Viele Patienten mit Vorhofflimmern profitieren von Antikoagulantien. Aber gebrechliche Senioren, die schon mit Vitamin-K-Antagonisten behandelt werden, sollte man besser nicht darauf umstellen. Warum, lest ihr hier.
Es ist eine Frage, die uns im klinischen Alltag häufig begegnet. Was tun wir bezüglich der Antikoagulation mit unseren hochbetagten und gebrechlichen Vorhofflimmerpatientinnen und -patienten, die noch mit Vitamin-K-Antagonisten (VKA) antikoaguliert sind? Sollten wir sie auf eines der neuen oralen Antikoagulantien (NOAK) umstellen, oder auf ihrer Medikation belassen?
Dieser Frage ist ein niederländisches Forscherteam nun in der FRAIL-AF-Studie nachgegangen, die auf dem ESC 2023 vorgestellt und in der Zeitschrift Circulation veröffentlicht wurde. Das Ergebnis war überraschend. Die Studie war mit der Hypothese gestartet, dass eine Umstellung auf NOAKs zu weniger schweren oder klinisch relevanten Blutungsereignissen bei gebrechlichen Patienten führen würde. Die Hypothese wurde jedoch bald nach Beginn der Studie verworfen, da sich mehr Blutungsereignisse im NOAK-Arm zeigten. Über den gesamten Beobachtungszeitraum war die Umstellung auf ein NOAK mit einer 69 %igen Zunahme schwerer oder klinisch relevanter Blutungskomplikationen assoziiert.
Eingeschlossen wurden ältere Patienten (Alter ≥ 75 Jahre) mit Vorhofflimmern (VHF) und einem Groningen Frailty Indicator (GFI) Score ≥ 3, die bereit waren auf ein NOAK zu wechseln. Ausgeschlossen wurden Patienten mit einer glomerulären Filtrationsrate < 30 ml/min/1,73 m2 und/oder valvulärem VHF. Diese Patienten wurden randomisiert, um auf ein NOAK zu wechseln oder die VKA-Therapie beizubehalten. Als primärer Endpunkt galten schwerwiegende Blutungen oder solche, die nicht schwerwiegend, aber klinisch relevant waren. Zu den sekundären Endpunkten gehörten thromboembolische Ereignisse.
Eine schwerwiegende Blutung wurde definiert als eine tödliche Blutung und/oder eine Blutung in einem kritischen Bereich oder Organ (intrakraniell, intraspinal, intraokular, retroperitoneal, intraartikulär, perikardial oder intramuskulär mit der Folge eines Kompartmentsyndrom), ein Hb-Abfall > 2 g/dl oder Blutungen, die eine Transfusion von mehr ≥ 2 EKs erforderten. Eine klinisch relevante Blutung führte zu einer persönlichen Konsultation und/oder erforderten ein medizinisches Eingreifen von medizinischem Fachpersonal oder führten sogar zu einer Krankenhausaufnahme. Der Beobachtungszeitraum betrug 12 Monate.
Auf welches NOAK die Versuchspersonen umgestellt wurden, war den behandelnden Ärzten überlassen. 8,6 % der Patienten wechselten auf Dabigatran, 50 % auf Rivaroxaban, 17 auf Apixaban und 17 % auf Edoxaban.
Untersucht wurden 662 Patienten, die auf eine NOAK wechselten und 661, die weiter INR gesteuert mittels VKA antikoaguliert wurden. Das mittlere Alter betrug 83 Jahre und der mittlere Frailty Score betrug 4. Zunächst hatte man den Wechsel auf das NOAK vollzogen, sobald der INR (International Normalized Ratio) unter 2 gesunken war. Da darunter vermehrte Blutungskomplikationen detektiert wurden, wurde das Regime kurz nach Beginn der Studie dahingehend verändert, erst ab einem INR von 1,2 auf eine NOAK umzustellen. Die Umstellung dauerte im Mittel 52 Tage.
