Was ist das optimale Behandlungsfenster und wann ist der Einsatz von Kortisonpräparaten eher kontraindiziert? Diese Fragen ließen sich nicht eindeutig beantworten – bis jetzt.
Ob Sportverletzung, Mausarm oder Schmerzen im Knie – zur Behandlung von akuten Entzündungen kommen häufig Kortisonpräparate zum Einsatz. Auch chronische Entzündungskrankheiten wie Asthma, Diabetes und chronisch-entzündliche Darmerkrankungen werden mit kortisonhaltigen oder davon abgeleiteten Medikamenten behandelt. Der Grund: Diese Medikamente haben in der Regel einen sehr schnellen entzündungshemmenden Effekt. Allerdings gibt es auch Nachteile: Zum einen ist ihre therapeutische Wirkung oftmals zeitlich begrenzt; zum anderen können schwerwiegende Nebenwirkungen auftreten, darunter Osteoporose, erhöhte Infektanfälligkeit, Magengeschwüre und Stoffwechselstörungen.
„Es kommt beim Einsatz dieser Präparate folglich darauf an, ihre Anwendung zeitlich zu begrenzen und zu optimieren“, sagt Prof. Oliver Werz, Professor für Pharmazeutische Chemie an der Uni Jena. Doch wann ist das optimale Behandlungsfenster und wann ist der Einsatz von Kortisonpräparaten eher kontraindiziert? Diese Fragen ließen sich bislang nicht eindeutig beantworten. In einer aktuellen Studie haben Werz und Dr. Markus Werner vom Institut für Pharmazie gemeinsam mit weiteren Forschern nun einen biochemischen Mechanismus aufgeklärt, wie Kortisonpräparate in menschlichen Immunzellen entzündungsauflösend wirken. Ihre Arbeit ebnet den Weg für einen optimierten Einsatz dieser Medikamente. In PNAS stellten die Forscher ihre Ergebnisse vor.
Im Verlauf einer Entzündungsreaktion treten zu Beginn zunächst entzündungsfördernde Immunzellen auf, darunter M1-Makrophagen. Sie produzieren entzündungsfördernde Botenstoffe (Prostaglandine und Leukotriene), welche die typischen Symptome wie Fieber und Schmerzen auslösen. Nach einigen Tagen folgt die zweite Phase, in der die Entzündung abklingt. Dann sind vermehrt Makrophagen vom Typ M2 aktiv, die entzündungsauflösende Botenstoffe produzieren (Resolvine). „Wir konnten in Untersuchungen an Zellkulturen zeigen, dass Kortison in den Immunzellen die Aktivität bestimmter Enzymgene reguliert, die das Entzündungsgeschehen direkt beeinflussen“, erklärt Werner. Dadurch veranlasse Kortison in früh auftretenden M1-Makrophagen die Bildung entzündungsauflösender Resolvine, schwächt diese Funktion in den später auftretenden M2-Makrophagen aber stark ab.
Reguliert wird dieser Effekt durch das Enzym 15-Lipoxygenase, das in zwei Formen in den Immunzellen vorkommt, der 15-Lipoxygenase-1 und der 15-Lipoxygenase-2. „Wir fanden heraus, dass Kortison die 15-Lipoxygenase-2 in entzündungsfördernden M1-Makrophagen der frühen Entzündungsphase hochreguliert. Dieses Enzym katalysiert die Bildung von Resolvinen, wodurch Entzündungsprozesse gestoppt und aufgelöst werden, was für die positiven Effekte des Kortisons mitverantwortlich ist“, so Werner weiter. Zugleich zeigte sich in den Versuchen auch, dass Kortison diese für die Heilung wichtige Resolvinbildung in entzündungsauflösenden M2-Makrophagen unterdrückt, indem die 15-Lipoxygenase-1 quasi abgeschaltet wird. „Das erklärt, warum die Anwendung von Kortison in der späteren Phase entzündlicher Erkrankungen nicht mehr zu einer Linderung der Symptome führt, ja sogar kontraproduktiv sein kann und Regenerationsprozesse hemmt“, ergänzt Werz.
Nachdem die Forscher die Mechanismen auf der Genregulationsebene entschlüsselt hatten, überprüften sie diese in weiteren Untersuchungen an Immunzellen aus Patientenproben. Eingeschlossen wurden Patienten am Universitätsklinikum Jena, sowohl mit chronischen Entzündungserkrankungen, wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa, als auch solche mit schweren akuten Entzündungen durch COVID-19, die mit Kortisonpräparaten behandelt wurden. Diesen Patienten ist jeweils vor und nach der Medikamentengabe Blut abgenommen und hinsichtlich der Entzündungsparameter und der Enzymaktivitäten untersucht worden. „Wie in den Versuchen an den Zellkulturen konnten wir in den mit Kortison therapierten Patientengruppen eine deutliche Hochregulierung der 15-Lipoxygenase-2 nachweisen“, unterstreicht Dr. Benjamin Giszas.
Ihre Ergebnisse implizieren, so das Fazit der Forscher, dass sich die Therapie entzündlicher Erkrankungen durch einen zeitlich limitierten Einsatz von Kortison und durch neue 15-Lipoxygenase-basierte Therapieprinzipien verbessern ließe und so auch das Auftreten typischer kortisonbedingter Nebenwirkungen reduziert werden könnte.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Icons8 Team, Unsplash