Zu viel Diclofenac über einen Zeitraum von 4 Jahren – das Ergebnis: Nierenversagen, Operation, Spenderniere. Der prominente Fall von Ivan Klasnic ist nur einer von vielen Höhepunkten des Schmerzmittelmissbrauchs im Sport.
Dass der ehemalige Profi Ivan Klasnic von Werder Bremen und St. Pauli auch mit Spenderniere noch auflief, war sicher nicht alltäglich – der zunehmende Konsum von Diclofenac und Co. hingegen ist es schon. Die übermäßige Einnahme von Analgetika ist dabei keineswegs auf eine bestimmte Sportart beschränkt: Von Marathonläufern, Radfahrern, Schwimmern bis hin zu Handballern ist die Schmerzmitteleinnahme weit verbreitet. Ebenso ist unerheblich, ob die Personen jung oder alt sind, Profis oder Hobbysportler. Eine Korrelation wurde allerdings bei Läufern zur Einnahme von NEMs festgestellt. Wer ohnehin bereits Pillchen schluckte, greift offenbar auch schneller zu Schmerzmitteln.
Insgesamt nehmen in Deutschland laut einer aktuellen Studie rund 1,9 Millionen Menschen täglich Schmerzmittel; 1,6 Millionen leben bereits mit einer Abhängigkeit. Bei 7,6 % der Ermittelten liegt laut Studie ein schädlicher Konsum vor. Die Bandbreite an möglichen Schäden ist dabei durchaus weit: Je nach Substanz und Höhe der Dosierung sind Auswirkungen auf das muskuloskelettale System, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Infarkte oder irreparable Nierenschäden möglich – nicht zuletzt steigt bei regelmäßiger Einnahme auch das Risiko einer Chronifizierung der Beschwerden.
„Teils bemerken Patienten die Schädigung erst, wenn schon 50 Prozent ihrer Nierenfunktion verlorengegangen sind und das auch nur, wenn ein Arzt rechtzeitig Veränderungen beim Kreatinin-Wert feststellt und die möglichen Folgen richtig kommuniziert“, beschreibt Prof. Julia Weinmann-Menke, Sprecherin der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie und Leiterin des Schwerpunkts Nephrologie an der Universitätsmedizin Mainz ein weiteres spezifisches Risiko der Schmerzmitteleinnahme.
Auch hier ist die Klasnics Geschichte beispielhaft. So verzeichneten die Ärzte bereits 2001 auffällige Nierenwerte – änderten jedoch nichts an der Medikation, bis der Kroate Ende 2005 mit einer akuten Blinddarmentzündung ins Krankenhaus eingeliefert wurde. In diesen vier Jahren erhält er weitere 3250 mg Diclofenac, was sein Übriges an Nierenschädigung tut. Es folgten OPs und im Nachgang die Klage des Spielers gegen die Mannschaftsärzte von Werder Bremen.
Auch wenn der Deutschen liebster Sport Vorreiter in Sachen Schmerzmittelmissbrauch ist (bis zu 57 % aller Fußballer sind betroffen), gibt es auch andere Beispiele für die ausufernden Ausmaße der suchtartigen Einnahme von Analgetika. So zeigt die Selbstauskunft von Teilnehmern einer Studie unter Handballern: Rund 30–40 % der Sportler nehmen entsprechende rezeptfreie Mittel, ohne dass körperliche Schmerzen vorliegen. Häufig sei dies auf den Leistungsdruck im Profibereich zurückzuführen. Eine aktuelle Studie mit Handballern untermauert die Vermutung anschaulich. Hier griffen in erster Linie weibliche Athleten, ältere Spieler, Vertragsspieler und nicht als Stammspieler eingeschätzte Spieler häufiger zu den Painkillern.
Dass die Psyche ein nicht zu unterschätzender Faktor ist, macht eine weitere Studie unter Kindern und Jugendlichen im Leistungssport deutlich. Dort sei die Bereitschaft, unter Schmerzen und in die Schmerzen hineinzutrainieren, Teil eines fest verankerten „No pain, no gain“-Gedankens, der „unterstützt durch intrinsische (Ambition) und extrinsische (Trainer, Betreuer, Eltern) Motivation […] das so genannte ‚Playing hurt‘-Phänomen“ hervorruft.
Dass der Nachwuchs sich ohnehin bereits aufgrund natürlichen Wachstums sowie sportbedingter Anpassungsvorgängen in einer körperlichen Stresssituation befindet, kann die Weichen frühzeitig auf strukturelle Schäden stellen. So werteten die Forscher aus, dass „eine ärztlich verordnete und begleitete Einnahme hinsichtlich Dauer, Dosis und Wirkstoffkombinationen in zu vielen Fällen nicht [stattfinde]. Der Konsum erfolgt nicht nur zur Kompensation von postexpositionellen Schmerzzuständen sondern auch prophylaktisch.“
Dass die Gesamtproblematik derweil auch politisch erkannt wurde und sich erste Personen in Berlin regen, geht auf die Initiative der ARD-Doping-Redaktion zurück, die die gesamtgesellschaftliche Gefahr noch einmal deutlich machte. So tagte 2021 erstmals der Sportausschuss zum Thema „Schmerzmittelkonsum in der Gesellschaft allgemein und im Sport im Besonderen.“
Das vorläufige Ergebnis, um der Sucht entgegenzutreten? Unter anderem wurde eine Aufnahme der Schmerzmittel zur Rezeptpflicht gefordert. Dazu müsse der Fokus auf Prävention und Aufklärung gelegt werden – und die beteiligten Akteure müssten sensibilisiert werden. Ähnliche Punkte machten die Forscher als Maßnahmen für den Jugendbereich aus: „Es bedarf daher auch im Nachwuchsbereich eines besseren Monitorings von Schmerzzuständen und einer angemesseneren Würdigung von anhaltenden Schmerzen.“
Und Ivan Klasnic? Der kroatische Nationalspieler musste sich einer weiteren Operation unterziehen, setzte auch mit der nächsten Niere seine Sportkarriere bis 2013 – neben fortlaufenden Gerichtsprozessen – fort und gewann den Vergleich mit den Bremer Ärzten in 2020. Als Spielerberater gibt er nun seine Erfahrung im Umgang mit Schmerzmitteln weiter und schafft in seinem Umkreis Bewusstsein für eine maßvolle Selbstmedikation.
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