Auch die Achillessehne hat ihre schwachen Momente: Unter dem Sammelbegriff Achillodynie laufen dabei allerlei Symptombilder zusammen. Wie euch die Eingrenzung gelingt und ihr die passende Therapie für eure Patienten findet, erfahrt ihr hier.
Gibt man in einschlägigen Suchmaschinen den Begriff Achillodynie ein, erhält man mehr als 72.000 Ergebnisse, findet aber keine AWMF-Leitlinie zu diesem Thema, von dem viele orthopädische Patienten betroffen sind. Laut AWMF-Erklärung formulieren Leitlinien klare Handlungsempfehlungen, in die auch eine klinische Wertung der Ziele mit Relevanz für Patienten sowie Aussagekraft und Anwendbarkeit von Studienergebnissen eingeht. Da diese konkreten Empfehlungen nicht existieren, gibt es viele Veröffentlichungen mit unterschiedlichen Therapieansätzen bei Schmerzen an der Achillessehne, die meist unter dem Sammelbegriff Achillodynie zusammengefasst werden. Eine gute Übersichtsarbeit ist die Veröffentlichung von Polzer et al. in der Sportärztezeitung vom April 2020.
Eine mögliche Differenzierung ist die Einteilung nach dem Ort der Beschwerden in ansatznah und ansatzfern. Die Achillessehne ist mit Faserknorpel am posterior-superioren Kalkaneus befestigt. Sowohl zwischen Sehne und Fersenknochen als auch zwischen Sehne und Haut befinden sich Schleimbeutel. Eine genaue Schmerzlokalisation führt zu einer differenzierten Diagnose, die zusätzlich zum klinischen Tastbefund mittels Sonografie und MRT gesichert werden kann.
Schmerzen direkt am knöchernen Sehnenansatz, ggf. zusammen mit einer Steifigkeit der distalen 2 cm der Sehne, Schwellung und tastbarem knöchernen Höcker am Kalkaneus (dorsaler Fersensporn), werden als Ansatztendinopathie bezeichnet. Histopathologisch kommt es zur Ossifikation des Faserknorpels, kleinen Sehnenrissen und intratendinösen Kalzifikationen im Bereich des Sehnenansatzes. Besteht eine schmerzhafte Weichteilschwellung medial und lateral des Sehnenansatzes, handelt es sich um eine retrokalkaneare Bursitis. Die Synovia der Bursa ist hypertrophiert und produziert Flüssigkeit, die Bursawand ist degeneriert und/oder kalzifiziert. Möglich ist auch eine direkte entzündliche oder septische Bursabeteiligung bei einer entzündlichen Arthropathie. Ist eine Schwellung mit Hautverfärbung oberhalb der Sehne sichtbar und druckschmerzhaft, besteht eine oberflächliche Bursitis. Die Bursa weist eine hypertrophe Synovialis mit vermehrter Flüssigkeit auf. Es sind häufig Reaktionen auf eine erhöhte Querfriktion durch eine harte Fersenkappe von Schuhen. Ein Tastbefund am Schuh und der Hinweis an die Patienten, weitere Schuhe zuhause zu prüfen, können die Ursache bestätigen.
Ansatzferne Beschwerden mit Entzündungen auslösen können die kollagenen Fasern der Sehne selbst (Tendinitis) oder das Sehnengleitgewebe/die Sehnenhaut, das Peritendineum (Peritendinitis, Paratendinopathie). Die Achillessehne hat keine Sehnenscheide mit Synovia, sondern zur besseren Gleitfähigkeit nur eine kleine Flüssigkeitsschicht im Peritendineum, das mäßig vaskularisiert ist und über freie Nervenendigungen verfügt. Paratendinopathien treten meist im mittleren Abschnitt der Achillessehne mit den Symptomen Schwellung, ggf. Rötung sowie Belastungs- und Druckschmerzhaftigkeit auf und gelten als die häufigste Form der Achillodynie. Zu Beginn der Schmerzen sind bei akuter Form oft Krepitationen tastbar, bei Chronifizierung eine Verdickung des Sehnengleitgewebes mit Verklebungen und Knötchenbildung.