Nach 163 Ereignissen, die den primären Endpunkt erfüllten, zeigten sich signifikant mehr Blutungen im NOAK-Arm (15,3 % vs. 9,4 %), so dass die primäre Hypothese, dass NOAKs weniger Blutungskomplikationen verursachen würden als VKAs, verlasst wurde. Es wurde genauer untersucht, ob die Ereignisse vor allem auf die Übergangszeit des Wechsels zurückzuführen waren. Das war aber nicht der Fall, da die Hazard Ratio erst nach 100 Tagen signifikant anstieg, als die Probanden bereits umgestellt waren. Über den gesamten Beobachtungszeitraum war die Umstellung auf ein NOAK mit einer 69 %igen Zunahme schwerer oder klinisch relevanter Blutungskomplikationen assoziiert. Was die Ereignisse des sekundären Endpunktes anging, so traten diese in beiden Gruppen in so geringer Anzahl auf, dass die Forscher selbst Abstand davon nahmen, Schlussfolgerungen zu diesen Endpunkten zu ziehen. Zumindest zeigte sich weder ein klarer Vorteil noch ein klarer Nachteil nach der Umstellung auf ein NOAK.
Die Studienautoren geben selbst an, mit ihrer Studie eine besonders vulnerable Patientengruppe zu beleuchten, die in den Zulassungsstudien für die NOAKs größtenteils ausgeschlossen wurde. Daten zu diesen Patienten stammten bisher nur aus Subgruppenanalysen der vier großen NOAK-Studien, in denen diese Patienten unterrepräsentiert waren. In der Diskussion sprechen die Studienautoren auch auf die COMBINE-AF-Studie an, in die die Daten aus allen 4 Studien eingegangen waren. Die Studie war zu dem Ergebnis gekommen, dass das Blutungsrisikos unabhängig vom Alter unter NOAKs geringer war, als das unter VKA.
Die niederländischen Forscher erklären die Unterschiede zu ihrer Studie damit, dass die Vorteile für die NOAKs vor allem dann bestanden, wenn man eine Neueinstellung mit NOAKs mit einer Neueinstellung auf VKA verglich, während in ihrer Studie Menschen untersucht wurden, die Vitamin-K-Antagonisten bereits einnahmen und vertrugen. Die Fragestellung war ja nicht, ob NOAK oder ein VKA zur Antikoagulation gewählt werden sollten, sondern ob man Menschen mit einem GFI-Score > 3 umstellen sollte. Ferner wurden die Vorteile von NOAKs bezüglich des Blutungsrisikos in der COMBINE-AF-Studie immer kleiner, je älter die Patienten wurden.
In Ergänzung zu diesen Ergebnissen der COMBINE-AF-Studie fanden sowohl die ROCKET-AF-Studie als auch die ARISTOTLE-Studie eine statistisch signifikante Auswirkung von Polypharmazie auf das Auftreten schwerer Blutungen. Die Vorteile der NOAK gegenüber VKA nahmen immer weiter ab, je mehr Medikamente eingenommen wurden. Zudem bezogen die Forscher in ihrer FRAIL-AF-Studie auch Aspekte der Gebrechlichkeit mit ein, die sonst wenig Beachtung finden, sich wahrscheinlich aber auch auf die Bioverfügbarkeit von Medikamenten auswirken. Darunter zum Beispiel Gewichtsverlust, Kommunikationsschwierigkeiten, Einsamkeit, Abhängigkeit von Anderen, geistige Verfassung und allgemeine körperliche Fitness, während andere Studien sich nur auf Polypharmazie und Multimorbidität konzentrierten.
Inwieweit die Ergebnisse auf Deutschland übertragbar sind, ist insofern fraglich, als die Studienautoren selbst angeben, dass die INR-Messungen in den Niederlanden sehr gut geregelt sind und auch Schwestern beinhalten, die Hausbesuche bei den Antikoagulierten durchführen. Es wäre eine interessante Fragestellung wie sich der Ärztemangel gerade im ländlichen Bereich in Deutschland auf die Sicherheit einer Antikoagulation mit VKAs auswirkt. Die Autoren geben selbst an, dass ihre Studie keine Rückschlüsse auf Behandelte mit einem niedrigen TTR-Wert (time in therapeutic range) zulässt und räumen ein, dass für solche Menschen eine Umstellung auf ein NOAK durchaus angemessen sein könnte.
Zusammenfassend zeigt die FRAIL-AF-Studie, dass die Umstellung einer INR-gesteuerten VKA-Behandlung auf einen NOAK bei stabil eingestellten, gebrechlichen älteren Patienten mit nichtvalvulärem Vorhofflimmern mit einem erhöhten Risiko von Blutungskomplikationen verbunden war. Insgesamt sollte nach Meinung der Autoren deshalb jede Umstellung nur nach einer sorgfältigen Abwägung vorgenommen werden.
Quelle:
Joosten et al.: Switching VKA to NOAC in frail patients with AF. Circulation, 2023. doi: 10.1161/CIRCULATIONAHA.123.066485.
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