Krebserkrankungen können auch das Herz in Mitleidenschaft ziehen. Forscher haben jetzt eine bislang so noch nicht bekannte Form der Kardiomyopathie genauer untersucht – sie wird durch Kachexie ausgelöst.
Krebs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben viel gemeinsam. Sie sind nicht nur in ihrer Häufigkeit und durch gemeinsame Risikofaktoren wie Bluthochdruck, erhöhte Blutfettwerte, schlechte Ernährung, Bewegungsmangel oder Diabetes mellitus eng miteinander verknüpft. Wer schwer an Krebs erkrankt, kann im fortgeschrittenen Stadium – auch unabhängig von Folgeschäden einer Krebstherapie auf das Herz – eine bisher so noch nicht bekannte Form der Herzmuskelerkrankung entwickeln. Diese sogenannte „cardiac wasting-associated cardiomyopathy“ ist durch einen Schwund an Herzmuskelmasse gekennzeichnet.
Ein Forscherteam um Dr. Markus Anker und Dr. Alessia Lena von der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Intensivmedizin am Deutschen Herzzentrum der Charité (DHZC), Campus Benjamin Franklin, hat diese für die klinische Behandlung von Krebspatienten besonders wichtige Entdeckung in einer Untersuchung von 300 Krebspatienten erstmalig ausführlich im Detail beschrieben. Die Arbeit ist im Journal of the American College of Cardiology erschienen.
„Krebserkrankungen können auch das Herz in Mitleidenschaft ziehen, was die Prognose und Lebensqualität der Krebspatienten zusätzlich beeinträchtigt. Neue Erkenntnisse zu Diagnose und Therapie von tumorbedingten Herzerkrankungen sind daher von enormer Bedeutung für das Wohl der betroffenen Patienten“, betont Kardiologe Prof. Thomas Voigtländer, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Herzstiftung. „Mit ihrer Arbeit über den Verlust von Herzmuskelmasse bei fortgeschrittenem Krebs haben Dr. Anker und Dr. Lena und ihr Team einen wichtigen Beitrag auf dem Gebiet der Kardio-Onkologie geleistet.“
Bei Patienten mit Krebs im fortgeschrittenen Stadium kommt es häufig zu Mangelernährung mit Abbau von Fett- und skelettaler Muskelmasse, der sogenannten Tumorkachexie. Je nach Stadium und Art der Krebserkrankung sowie den Begleiterkrankungen kommt es zu dieser Kachexie bei 30 bis 80 Prozent der Tumorpatienten. Die Krankheitsmechanismen, die dem Verlust an Fett- und skelettaler Muskelmasse zugrunde liegen, sind insbesondere chronische und systemische Entzündungen. Sie werden durch Zytokine vermittelt, die den Hormon- und Stoffwechselhaushalt beeinträchtigen und so den Abbau der Muskulatur befördern.
Durch Studien ist bekannt, dass diese von der Krebserkrankung verursachten Prozesse auch am Herz zu strukturellen und hämodynamischen Veränderungen führen und in Herzrhythmusstörungen und Herzschwäche münden können. Das DHZC-Team um Dr. Anker und Dr. Lena konnte in seiner Untersuchung erstmalig in solch einer großen Kohorte zeigen, dass es im Zuge der Kachexie auch zum Schwund von Herzmuskelmasse in der linken Herzkammer kommt und konnte eine damit einhergehende neue Form der Kardiomyopathie (Herzmuskelerkrankung) beim Menschen erforschen.
Dr. Anker, Dr. Lena und Kollegen bezogen in ihre klinische Studie 300 Patienten mit aktiver und überwiegend fortgeschrittener Krebserkrankung ein, bei denen zu Studienbeginn keine signifikante Herz- und Gefäßerkrankung feststellbar war. Alle Probanden wurden einer umfassenden echokardiografischen und klinischen Untersuchung sowie einer Biomarker-Bestimmung unterzogen. 90 Krebspatienten erhielten nach durchschnittlich vier Monaten ein erneutes Echokardiogramm. Zur Kontrolle wurden auch 60 gesunde Personen und 60 Patienten ohne Tumorerkrankung, aber mit chronischer Herzinsuffizienz in die Studie einbezogen.
