Auf Kohlenhydrate zu verzichten, ist ein beliebter Ernährungs-Trend. Aber eignet sich Low-Carb auch für besonders sportliche Menschen – oder bringt High-Carb bewegte Körper besser auf Trab?
Ernährungskonzepte, die Kohlenhydrate (KH) reduzieren, sind nicht neu. Seit Jahrzehnten werden sie zur Therapie des fettdominierten Übergewichts und der Adipositas evaluiert. Trotz großer Unterschiede in der Art der dezimierten KH werden heute alle derartigen Ansätze unter dem Begriff „Low-Carb“ subsumiert, was im Bereich der KH-sensiblen körperlichen Aktivität oft zu Missverständnissen führt. Strukturabhängigen physiologischen Wirkungsunterschieden, die kurz-, mittel- und langkettige Saccharide unterschiedlichen Verzweigungsgrades in Bezug auf Energierekrutierung, Insulinausschüttung/Blutzuckerspiegel und Lipogenesetendenz zeigen, wird durch allzu pauschales Low-Carb keine Beachtung geschenkt.
Ohne Frage ist auch bei regelmäßiger sportlicher Aktivität die Beschränkung des Konsums kurzkettiger Zucker wie Glukose und Saccharose sinnvoll. Der massive Insulinausstoß hemmt die besonders für Ausdauerleistungen tragende Fettverwertung und schickt mit einer raschen Gegenreaktion den Blutzuckerspiegel auf Berg- und Talfahrt. Das mündet in einer Unterzuckerung, die zu Schwäche mit Heißhungerattacken führt. Also besser rechtzeitig vor dem Hungerast einen komplexen KH-Träger nachlegen, als sich erst kurz vor dem „Rien ne va plus“ mit dem legendären Traubenzuckerquadrat zu retten.
Leider haben undifferenzierte Low-Carb-Kampagnen auch die komplexen Oligo- und Polysacharide mit in den Restriktionsstrudel gezogen. Vollkornprodukte sowie Kartoffeln und Hülsenfrüchte – allesamt wertvolle Lieferanten komplexer KH und Mikronährstoffe – sollten aus leistungsphysiologischer Sicht nicht zu deutlich reduziert werden. Als kontinuierliche, aerob und anaerob verwertbare Energie- und Vitamin-/Elektrolytspender sind sie gerade bei regelmäßigen Ausdauerbelastungen unschlagbar. Eine undifferenzierte KH-Verbannung birgt unter den Bedingungen intensiverer bzw. länger andauernder körperlicher Aktivität sowohl leistungsmindernde als auch gesundheitliche Risiken.
Wenngleich es keine einheitliche Definition gibt, hat es sich im wissenschaftlichen Diskurs etabliert, mit Low-Carb solche Ernährungsweisen zu beschreiben, in denen lediglich 15–25 % des täglichen Energiebedarfs von KH geliefert werden. Bei einer Senkung unter 15 % wird aufgrund der dann besonderen Stoffwechsellage von ketogener Energieversorgung gesprochen.
Eine etablierte „Low-Carb“-Definition in der Übersicht:
Je höher der Anteil intensiver, vorwiegend von anaerob bereitgestellter KH-Energie getragener Belastungen (Kraft, Schnellkraft) ist, desto höher sollte der durch komplexe Oligo-/Poly-Sacharide getragene KH-Anteil in der Ernährung sein. Nichtsdestotrotz ist auch bei ausdauerdominierten Belastungen eine zu deutliche KH-Reduktion nicht empfehlenswert. Das beim Fettsäureabbau (wie auch beim aeroben KH- und Aminosäure-Abbau) gebildete Acety-CoA muss zur Einschleusung in den mitochondrialen Citratzyklus an Oxalacetat gebunden werden, das in ausreichender Menge nur durch schnellen (anaeroben) KH-Abbau bereitgestellt werden kann.
Zudem ist die Acetyl-CoA-Oxalacetat-Bindung in der Bilanz zwar eine exotherme Reaktion, doch benötigt diese eine relativ hohe Aktivierungsenergie, die ebenfalls vom schnellen KH-Abbau angeliefert wird („Grillanzündereffekt“). KH-Mangel bringt somit den mitochondrialen Fettsäure-Endabbau und damit den Nachschub des Muskeltreibstoffs ATP ins Stocken. Die seit den Arbeiten von Otto Warburg in den 1930er Jahren bekannte Weisheit, „Fette verbrennen im Feuer der KH“, hat von ihrer Gültigkeit nichts verloren – insbesondere, wenn es um die sportliche Energieversorgung geht.
