Während der Dialyse einfach mal ein bisschen Sport machen. Klingt absurd – könnte aber der neue Behandlungsstandard werden. Warum, lest ihr hier.
Bei rund 80.000 Menschen in Deutschland ist die Funktion der Niere so stark eingeschränkt, dass sie sich mehrmals wöchentlich einer Dialyse unterziehen müssen. Die Betroffene leiden oft an zusätzlichen Gesundheitsproblemen wie Diabetes, Übergewicht und Herzerkrankungen. Diese Einschränkungen durch die Erkrankungen, aber auch der Zeitaufwand durch die Dialyse führt oft dazu, dass sich die Betroffenen kaum sportlich betätigen.
Es ist bekannt, dass eine gesteigerte körperliche Aktivität einen gesundheitlichen Nutzen hat – sowohl für die gesunde Bevölkerung als auch für chronisch Niereninsuffiziente. Der Frage, ob sich eine sportliche Aktivität auch bei einer Dialysepflichtigkeit auszahlt, gingen das Forscherteam um Dr. Kisten Anding-Rost und Prof. Martin Halle nach.
An ihrer Dialyse-Trainings-Therapie-Studie (Dia-TT), die im Fachblatt New England Journal of Medicine – Evidence erschienen ist, haben 1.211 Patienten in 21 deutschen Dialysezentren teilgenommen. Von diesen 1.211 Teilnehmern wurden 917 in die vollständige Analyse mit einbezogen. Das mittlere Alter lag bei 65,9 ± 14,4 Jahren und 38,9 % der Teilnehmer waren Frauen. In der multizentrischen, cluster-randomisierten, kontrollierten Studie wurde kombiniertes Ausdauer- und Krafttraining während der Hämodialyse im Vergleich zur üblichen Behandlung bei chronischem Nierenversagen untersucht. Dabei wurden die körperliche Funktionsfähigkeit, die Lebensqualität, Krankenhausaufenthalte und das Gesamtüberleben bewertet.
Über einen Zeitraum von zwölf Monaten absolvierte die eine Hälfte der Teilnehmer (n = 466) mindestens einmal, optimal dreimal wöchentlich während ihrer Dialyse ein begleitetes Training. Die andere Hälfte der Teilnehmer (n = 471) wurde ausschließlich medizinisch betreut. Das Training beinhaltete 30 Minuten Ausdauertraining mit einem Ergometer und weitere 30 Minuten Übungen mit Gewichten, elastischen Bändern oder Bällen. Die Übungen wurden jeweils individuell an die Möglichkeiten der Patienten angepasst. Der primäre Endpunkt war die Veränderung des 60-Sekunden-Aufstehtests zwischen Studienbeginn und nach einem Verlauf von 12 Monaten.
Nach einem Jahr hatte sich der Gesundheitszustand der Teilnehmer mit der zusätzlichen sportlichen Aktivität deutlich gebessert. Unter anderem konnten sie häufiger innerhalb einer Minute aus dem Sitzen aufstehen als zu Beginn und innerhalb von sechs Minuten längere Gehstrecken zurücklegen. In der Kontrollgruppe waren diese Werte am Ende sogar niedriger als zu Beginn.
Nach 12 Monaten verbesserten sich im 60-Sekunden-Aufstehtests die Wiederholungen von 16,2 ± 7,6 auf 19,2 ± 9,1 in der Übungsgruppe, sanken jedoch von 16,2 ± 7,1 auf 14,7 ± 7,9 in der Gruppe mit ausschließlich medizinischer Betreuung (Gruppenunterschied: 3,85 Wiederholungen; 95 %-Konfidenzintervall [KI], 2,22 bis 5,48; P < 0,0001). Auch der 6-Minuten-Gehtest (37,5 m; 95 %-KI: 14,7 bis 60,4) unterschied sich in der Übungsgruppe von der Gruppe mit der ausschließlich medizinischen Versorgung. Unerwünschte Ereignisse während der Dialysesitzungen waren in beiden Gruppen ähnlich. Die durchschnittlichen jährlichen Krankenhausaufenthalte betrugen zwei in der Übungsgruppe und fünf in der Gruppe mit ausschließlich medizinischer Versorgung. In den kommenden Jahren sollen die Studienteilnehmer weiter begleitet werden, um mehr über die Effekte eines langfristigen Trainings in Erfahrung zu bringen.
Eine Stärke der Studie ist die große Patientenanzahl. Eine Limitation könnte eventuell die Datenerhebung während der störenden Bedingungen durch die SARS-CoV-2-Pandemie sein. Da Trainer während des Lockdowns keinen Zutritt zu den Dialysestationen hatten, wurde ein Heimtrainingsprogramm entwickelt, das in einigen Zentren jedoch erst nach mehreren Wochen eingeführt werden konnte, berichten die Autoren der Studie in ihrer Publikation. Infolgedessen wurde das regelmäßige dreimal wöchentliche intradialytische Training zwischen 11 und 32 Wochen unterbrochen. Trotz der zeitweise schwierigen Bedingungen konnte die Studie einen klaren Nutzen des Trainingsprogramms zeigen.
Die Ergebnisse der DiaTT-Studie bestätigen die Ergebnisse früherer Studien, die in der Literatur zu finden sind. Diese lieferten ebenfalls Hinweise auf den positiven Effekt einer gesteigerten körperlichen Aktivität bei Dialysepatienten. Eine programmierte Sporttherapie – sowohl in Form externer Dialysesportgruppen als auch in Form der in den Dialysezeitraum integrierten Programme – ging auch in diesen Untersuchungen mit einer Steigerung der Ausdauer und sogar der Muskelkraft einher.
Patienten, die während der Blutwäsche leichte Bewegungsübungen absolvierten, sind körperlich leistungsfähiger und müssen seltener im Krankenhaus behandelt werden. Ein regelhaftes Training während der Dialyse sollte zum Standard-Angebot werden, so der Wunsch des Studienteams. „Ich hoffe, dass unser Trainingsprogramm zur Kassenleistung wird“, sagt Halle. „Unsere Studie zeigt, wie wichtig ein ganzheitlicher Blick auf Gesundheit gerade bei alten und gebrechlichen Patienten ist. High-Tech-Medizin ist wichtig, ihr volles Potenzial kann sie aber nur in Kombination mit anderen Feldern wie der Präventionsmedizin erreichen.“
Bildquelle: Kaur Kristjan, Unsplash