Chirurgie ist nach wie vor Männersache. Aber sind Patienten bei Chirurginnen vielleicht in besseren Händen?
Nur rund jeder 5. Chirurg in deutschen Kliniken ist weiblich. Dabei scheinen die skalpellschwingenden Frauen im OP bessere Ergebnisse zu erzielen – darauf deuten zumindest zwei Studien hin, die zeitgleich in JAMA Surgery erschienen sind. Was ist dran?
Für die erste Studie analysierten Christopher J. D. Wallis und Kollegen die Daten von über einer Million Patienten in Ontario, Kanada, die sich von Januar 2007 bis Dezember 2019 einer von 25 gängigen elektiven oder Notfall-Operationen unterzogen haben. Von diesen Patienten wurden 151.054 von weiblichen und 1.014.657 von männlichen Chirurgen behandelt. Insgesamt hatten 14,3 % der Patienten nach 90 Tagen und 25 % nach einem Jahr ein oder mehrere ungünstige postoperative Ergebnisse. Von diesen Patienten starben 2 % innerhalb von 90 Tagen und 4,3 % innerhalb von einem Jahr. Interessanterweise wiesen Patienten, die von weiblichen Chirurgen behandelt wurden, dabei im Vergleich zu männlichen Chirurgen eine deutlich geringere risikobereinigte Wahrscheinlichkeit negativer postoperativer Ergebnisse nach 90 Tagen auf (13,9 % vs. 12,5 %; bereinigte OR 1,08, 95 % KI 1,03–1,13).
Diese Patienten schnitten auch ein Jahr nach der Operation besser ab: 20,7 % hatten ein unerwünschtes postoperatives Ereignis, verglichen mit 25 % der Patienten, die von männlichen Chirurgen behandelt wurden (aOR 1,06, 95 % KI 1,01–1,12). Ähnlich waren die Ergebnisse bezüglich der Sterblichkeit nach 90 Tagen (0,8 % gegenüber 0,5 %; aOR 1,25, 95 % KI 1,12–1,39) und nach einem Jahr (2,4 % vs. 1,6 %; aOR 1,24, 95 % CI 1,13–1,36).
Die Forscher haben sich natürlich größte Mühe gegeben, um ihre Analyse um Störgrößen zu bereinigen. Daher sollten die Ergebnisse nicht dadurch verfälscht sein, dass die von weiblichen Chirurgen behandelten Patienten im Schnitt jünger waren und weniger Komorbiditäten hatten als Patienten, die von ihren männlichen Kollegen behandelt wurden. Allerdings gab es auch einige Aspekte, die die Forscher nicht erfassen konnten, wie sie schreiben. Dazu gehören etwa die berufliche Hierarchie, die Ausbildung des Chirurgen und auch die Komplexität der einzelnen Fälle.
Letzteres könnte insofern wichtig sein, als dass männliche Chirurgen häufiger komplexere Eingriffe vornehmen als ihre weiblichen Kollegen, wie eine frühere US-Studie zeigt. Das geht wiederum mit einem höheren Risiko für Komplikationen einher. Weitere mögliche Verzerrungen liegen in der Natur des Studiendesigns – immerhin handelte es sich um eine Beobachtungsstudie und keine randomisierte kontrollierte Studie.
Wallis und Kollegen machen darauf aufmerksam, dass die Unterschiede in den postoperativen Ergebnissen zwar bei elektiven Eingriffen auftraten – nicht aber bei Notfalleingriffen. Das deutet laut der Autoren darauf hin, dass womöglich präoperative Faktoren eine große Rolle für das Outcome spielen, einschließlich der Patientenauswahl und der Arzt-Patienten-Kommunikation. Dass sich Ärzte und Ärztinnen hierhin unterscheiden, haben schon frühere Arbeiten gezeigt.
In einem begleitenden Editorial schreibt Chirurg Martin Almquist: „Es gibt Hinweise darauf, dass weibliche Chirurgen eher patientenorientierte Entscheidungen treffen, eher zur Zusammenarbeit bereit sind und die Patienten für die Operation sorgfältiger auswählen“, so Almquist. „Diese Unterschiede könnten sich in unterschiedlichen Ergebnissen für weibliche und männliche Chirurgen niederschlagen.“ Die Untersuchung solcher Unterschiede sei deshalb wichtig, denn sie könne wichtige Erkenntnisse darüber liefern, wie sich ungünstige Ergebnisse vermeiden lassen.
In der zeitgleich in JAMA Surgery erschienen schwedischen Studie kommen Wissenschaftler zu ganz ähnlichen Ergebnissen. Darin haben sich die Autoren auf einen bestimmten Eingriff konzentriert: Die Cholezystektomie. Für die Analyse verwendete das Forscherteam um Chirurgin My Blohm Daten aus dem schwedischen Register für Gallensteinchirurgie von allen Patienten, die sich von Januar 2006 bis Dezember 2019 einer Cholezystektomie unterzogen – insgesamt 150.509 Patienten. Von diesen Patienten unterzogen sich 64,9 % einer elektiven Cholezystektomie und 35,1 % einer akuten Cholezystektomie, die von insgesamt 2.553 Chirurgen durchgeführt wurden. Davon waren 33,3 % Frauen und 67,7 % Männer. Wie die Autoren schreiben, führten Chirurginnen weniger Cholezystektomien pro Jahr durch und waren an Universitäten und Privatkliniken etwas stärker vertreten.
Bei Patienten, die von männlichen Chirurgen behandelt wurden, traten mehr chirurgische Komplikationen (OR 1,29, 95 % CI 1,19–1,40) und Gesamtkomplikationen (OR 1,12, 95 % CI 1,06–1,19) sowie mehr Gallengangsverletzungen bei elektiven Eingriffen (OR 1,69, 95 % CI 1,22–2,34) auf. Ihre Patienten hatten zudem längere Krankenhausaufenthalte (OR, 1,21; 95 % CI, 1,11–1,31). Bei akuten Operationen gab es hingegen keinen signifikanten Unterschied.
Die Forscher stellten außerdem fest, dass die Chirurginnen signifikant länger für den jeweiligen Eingriff brauchten: Zwischen männlichen und weiblichen Chirurgen gab es einen mittleren Unterschied in der Operationszeit von -7,96 Minuten für alle Operationen, -6,59 Minuten für elektive Operationen und -9,27 Minuten für Akutoperationen. Martin Almquist erklärt: „Die Tatsache, dass weibliche Chirurgen Operationen mit weniger Komplikationen, aber längeren Operationszeiten durchführten, deutet darauf hin, dass das Motto: ‚Slow is smooth, and smooth is fast‘ auch für die Chirurgie gilt.“
Die Studienergebnisse sind zweifellos interessant – auch wenn sie allenfalls Hinweise dafür liefern können, dass Frauen im OP womöglich bessere Ergebnisse erzielen. Noch interessanter sind die Fragen, die sich anschließen: Was sind die Gründe dafür? Und worin genau bestehen die Unterschiede in der Arbeitsweise von Chirurgen und Chirurginnen? Die Antworten darauf sind wichtig. Die Ermittlung der Unterschiede in der Art und Weise, wie männliche und weibliche Ärzte ihre Patienten versorgen, könnte zu einer besseren Versorgung in allen medizinischen Bereichen führen – unabhängig vom Geschlecht der Ärzte.
Bildquelle: National Cancer Institute, unsplash