Für jeden Ernährungstrend gibt es glühende Anhänger, die sich mit ihrer Eigenerfahrung – wissenschaftlich mit anekdotischer Evidenz beschrieben – mehr oder minder lautstark zu Wort melden. So finden sich auch im Sportbereich Verfechter extremer, ketogener Low-Carb-Konzepte, in denen die als KH-Ersatz gebildeten Ketonkörper nicht nur die lebenswichtige Energieversorgung des Gehirns, sondern auch der sportlich geforderten Muskeln großenteils übernehmen.
Jedem Tierchen sein Pläsierchen – aber vor einer Empfehlung für die Allgemeinheit sollte der Hinweis auf die Risiken stehen. Längere und intensivere Belastungen in der ketogenen Stoffwechsellage (Ketose) erhöhen nämlich die Gefahr der Ketoazidose durch Konzentrationserhöhung von „sauren“ Ketonkörpern. Was ein Abfall des sensiblen Blut-pH unter Belastungsbedingungen bedeutet, muss auf einem medizinischen Fachportal nicht erklärt werden. Solange Belastungsniveau und Energiebedarf niedrig sind, ist eine ketogene Stoffwechsellage mit hoher relativer Fettverbrennungsrate machbar. Doch die Risiken steigen mit Trainingsdauer und -intensität. Zudem bereitet das Training in der Ketose unabhängig vom Leistungsniveau vielen psychische Probleme (Trainingsunlust, schlechte Laune).
Nochmals sei betont, dass es sich hier um statistische Erfahrungen handelt, die nicht auf jede Einzelperson zutreffen und somit keinen Anhänger seiner ketogenen Strategie desavouieren sollen. Für die ausdauersportlichen Experten unter den DocCheckern sei noch angemerkt, dass die beschriebenen Verhältnisse für eine auf Dauer angelegte ketogene Ernährung gelten. Davon zu unterscheiden ist die bisweilen im Ausdauersport praktizierte Methode der Superkompensation – nach ihrem schwedischen Erfinder Bengt Saltin auch „Saltin-Methode“ oder „Schweden-Diät“ genannt. Dabei werden die Glykogenspeicher einige Tage vor Wettkämpfen durch die Kombination von Training mit einer kurzen Low-Carb-Phase vollständig entleert, um sie anschließend durch KH-reiche Kost unter Erhöhung der Gesamtspeicherkapazität zu befüllen. Aber bereits dieser kurze KH-Verzicht schlägt sensiblen Athleten oftmals auf die Psyche.
Zu Thema Low-Carb im Sport hat Dr. Stephanie Mosler, damals am Universitätsklinikum Ulm, Sektion Sport- und Rehabilitationsmedizin tätig, 2016 eine viel beachtete Übersichtsarbeit publiziert, die auf Studienanalysen basierende Erfahrungen zur längerfristigen KH-Reduktion im sportlichen Kontext zusammenfasst. Die wesentliche Erkenntnis: Auf Dauer angelegte „Low-Carb“-Ernährung bringt keine Vorteile für die sportliche Leistung. Der zwar forcierte Fettstoffwechsel geht auf Kosten erhöhter Risiken für Infekte, Verletzungen, Stress und Übertraining.
Die Arbeitsgruppe Sporternährung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung ist 2020 mit dem Positionspapier „Kohlenhydrate in der Sporternährung“ dem Low-Carb-Trend entgegengetreten und empfiehlt körperlich Aktiven eine variable KH-Aufnahme, die sich an Intensität, Umfang, Zielen und Zyklen des Trainings orientiert. Eine aktuelle (2022) Metaanalyse von Wang et al. bestätig den fehlenden Nutzen stark KH-reduzierter Ernährungsstrategien in Hinblick auf Leistung, Körperfettanteil, fettfreie Körpermasse, Körpergewicht und Leistungsfähigkeit körperlich aktiver Personen.
Dass auch am anderen Ende der Fahnenstange – einer deutlichen High-Carb-Versorgung – nicht die Medaillen für gesunde Leistung hängen, hat zuletzt eine zwar kleine, aber ganz gut designte Studie einer deutsch-österreichischen Forschungskooperation gezeigt. In einem placebokontrollierten Cross-over-Ansatz untersuchte das Team an einer recht jungen, sportlich aktiven Probandengruppe (14 Frauen, 10 Männer, 18–41 Jahre, BMI 18–27 kg/m2) die Wirkungen einer jeweils dreiwöchigen High-Carb- (75–80 % KH) und einer isokalorischen Low-Carb-/Ketogen-Ernährung (W1: 20–25 % KH; W2 + W3: 5–7 % KH). Zwischen beiden Extremen lag eine dreiwöchige Auswaschphase. Während der HC-Periode erfolgte die hohe KH-Aufnahme über komplexe KH (Vollkornprodukte, Kartoffeln, Naturreis). Kurzkettige Zucker (Saccharose, Glukose, Fruktose etc.) wurden so weit wie möglich gemieden. Den Speiseplan der LC/Ketogen-Wochen bestimmten Fisch, Fleisch, Nüsse, Gemüse und Milchprodukte. Die Probanden wurden von einem Ernährungsberater eingewiesen und führten Protokoll.
