneut an Depressionen zu erkranken. Eine Hürde dabei ist, dass es keine klaren Leitlinien gibt, an denen sich die behandelnden Ärzte orientieren können. Das zu ändern, könnte gegen die Verunsicherung sowohl bei den Frauen als auch beim Fachpersonal helfen.
„Der Nutzen einer medikamentösen Therapie übersteigt in der Regel das Risiko“, resümiert Gilles. „Letztendlich ist es immer eine individuelle Abwägung, die aber nur Ärztinnen und Ärzte gemeinsam mit den Frauen treffen können, wenn sie sich ausreichend mit der Materie auskennen.“
Quellen:
Dr. Maria Gilles, Leiterin der Spezialambulanz für Psychische Erkrankungen in der Zeit um die Geburt, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheimhttps://www.zi-mannheim.de/forschung/personen/person/286.html
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