Die Achillessehne – als die stärkste Sehne des Menschen – hält Zugbelastungen bis zum Zehnfachen des Körpergewichts stand, also ca. eine Tonne. Trotzdem werden in Deutschland jährlich etwa 8.000 Achillessehnenrupturen verzeichnet. Achillodynien kommen sowohl ein- als auch beidseitig vor; oft sind die Ursachen multifaktoriell. Zur Diagnostik gehört eine ausführliche Anamnese insbesondere sportlicher Aktivitäten einschließlich Fragen zu neuen oder ungewohnten Belastungen, Steigerung von Trainingsintensität und -umfang sowie zum Sportschuh (neu oder abgenutzt). Fragen zu Stoffwechselstörungen, (Vor-)Erkrankungen oder Verletzungen am Bewegungsapparat sind obligatorisch. Eine umfangreiche klinische Untersuchung berücksichtigt die Wirbelsäule, den Beckenstand und unterscheidet anatomische von funktionellen Beinlängendifferenzen sowie Rotationsfehlstellungen des Beckens und beurteilt die Beinachsen und Fußstellungen. Es folgt eine Funktionsprüfung der gesamten Bewegungskette von den Füßen über Sprunggelenke, Knie- und Hüftgelenke bis zum Becken mit den Iliosakralgelenken und der Lendenwirbelsäule.
So kann beispielsweise eine Wirbelgelenkblockierung an der LWS zu einer reflektorischen Verspannung des M. psoas major führen, der bekannterweise seinen Ursprung am ersten bis vierten Lendenwirbelkörper und den entsprechenden Bandscheiben hat. Durch einseitigen Zug an seinem Ansatz, dem Trochanter minor femoris, wird die gesamte Bewegungskette bis zum Fuß gestört und kann zu einer Fehl- und Überbelastung der Achillessehne führen. Achillodynien gehen oft einher mit Knick-Senkfüßen und Muskelverkürzungen, insbesondere der Wadenmuskulatur. Dysbalancen können zusätzlich durch eine Ganganalyse und einen Muskelfunktionstest erfasst werden.
Die Therapie ergibt sich aus den Ergebnissen von Anamnese und klinischer Untersuchung. In der akuten Phase müssen die betroffenen Strukturen der Achillessehne entlastet werden. Dafür können diese Maßnahmen geeignet sein: Sportpause, lokale Kälteapplikation, chirotherapeutische Korrektur gestörter Bewegungsketten, Fersenerhöhung um 3 cm (cave: Ausgleich auch der Gegenseite vornehmen), NSAR- und Bandagen-Verordnung. Als weitere mögliche Behandlungen werden von Orthopäden und Sportmedizinern genannt: isometrische Übungen, exzentrisches Training zur Dehnung verkürzter Strukturen, Stoßwellentherapie und lokale Infiltrationen mit Lokalanästhetikum und Traumeel S®, auch paratendinös mit Hyaluronsäure.
Für ACP-Infiltrationen (Eigenblutprodukt autologes konditioniertes Plasma), Röntgenreizbestrahlungen, Sklero- und Prolotherapie sind Studienergebnisse uneinheitlich und nicht eindeutig belegt. Einigkeit besteht bei der Warnung vor Kortison-Injektionen, die mit einem erhöhten Risiko einer späteren Achillessehnenruptur einhergehen. Bei Rupturen und chronischen Achillodynien ist im Einzelfall unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände (z.B. Leistungssportler) eine operative Intervention zu diskutieren. Bei konservativer Behandlung ist jeder Patient auf eine längere Behandlungsdauer von mehreren Monaten einzustellen, da die Regenerationsfähigkeit der bradytrophen Gewebe deutlich verlangsamt ist.
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