Bei cardio-pulmonalen Leistungstests (bis zur gefühlten Erschöpfung) zeigten sich nach der jeweiligen diätetischen Intervention bezüglich der maximalen Sauerstoffaufnahme (VO2max) zwischen HC (VO2max: 47), LC/Keto (47) und dem etwas besseren Wert der Kontrollgruppe (49) keine signifikanten Unterschiede. Demgegenüber präsentierte die HC-gegenüber der LC-/Keto-Kohorte eine geringfügige, aber signifikante Erhöhung der Maximalleistung Pmax (251 vs. 240 Watt) sowie der Maximalleistung pro kg Körpergewicht (4,1 vs. 3,9 W/kg). Die signifikante „Goldmedaille“ gewann hier aber die keine extreme KH-Diät befolgende Kontrollgruppe (Pmax: 311 W). Ein analoges Bild zeigte sich bei der Trainingszeit bis zur gefühlten Erschöpfung: Die HCler waren im Schnitt nach 14,5 min platt und hielten damit durchschnittlich 24 signifikante Sekunden länger durch als die LC-/Keto-Probanden. Die Kontrollkohorte hatte auch hier die Nasen vorn und hielt im Schnitt über 18 Minuten durch.
Neben der Leistung interessierten sich die Wissenschaftler um Studienleiterin Nadine Wachsmuth auch für einige gesundheitlich relevante Herzkreislauf- und metabolische Parameter. Hinsichtlich der Herzfrequenz während der Belastungstest wurden keine signifikanten Unterschiede zwischen den drei Kohorten gemessen. Dagegen waren die Blutlaktatwerte beider Interventionskohorten gegenüber der Kontrollgruppe erhöht (stärkere Muskelübersäuerung). Eine höherer Blutglucosewert im HC-Arm vor der Belastung entsprach der Erwartung. Er glich sich aber während der Leistungserbringung den Werten der LC-/Keto- und der Kontrollgruppe an. In allen drei Kohorten reduzierten sich innerhalb der drei Trainingswochen Körpergewicht (um etwa 1,3 kg), Viszeralfett und Körperfettanteil in vergleichbarem Umfang. Erfreulicherweise zeigte sich in keiner der drei Kohorten ein Verlust an Muskel- und fettfreier Körpermasse. Erwartungsgemäß war (nur) in der LC-/Keto-Gruppe ein signifikanter Anstieg der Ketonspiegel zu beobachten, der aber die pH-Pufferkapazität des Blutes noch nicht überforderte.
Einzig in der HC-Phase kam es zu einer signifikanten Veränderung der Blutfettwerte. Einem günstigen Absinken von Gesamtcholesterin (189 auf 158 mg/dL) und LDL-C (98 auf 78) standen ein Abfall des HDL-C (77 auf 58) und ein ebenso signifikanter Anstieg der Triglyceride (76 auf 104 mg/dL) gegenüber.
Abschließend muss betont werden, dass die geringe Zahl der ausschließlich jüngeren und vergleichsweise gut trainierten Probanden nicht nur die statistische Aussagekraft schmälert, sondern gerade für ältere, gegebenenfalls übergewichtige, vorerkrankte und in schlechtem Trainingszustand befindliche Menschen nur sehr begrenzten Erkenntnisgewinn bringt. Dennoch liefert sie einen weiteren Hinweis, dass selbst unter den Bedingungen eines guten Trainingszustands und fehlender gesundheitlicher Vorbelastung extreme KH-Gewichtungen in beide Richtungen keine allgemeingültige Empfehlung zur Verbesserung von Leistung und Gesundheit sein können.
„Von den Extremen ist das eine schlimmer als das andere!“ Dieses vor mehr als 2.300 Jahren von Aristoteles formulierte Aperçu ist vielleicht die wertvollste Empfehlung, die man sowohl hinsichtlich der Versorgung mit KH (und anderen Makro- und Mikronährstoffen) als auch bezüglich der körperlichen Aktivität geben kann. Weder das Couch-Potato-Dasein mit Chips und Sweets noch der Hang zu Ultrabelastungen und orthorektischer Nahrungsselektion können dem goldenen Mittelweg den Rang ablaufen. Letztlich entscheiden aber immer die individuellen Erfahrungen über das eigene Wohl und Leid.
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