Die Ärztin Kristina Hänel wurde verurteilt, weil sie Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen auf ihrer Website veröffentlichte. Grund dafür ist Paragraf 219a, der Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft unter Strafe stellt. Jetzt fordern viele: Der Paragraf muss weg.
Ende November hat das Landgericht Gießen die Ärztin Kristina Hänel zu 6.000 Euro Geldstrafe verurteilt. Sie führt in ihrer Gießener Praxis Schwangerschaftsabbrüche durch. Auf ihrer Homepage, hat sie über diese Möglichkeit informiert (Az. 507 Ds - 501 Js 15031/15) – über einen Link konnten Interessierte eine pdf-Datei öffnen, die vor allem gesetzliche und medizinische Informationen zu Abtreibungen enthielt. Sie wurde dafür nicht nur harsch von radikalen Abtreibungsgegnern kritisiert, sondern nach Paragraf 219a Strafgesetzbuch auch bestraft. „Der Gesetzgeber möchte nicht, dass über den Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit diskutiert wird, als sei es eine normale Sache“, argumentierte die vorsitzende Richterin. .
Damit stehen Ärzte vor einem Dilemma. Schwangerschaftsabbrüche sind nach geltendem Recht keine medizinischen Dienstleistungen im üblichen Sinne, sondern eine strafbare Handlung (§ 218 Strafgesetzbuch (StGB)). Davon sind Frauen ausgenommen, die sich vorab beraten lassen und deren Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen zurückliegt (§ 218a StGB, § 219 StGB). Laut § 13 Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG) müssen die Bundesländer ein „ausreichendes Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen“ sicherstellen. Frauen steht eine „freie Wahl unter den Ärzten, Ärztinnen und Einrichtungen, die sich zur Vornahme des Eingriffs (...) bereit erklären“ (§ 21 SchKG) zu. Ist die Wahlfreiheit aber noch gewährleistet, wenn Ärzte und Ärztinnen nach aktueller Gesetzeslage nicht veröffentlichen können, wer welche Schwangerschaftsabbruchmethoden anbietet? „Der § 219a StGB und seine juristische Auslegung führen leider dazu, dass es Frauen schwer gemacht wird, ihr Recht auf Information wahrzunehmen“, schreibt pro familia in einer Stellungnahme. Abtreibungsgegner würden entsprechende Passagen nutzen, um Ärzte einzuschüchtern.
Der Passus verbietet Werbung für Schwangerschaftsabbrüche gegenüber Laien. Laut einschlägigen Rechtskommentaren soll damit verhindert werden, entsprechende Eingriffe zu kommerzialisieren. Was auf den ersten Blick sinnvoll erscheint, geht mit Nachteilen einher.
© dejure.org Viele Formulierungen im StGB gehen auf das bis heute gültige Reichsstrafgesetz von 1872 zurück. Nach mehreren aus damaligem Blickwinkel liberal anmutenden Novellierungen zum Strafmaß führte das NS-Regime ab 1933 die zuvor ersetzten Paragraphen 219 und 220 wieder ein. Weite Passagen aus Zeiten der Nazi-Diktatur haben sich in ihrer unpräzisen, vage formulierten Form bis in unsere Zeiten gehalten:
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„Diese Vorschrift richtet sich nicht nur gegen Ärzte und deren Personal, sondern gegen jedermann“, erklärt der Gynäkologe Dr. Christian Albring. Als Präsident des Berufsverbands der Frauenärzte hat er sich intensiv mit der Problematik befasst. Einheitliche Auffassungen zu der Frage, ob diese Vorschrift abzuschaffen sei, gibt es seiner Meinung nach innerhalb der Ärzteschaft nicht. „Es kann strittig diskutiert werden, ob das Recht auf Information der Frauen durch diese Vorschrift unzulässig eingeschränkt wird oder ob dieses durch die Möglichkeit, entsprechende Adressen über Ärzte und Beratungsstellen benannt zu bekommen, noch gewährleistet ist“, erklärt Albring. „Eindeutig zu kritisieren ist die missbräuchliche Ausnutzung dieser Strafvorschrift durch verschiedene Initiativen von Abtreibungsgegnern, die systematisch Ärzte, die Frauen in Not helfen und das bei der Darstellung ihres Leistungsspektrums auf ihrer Website – in der Regel in Unkenntnis dieser Rechtslage – erwähnen, strafrechtlich anzeigen.