In Deutschlands Krankenhäusern besteht das Risiko, sich mit Bakterien zu infizieren, gegen die viele Antibiotika wirkungslos sind. Eine neue Leitlinie empfiehlt den rationalen Umgang mit Antibiotika und den Einsatz sogenannter ABS-Teams gegen die Verbreitung resistenter Erreger.
Mit der weltweiten Einführung von Penicillin schien die Behandlung bakterieller Erkrankungen zu einem Kinderspiel zu werden. Allerdings tauchten bald schon die ersten Erreger auf, gegen die das vermeintliche Wundermittel keine Wirkung mehr zeigte. Durch die Entwicklung weiterer Antibiotika gelang es Forschern rasch, wieder die Oberhand über die Krankheitserreger zu erringen. In den vergangenen Jahrzehnten verschob sich das Kräftegleichgewicht dann langsam wieder: Viele Bakterienarten haben mittlerweile Resistenzen gegen mehrere Antibiotika ausgebildet und erschweren die Therapie von Patienten mit Infektionskrankheiten.
Ein Hauptgrund für die Zunahme der Resistenzen liegt in der allzu häufigen Verordnung von Antibiotika, insbesondere solcher mit einem Wirkungsspektrum gegen mehrere Bakterienarten: „Viele Ärzte verschreiben sogar Patienten mit einer Erkältung sofort ein Breitbandantibiotikum“, sagt Professor Winfried Kern, Leitender Arzt der Abteilung Infektiologie am Universitätsklinikum Freiburg. „Das ist unnötig, denn eine solche Behandlung begünstigt nicht nur die Entstehung resistenter Bakterien, sondern gefährdet auch die Gesundheit des Patienten.“ Laut WHO-Daten stieg der Anteil der Erreger, die gegen alle Breitbandantibiotika unempfindlich sind, in den letzten fünf Jahren um 50 bis 200 Prozent. Aber auch die ungenügende Einhaltung hygienischer Grundregeln in den Kliniken, so Kern, sowie der umfangreiche Antibiotika-Einsatz in Tiermast und Veterinärmedizin habe zu der schwierigen Situation beigetragen. Um die Verbreitung der multiresistenten Keime aufzuhalten, hat der Mediziner zusammen mit Kollegen aus Deutschland und Österreich eine neue S3-Leitlinie erstellt, die im Portal der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlich-medizinischer Fachgesellschaften abrufbar ist. Sie trägt den Namen „Strategien zur Sicherung rationaler Antibiotika-Anwendung im Krankenhaus“ und soll Klinikärzte beim sachgemäßen Umgang mit Antibiotika unterstützen. Auf dem diesjährigen Kongress für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin in Köln hat Kern nun das Konzept der Leitlinie präsentiert.
Besonderen Wert legt der Mediziner auf die flächendeckende Bildung von sogenannten Antibiotic Stewardship (ABS)-Teams, wie sie in US-amerikanischen Krankenhäusern bereits Standard sind. Einem solchen Team gehören in der Regel ein Infektiologe, ein Fachapotheker sowie Fachärzte für Mikrobiologie und der Hygieneverantwortliche des Krankenhauses an. „Wir müssen auch in Deutschland endlich entsprechende Strukturen schaffen, die ein interdisziplinäres Arbeiten in unseren Kliniken zum Wohle der Patienten mit bakteriellen Infektionen ermöglichen“, erklärt Kern. Das ABS-Team entwickelt lokal umsetzbare Empfehlungen über einen rationalen Antibiotika-Einsatz, hilft bei deren Implementierung und sorgt für die Aufklärung und Fortbildung des Krankenhauspersonals. Zusätzlich erhebt es Daten und Statistiken zum Antibiotikaverbrauch. Neben der Verkürzung der Therapiedauer und der Optimierung der Dosierung von Antibiotika sieht Kern einen weiteren wichtigen Schritt zur Resistenzbekämpfung in der frühen gezielten Behandlung: „Nach drei bis vier Tagen kennen wir normalerweise den Erreger und wissen, gegen welche Antibiotika er resistent ist, dann sollte ein Wechsel vom Breitbandpräparat zum erregerspezifischen Wirkstoff stattfinden.“ Doch alle präzise Diagnostik, so der Mediziner, nütze nichts, wenn es an geschultem Personal fehle, das dann die nötigen Schritte am Krankenbett umsetze. „Momentan haben wir in Deutschlands Krankenhäusern weniger einen Mangel an guter Labordiagnostik als an erfahrenen Infektiologen“, sagt Kern. „Viele Infektionen sind heute so komplex, dass ohne spezielle Expertise am Krankenbett eine optimale Behandlung nicht mehr gewährleistet werden kann.“
Um die unbefriedigende Situation an deutschen Kliniken zu verändern, findet Kern, seien neben zusätzlichen Investitionen vor allem Fortbildung und Aufklärung der Klinikärzte notwendig. „Nur weil ein Patient krank aussieht und der CRP-Wert im Blut erhöht ist, sollte der behandelnde Arzt nicht sofort ein Breitbandantibiotikum verschreiben“, sagt Kern. „Es gibt viele gute Studien, die belegen, dass man häufig ihren Einsatz vermeiden kann, ohne den Patienten zu schaden. Zum Beispiel gehen durch einen solchen Verzicht Infektionen mit dem Darmbakterium Clostridium difficile deutlich zurück.“ Wenn konkurrierende Arten in der Darmflora durch Breitbandantibiotika zurückgedrängt werden, vermehrt sich dieses normalerweise harmlose Bakterium und produziert Toxine, die lebensgefährlichen Durchfall auslösen können. Doch Kerns Maxime ist nicht der vollständige Verzicht von Breitbandantibiotika: „Wir müssen und wollen sie in einzelnen Fällen verabreichen, aber nur dann, wenn es medizinisch angezeigt ist“, sagt der Mediziner. „Wenn es uns mit Hilfe der Leitlinie gelingt, Antibiotika auch in deutschen Krankenhäusern rational und optimiert einzusetzen, haben wir gute Chancen, die vermeidbare Resistenzbildung tatsächlich auch zu vermeiden.“