Lieferprobleme ade? Leider nein, leider gar nicht. Denn was einfach nicht zu bestellen ist, bekommen wir Apos auch nicht mit der 50-Cent-Pauschale herbeigezaubert. Und dann wäre da ja noch die Sache mit der Bevorratung.
Nachdem das ALBVVG endlich in Kraft getreten ist, dürften die Lieferprobleme für Kinderarzneimittel nun dem Ende entgegengehen, oder nicht? Kürzlich freute sich eine junge Mutter in der Apotheke noch, dass es ja jetzt „zum Glück vorbei“ sei mit den Problemen, an Paracetamol-Saft für ihr Kind zu kommen. Sie hatte in der Zeitung gelesen, dass Lauterbach dafür sorgen will, dass es diesen Winter anders wird. Und außerdem bekommen die Apotheken doch jetzt auch mehr Geld fürs Besorgen, oder? Tatsächlich ist eigentlich das Gegenteil der Fall und Unmögliches lässt sich nicht einfach bestellen – nicht einmal für 50 Cent extra.
Die Apotheken erhalten – mit einigen Tagen Verspätung, da die technische Umsetzung schwieriger war als gedacht – seit Anfang August die 50-Cent-Pauschale, wenn sie aufgrund von Lieferengpässen ein Medikament austauschen müssen. So weit, so fair möchte man meinen, doch ärgere ich mich inzwischen beinahe, dass wir uns immer rechtzeitig darum bemühen, alles so zu bestellen, wie es die Rabattverträge verlangen. Wie es der Phagro-Vorsitzende Marcus Freitag und sein Stellvertreter Lothar Jenne in einem Brief an Lauterbach bereits schrieben: Der Beschaffungsmarkt für schlecht lieferbare Arzneimittel ist ein „Spotmarkt“ geworden. Das bedeutet für uns in der Apotheke, dass wir, wenn wir sehen, dass ein solches Medikament gerade zufällig bei einem Großhandel oder beim Hersteller selbst lieferbar ist, direkt zuschlagen. Dann bestellen wir nicht eine Packung, sondern gleich zehn oder zwanzig, um die kommenden Wochen abdecken zu können. Das bläht unser Lager teilweise unnötig auf, aber wir haben ja aufgrund der weiteren Nichtlieferbarkeiten Kapazitäten.
Können wir nun ein Rezept aufgrund dieses Einkaufsverhaltens mit dem gewünschten Produkt beliefern, weil wir im Einkauf schnell reagiert haben, dann erhalten wir gar nichts. Eine Apotheke, die anders agiert, also nicht sofort bestellt, sobald sich ein kurzfristiges Fenster öffnet, die nimmt ein Austauschprodukt statt dem Rabattarzneimittel, bedruckt das Rezept entsprechend und erhält die 50-Cent-Pauschale. Klug ist also, wer sich gar nicht erst die Mühe macht, den Kassen Geld zu sparen.
Dass der Lagerhalter der Dumme ist, das hat wohl auch Lauterbach bemerkt, und aufgrund der berechtigten Sorge, dass es diesen Winter wieder Probleme bei der Versorgung der Kinder mit schmerz- und fiebersenkenden Medikamenten sowie Antibiotika geben wird, hat er eine dringende Bitte an den Großhandel geäußert: Man möge doch bitte die Bevorratung, also die Beschaffung und die Lagerhaltung dieser Medikamente, intensivieren. Dafür wurde sogar eine Dringlichkeitsliste erstellt, die man beim BfArM einsehen kann. Im Detail geht es hier um:
Im Gegensatz zu den Apotheken, bei denen diejenigen belohnt werden, die sich nicht rechtzeitig um eine Füllung ihres Lagers gekümmert haben, stellt Lauterbach dem Großhandel sogar eine Gegenfinanzierung in Aussicht. Diese kann geprüft werden, sollten diese Maßnahmen zu höheren Ausgaben führen.
Die Reaktion des Pharmagroßhandels kam prompt – in Form des bereits angesprochenen Briefes. Freitag und Jenne stellten klar, dass, wo nichts ist, auch nichts beschafft werden kann. Auch ohne die Liste und die finanziellen Anreize versuche der Großhandel mit allen Kräften, die Versorgung mit Arzneimitteln sicherzustellen. So wurden die etwa 400 Arzneimittel der Dringlichkeitsliste selbstverständlich geprüft und es habe sich gezeigt, dass „die Versorgungssituation für diese Arzneimittel bereits jetzt nicht nur angespannt, sondern äußerst prekär ist“. Bei mehr als einem Viertel konnte in den vergangenen Monaten gar nichts beschafft werden, weil die pharmazeutische Industrie keine Ware zur Verfügung gestellt habe. Vieles sei sogar von den Herstellern außer Vertrieb gesetzt worden, und bei über der Hälfte lieferten die pharmazeutischen Unternehmen nur 20 Prozent Ware aus, die der Großhandel ursprünglich geordert hatte. Es sei damit „objektiv unmöglich“, diese Medikamente zu beschaffen oder sogar Lagerbestände für den kommenden Winter aufzubauen. Stand heute könne damit für gut 85 Prozent der Arzneimittel dieser Liste weder der neu eingeführte Vier-Wochen-Bedarf, noch der grundsätzliche Zwei-Wochen-Bedarf beschafft und vorgehalten werden. Das klingt mehr als ernüchternd.
Erste Reaktionen auf die Liste des Ministers kamen auch von den Pädiatern. Thomas Fischbach, Präsident des Kinderärzteverbands, sagte in einem Interview mit der Rheinischen Post, er rechne nicht damit, dass die Maßnahmen der Ampel zu einem Ende der Arzneimittelknappheit in diesem Jahr führen werden. Er rät allen Eltern dazu, die Hausapotheke rechtzeitig vor dem Winter aufzufüllen, damit im Falle einer Erkrankung Fiebersäfte, Zäpfchen und andere Standardmedikamente nicht erst beschafft werden müssen.
Auch Hans-Peter Hubmann, Vorsitzender des Deutschen Apothekerverbandes (DAV), hält die Liste des Ministers nicht für geeignet, um eine Entspannung auf dem Arzneimittelmarkt zu erzielen. Er bezeichnete sie als „politischen Schnellschuss“, „realitätsfern und sogar kontraproduktiv“, da sie dazu führen könne, dass ein Kind aktuell nicht versorgt werden kann, weil ein bestimmtes Medikament gegen eine akute Infektion gerade woanders bevorratet wird. Ich bin der Ansicht, dass er damit absolut Recht hat. Die Probleme liegen nicht bei der Lagerhaltung und der mangelnden Beschaffungsbereitschaft des Großhandels, sondern ganz woanders. Eigentlich sollte man meinen, Lauterbach wisse das besser als jeder andere, aber vielleicht hat Hubmann auch da Recht. „Politische Schnellschüsse“, um der Bevölkerung zu suggerieren, dass sich der Gesundheitsminister für sie ins Zeug legt, wirken bei manchen offenbar beruhigend, so wie bei unserer eingangs erwähnten Kundin. Manchmal denke ich, dass es gut ist, dass der Otto Normalverbraucher nicht den Eisberg sieht, der sich unter der Oberfläche befindet – sonst hätten die unkontrollierten Hamsterkäufe für den Winter bereits begonnen.
Bildquelle: Kim Green, unsplash