“ Albring fordert deshalb eine Überarbeitung von § 219a StGB. Er findet, sachgerechte Information dürften nicht mehr unter Strafe gestellt werden. Zu einer ähnlichen Einschätzung kamen Delegierte der Landesärztekammer Hessen. In ihrem Kammerbezirk fand das Gerichtsverfahren gegen Kristina Hänel statt. Vertreter der Ärzteschaft fordern, den § 219a so zu novellieren, dass eine sachgerechte Information nicht mehr bestraft werden kann. „Wenn bei einer Überarbeitung herauskommt, dass der Paragraf nicht mehr nötig ist, dann kann er auch gestrichen werden“, konstatiert Dr. Gottfried von Knoblauch zu Hatzbach, Präsident der LÄK Hessen. „Das ist ergebnisoffen und nicht unsere Aufgabe, es zu beurteilen.“ Professor Dr. Maria Wersig, Juristin und Dozentin an der FH Dortmund, geht noch einen Schritt weiter: „Der Schwangerschaftsabbruch ist eine medizinische Dienstleistung für Frauen in einer Notlage. Darüber müssen Ärztinnen und Ärzte öffentlich sachlich informieren dürfen, ohne sich der Gefahr einer Strafverfolgung ausgesetzt zu sehen.“
Deutlich kritischere Töne kommen vom Verein „Ärzte für das Leben“. „Es ist wichtig, dass für Abtreibung nicht geworben werden darf, sie sind kein Teil des normalen medizinischen Betriebs“, wird der Vorsitzende Professor Dr. Paul Cullen in einer Meldung zitiert. Weiter heißt es in der Stellungnahme: „Bei jeder Abtreibung wird ein wehrloser Mensch vorsätzlich getötet. Eine Werbung für diese weiterhin rechtswidrige Handlung habe in einer humanen Gesellschaft keinen Platz. Thomas Sternberg, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), bestätigt diese Auffassung: „Der Schwangerschaftsabbruch ist außer bei medizinischen oder kriminologischen Indikationen rechtswidrig und nur unter klar gefassten Bedingungen in den ersten drei Monaten straffrei. Es ist folgerichtig, dass in § 219a auch die Werbung für den Schwangerschaftsabbruch verboten wird, denn wenn etwas der Rechtsordnung widerspricht, kann es keine normale ärztliche Leistung sein.“
Die verurteilte Dr. Kristina Hänel gibt sich nicht geschlagen. Ihre Verteidigerin kündigte an, das Urteil mit einer Revision anzufechten. Ihre Mandantin habe keine „appellative Werbung“ betrieben, sondern auschließlich informiert. Hänel selbst hatte vor dem Urteil gesagt, dass sie notfalls auch vor das Bundesverfassungsgericht klagen werde. Ihre Petition an den Deutschen Bundestag wird von mehr als 137.000 Bürgerinnen und Bürgern unterstützt. Ziel ist, Frauen ein Informationsrecht über Schwangerschaftsabbrüche einzuräumen – und den umstrittenen § 219a zu kippen oder zu novellieren. Am 12. Dezember will sie die Unterschriften an Abgeordnete des Deutschen Bundestags überbringen. Das Thema steht schon jetzt politisch auf dem Programm. Die SPD-Bundestagsfraktion will Änderungen über Parteigrenzen hinweg durchsetzen. „Eine interfraktionelle Initiative ist gerade bei solchen Themen gut, die wie Paragraf 219a StGB in besonderer Weise die Rechte von Frauen betreffen“, erklärt SPD-Rechtspolitikerin Eva Högl. Sie berichtet von einem Gesetzesentwurf zur Streichung der umstrittenen Stelle im Strafgesetzbuch.