Wissenschaftler haben eine effektive Strategie entwickelt, mit der sich Autoimmunerkrankungen künftig besser behandeln lassen könnten. Im Tierversuch hat eine stufenweise Desensibilisierung mit einer antigen-spezifischen Immuntherapie erfolgversprechende Ergebnisse erzielt.
Autoimmunerkrankungen wie Multiple Sklerose, Typ-1 Diabetes und rheumatoide Arthritis haben eins gemeinsam: Bei allen diesen Erkrankungen kommt es zu chronischen Entzündungen im Körper, weil das Immunsystem fälschlicherweise gesundes Gewebe angreift. Das geschieht, weil das Immunsystem körpereigene Zellen nicht von potentiell schädlichen Fremdstoffen unterscheiden kann.
Eine aktuelle Studie in Nature Communications zeigt, dass ein Behandlungskonzept, das bei der Therapie von Allergikern bereits seit über hundert Jahren zum Einsatz kommt, auch bei der Behandlung von Patienten mit einer Autoimmunerkrankung erfolgversprechend sein könnte. Bei der „allergischen Desensibilisierung“ wird der Patient nach und nach an das allergieauslösende Antigen gewöhnt. Eine kontinuierlich steigende Dosiserhöhung ist unbedingt notwendig, um die Nebenwirkungen dieser Therapie so gering wie möglich zu halten. Diese können bei Allergikern von schwach ausgeprägten Allergiesymptomen bis hin zum lebensbedrohlichen, anaphylaktischen Schock reichen. Die fehlgesteuerten Immunzellen wandeln sich dabei mit der Zeit in unschädliche Zellen um.
Auch Autoimmunerkrankungen wurden in den letzten Jahren intensiv beforscht. Folgende zwei Kriterien sollte eine erfolgreiche Therapie erfüllen: Um die Lebensqualität der Patienten nachhaltig zu verbessern, sollte der Behandlungserfolg möglichst lange anhalten und die normale Funktion des Immunsystems möglichst unbeeinflusst lassen. Der Therapieansatz aus der Allergologie, der auch als antigen-spezifische Immuntherapie bezeichnet wird, führte in einigen klinischen Studien auch bei Autoimmunerkrankungen bereits zu vielversprechenden Behandlungserfolgen. Welche Dosis dabei sicher für den Patienten ist und dennoch zu einem langanhaltenden Schutzeffekt führt, war bisher unklar. Auch der molekulare Mechanismus, der zu einer zunehmenden Toleranz des Patienten führt, war bislang noch nicht verstanden. „Bekannt war bisher lediglich, dass CD4+-T-Zellen und der Botenstoff Interleukin-10 in diesem therapeutischen Ansatz eine wichtige Rolle spielen“, schreiben die Forscher der University of Bristol in Großbritannien. Die Wissenschaftler haben nun wichtige Aspekte dieser Therapieform aufgeklärt und damit möglicherweise die Basis für effektivere Behandlungsmöglichkeiten von Autoimmunerkrankungen geschaffen.
In ihrer Studie nahmen die Wissenschaftler eine bestimmte Klasse von Leukozyten, die CD4+-T-Zellen, unter die Lupe. Diese Zellen sind normalerweise maßgeblich an der Bekämpfung von Infektionen beteiligt, bei Menschen mit einer Autoimmunerkrankung spielen sie jedoch regelrecht verrückt und sorgen für Entzündungen. An diesem Prozess ist auch der Botenstoff Interleukin-10 beteiligt, der bei gesunden Menschen den Organismus davor schützt, sich durch übersteigerte Entzündungsprozesse selbst zu zerstören.
Die Untersuchungsergebnisse der Forscher zeigten zunächst, dass subkutan verabreichte Peptid-Epitope effektiver als inhalativ verabreichte sind. Außerdem bestätigten ihre Versuche, dass eine langsame Dosissteigerung des Antigens effektiver und sicherer ist, als eine mehrmalige Behandlung mit einer hohen Dosis des Stoffes.
Zur Aufklärung der molekularen Mechanismen behandelten die Forscher Mäuse mit zunehmenden Mengen von Proteinfragmenten, die normalerweise Angriffsziel der CD4+-Zellen sind. Dabei untersuchten sie, welche Gene innerhalb der CD4+-Zellen bei diesem Prozess aktiviert werden. Sie stellten fest, dass bei zunehmenden Proteinmengen, die sie den Tieren verabreichten, immer mehr Gene, die Entzündungen und Zellzyklus-Stoffwechselwege steuern, abgestellt werden. Das wandelte die einst aggressiven Zellen in schützende Immunzellen um. Die Ablesehäufigkeit der charakterisierten Gene in CD4+-T-Zellen könnte zukünftig als Marker dienen, wenn es darum geht, den Therapieerfolg bei der Behandlung einer Autoimmunerkrankung zu überprüfen.
Mit diesem Wissen gelang es den Forschern, eine optimierte, sukzessive Dosissteigerung zu entwickeln, die die Selbsttoleranz effektiv wieder in Kraft setzte. Anstatt sich selbst anzugreifen, ignorierten die Immunzellen das körpereigene Gewebe zunehmend. Dazu mussten keine immunsupprimierenden Mittel verabreicht werden, die zu teils schweren Nebenwirkungen wie Infektionen und Tumoren führen können. Studienleiter David Wraith erklärte in einer Pressemeldung der Universität Bristol: „Unsere Studienergebnisse könnten für viele Patienten mit schwer behandelbaren Autoimmunerkrankungen sehr nützlich sein.“ Derzeit wird an der klinischen Weiterentwicklung einer Therapie gearbeitet.