Die Untersuchungen deuten darauf hin, dass Krebspatienten im fortgeschrittenen Erkrankungsstadium eine deutliche Abnahme der linksventrikulären Herzmasse, also in der linken Herzkammer, aufweisen. Bei Krebspatienten mit Kachexie beträgt diese Reduktion circa 20 Prozent im Vergleich zu gesunden Personen (153 Gramm vs. 203 Gramm linksventrikuläre (LV)-Masse im Durchschnitt). Zum Vergleich: bei den Patienten ohne Tumorerkrankung, aber mit chronischer Herzinsuffizienz mit reduzierter Pumpkraft (HFrEF), war die Masse des linken Ventrikels fast doppelt so hoch wie bei den kachektischen Krebspatienten (im Mittel 300 Gramm).
„Der Schwund an Herzmasse bei Krebspatienten ist am höchsten, wenn eine Kachexie vorliegt“, berichtet Dr. Anker. Der Verlust der Herzmuskelmasse bei Krebspatienten hat eine hohe Dynamik. Nach einer durchschnittlichen Nachbeobachtungszeit von nur vier Monaten wurde eine Abnahme der LV-Masse von im Durchschnitt neun Prozent beobachtet, und 44 Prozent der Krebspatienten wiesen eine um mindestens 10 Prozent reduzierte LV-Masse auf. Auffällig war: Das cardiac wasting, also der Schwund an Herzmasse, trat unabhängig von der Art der Krebstherapie auf, also ob mit kardiotoxischen oder ohne kardiotoxische Nebenwirkungen. Und sie trat auch bei Krebspatienten auf, die noch gar keine systemische Krebstherapie erhalten hatten. „Die Folgen einer verringerten LV-Masse im Herzen sind für die Krebspatienten bedeutend. Denn ohnehin schwer durch Krebs geschwächt, leiden die Patienten zusätzlich an Einbußen ihrer Herzfunktion mit Symptomen einer Herzschwäche“, betont die DHZC-Forscherin Dr. Lena.
Die Forscher konnten ebenfalls zeigen, dass der Verlust an LV-Masse im Herzen bei Krebserkrankung mit einer erhöhten ein-Jahres-Gesamtsterblichkeit einhergeht. Im Zuge der Nachbeobachtung von durchschnittlich 16 Monaten starben 149 Patienten, die ein-Jahres-Gesamtsterblichkeit betrug 43 Prozent. Angesichts des schweren Krankheitszustands der untersuchten Krebspatienten haben die Forscher bei ihrer Analyse kritische Faktoren berücksichtigt wie Krebsstadium und Krebsart, Biomarker für direkte Veränderungen im Herzmuskel (NT-proBNP, Troponin), Entzündungsmarker wie C-reaktives Protein (CRP) und Interleukin-6 (IL-6) und den Hämoglobinwert.
Dass sich die Verringerung der LV-Masse des Herzens bisher „unter dem Radar“ von Studien und der klinischen kardialen Bildgebung befand, führt das Forscherteam auch auf eine Lücke in der gängigen Diagnose-Praxis zurück. Denn bei der Berechnung der LV-Masse von Krebspatienten wird eine Anpassung an die Körperoberfläche (Body Surface Area, BSA) vorgenommen. Das sei in diesem Fall jedoch nicht zielführend. „Am besten wird die Verringerung der linksventrikulären Masse des Herzens erkannt, wenn keine Korrektur für die Körperoberfläche erfolgt, sondern nur eine Korrektur für die Körpergröße durchgeführt wird“, betonen die Forscher und resümieren: „Die BSA-Korrektur ist wahrscheinlich der Hauptgrund dafür, dass über die hier beschriebene, sehr häufig auftretende ,cardiac wasting-associated cardiomyopathy‘ bei Krebspatienten bisher nicht in aussagekräftiger Weise berichtet wurde.“ Dr. Anker und Dr. Lena sind überzeugt, dass ihre Studie bedeutende und unmittelbare klinisch-therapeutische Auswirkungen haben wird. Mit dieser Arbeit wird ein neues Forschungsfeld in der Kardio-Onkologie eröffnet.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Deutschen Herzstiftung. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Jairo Alzate, Unsplash