Der Begriff der digitalen Umarmung scheint paradox. Forscher zeigten nun jedoch, dass das Zeigen von Zuneigung auch funktioniert und das gleiche Gefühl auslösen kann. Spread Digital Love!
Was hat der körperliche Akt der Umarmung mit der digitalen Welt zu tun, in der wir physisch meist weit voneinander entfernt sind? Lässt sich das, was wir mit einer Umarmung verbinden vielleicht nicht allein auf physische Eigenschaften reduzieren? Diesen Fragen ist ein internationales Forschungsteam in einer aktuellen Studie nachgegangen. Sie analysierten, dass die Erfahrung einer Umarmung und die daraus resultierenden Gefühle von Geborgenheit, Fürsorge, Trost und Verbundenheit, aus einem komplexen Zusammenspiel verschiedener Komponenten entstehen. Und diese können zum Großteil auch in unseren digitalen Räumen bestehen und erzeugt werden.
Angeregt durch die Kontaktbeschränkungen während der COVID-19-Pandemie, führten die Forscher Umfragen über die Erfahrungen mit digitalen sozialen Interaktionen durch. „Einige Menschen schienen gut damit zurechtzukommen und feierten die Technologie und ihre Fähigkeit, soziale Beziehungen während einer schwierigen Zeit zu pflegen“, sagt Mark James, Erstautor der Studie. „Auf der anderen Seite gab es eine Gruppe von Menschen, die offensichtlich über die Situation verärgert war. Als Ausgangspunkt unserer Forschung erkannten wir, dass soziale Interaktion nicht allein durch die Technologie bestimmt wurde. Was man vor, während und sogar nach der Interaktion getan hat – oder was über die Interaktion selbst denkt – wurde für die Wahrnehmung der sozialen Online-Interaktion relevant.“
Um zu verstehen, wie es zu dieser Vielfalt an Wahrnehmungen kommen kann, analysierten die Forscher zunächst die körperliche Umarmung als Beispiel und untersuchten ihre Komponenten. Die Wissenschaftler verwendeten ein Analyseraster namens Mixed Reality Interaction Matrix (MRIM), das als Mittel zur Untersuchung der Wahrnehmung einer Umarmung (oder jeder anderen Erfahrung) dient, indem es in die dazu beitragenden physischen, virtuellen und imaginären Elemente zerlegt wird. „Das bedeutet nicht, dass alle Komponenten gleichermaßen dazu beitragen. Vielmehr ermöglicht es eine solche Karte, darüber nachzudenken, welche Komponenten relevanter sind und somit mehr zur Erfahrung beitragen. Es ist ein Versuch, die Elemente einer subjektiven Wahrnehmung zu erfassen“, erläutert James.
Die Ergebnisse zeigten, dass fast jede Komponente der Umarmung – außer der zwischenmenschlich-physischen Komponente – in den digitalen Raum übertragbar war. In einigen Fällen ließen sich Elemente sogar verstärken. „Wenn Menschen bestimmte Komponenten der Interaktion hochfahren können, scheinen sie in der Lage zu sein, fehlende Komponenten, wie z. B. körperliche Berührung, zu kompensieren“, so Studienautor James. „Gute soziale Interaktionen zeichnen sich auch im digitalen Bereich dadurch aus, dass die Menschen die richtigen Fähigkeiten zur richtigen Zeit auf die richtige Art und Weise einsetzen, was wiederum ein Gefühl von Bedeutung, Verbundenheit und Fürsorge in diesen Räumen hervorrufen kann". Er fügte hinzu: „Digitale Umarmungen sind größtenteils eine Frage des Könnens.“ – eines digitalen Taktgefühls.
„Die Menschen, die digitales Taktgefühl haben, wissen, dass es auch im Online-Raum Normen und Konventionen gibt, dass es bewährte Praktiken gibt und dass sich in diesem Raum auch andere Menschen aufhalten, Menschen mit Körpern, die Emotionen und Bedürfnisse haben, von denen sich manche von den eigenen unterscheiden. Der Begriff des Taktgefühls, den wir aus dem persönlichen Umgang kennen und der das Taktile beinhaltet, soll uns daran erinnern, dass es tatsächlich verkörperte Personen mit all ihren körperlichen Bedürfnissen sind, die weiterhin Online-Räume bevölkern, auch wenn wir manchmal nur mit ihren Avataren interagieren, sagen die Studienautoren. Die Studie zeigt, dass verkörperte soziale Interaktion zwar nicht vollwertig ersetzt werden kann, es aber auch im digitalen Umgang Mittel gibt, verkörperte soziale Interaktionen aufrechtzuerhalten und sogar zu verbessern.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung des Okinawa Institute of Science and Technology (OIST) Graduate University. Hier findet ihr die Originalpublikation.
Bildquelle: Markus Winkler, unsplash.