„Heute nicht, Schatz!“ – schon wieder Migräne oder zum dritten Mal im Monat die Periode. Während weibliche Unlust die Pointe vieler Witze ist, sind Männer allzeit bereit – oder? Warum wir endlich umdenken müssen.
Sexuelle Unlust des weiblichen Geschlechts wird seit jeher in Witzen, Film und Fernsehen auf die Schippe genommen – und ist durchaus ein häufiges Phänomen. Aber wie sieht es eigentlich bei Männern aus? Wir sollten uns auch bei ihnen mit der sexuellen Unlust jenseits physisch bedingter erektiler Dysfunktion (ED) beschäftigen. Das Konzept der „Male Hypoactive Sexuell Desire Disorder“ tut genau das und liefert erste Antworten.
„Ein richtiger Mann kann und will immer!“ – so oder ähnlich lauten viele Stereotype, wenn es um das Thema Sex geht. Während weibliche Unlust langsam aus der Tabuecke rückt und heute nicht nur in Migränewitzen eine Rolle spielt, wird Libidoverlust beim Mann oftmals auf rein physiologische Probleme wie Bluthochdruck oder operationsbedingte ED reduziert. Was aber, wenn ein gesunder Mann im besten Alter ohne diese oder weitere klassische Risikofaktoren wie Nikotinabusus und Diabetes plötzlich keine Lust mehr hat? Reicht dann ein bisschen Starthilfe mit den kleinen blauen Pillen, oder lohnt der ausgiebigere Blick hinter die Kulissen, weil womöglich mehr dahintersteckt?
In der fünften Auflage des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-5) werden unter der Bezeichnung „Hypoactive Sexual Desire Disorder“ (HSDD) Störungen der sexuellen Appetenz bzw. Lustlosigkeit neben weiteren Störungen, wie Erektionsstörungen und Ejakulationsstörungen, zwar gesondert aufgeführt; eine gezielte Literaturrecherche über diese Störung bei Männern führt dennoch zu wenigen Treffern. Denn die meisten aktuell verfügbaren Publikationen beziehen sich explizit auf Lustlosigkeit bei Frauen, suchen nach Ursachen und testen verschiedene Behandlungsmöglichkeiten.
Möchte man dagegen mehr über die HSDD beim männlichen Geschlecht erfahren, muss man gleich viel länger suchen und wird am Ehesten bei älteren Veröffentlichungen fündig. So geben beispielsweise Bianchi-Demicheli und Kollegium in ihrer Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2010 erste Einblicke in die Ausgangssituation. Demnach sei diese Störung des sexuellen Verlangens unter Männern im Geschlechtervergleich zwar selten, würde aber dennoch zu einem hohen Leidensdruck führen. Die Ursache sieht die Forschungsgruppe ferner in verschiedenen Faktoren und rät vor dem Beginn einer individuell angepassten Therapie zu einer umfassenden medizinischen Bewertung möglicher Auslöser. Dabei unterscheiden die Autoren neben psychologischen Faktoren vor allem auch endokrinologische, toxische und psychiatrische Einflüsse und halten für behandelnde Ärzte auf jeden Fall eine spezielle Ausbildung im Bereich der Sexualmedizin für erforderlich.
Das Autorenteam Meuleman und van Lankveld spricht in ihrem Review von 2005 von einer bei Männern unterschätzen Erkrankung und diskutiert neben der Schnittstelle zwischen Biologie und Psychologie im Kontext der männlichen Libido zudem den Einfluss des Sexualhormons Testosteron. Dabei wird schnell deutlich, dass die Forschung hier noch in den Kinderschuhen steckt. So gibt es zwar Modelle, Hypothesen und spannende Studien – das eigentliche Phänomen bleibt dennoch ein Rätsel.
Aber fangen wir vielleicht nochmal ganz simpel auf Ebene der Auslöser an. Warum hat Mann keine Lust auf Sex? Spontan könnten einem folgende Faktoren in den Sinn kommen: Stress im Berufsleben, Leistungsdruck im Schlafzimmer, Streitereien mit der Partnerin, Schlafmangel, Testosteronmangel, Abstumpfung durch ständigen Pornokonsum, oder eine Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper. Und schließlich könnten natürlich auch psychiatrische Grunderkrankung, wie beispielsweise Depression oder Angststörungen, eine Rolle spielen.
Was genau in welcher Lebenssituation nun zum Auftreten einer HSDD bei Männern führt, bleibt also eine ganz individuelle Frage und verlangt nach einer systematischen Ursachensuche und einer entsprechenden Therapie. Da das Eingeständnis einer entsprechenden Störung jenseits physiologischer Krankheitsbilder wie ED aber schlichtweg dem gesellschaftlich weit verbreiteten Männerbild widerspricht, sollten zunächst entsprechende Hürden und Tabus beseitigt werden.
Die HSDD muss schlichtweg aus dem Kuriositätenkabinett ins Rampenlicht und hat mehr Aufmerksamkeit – sowohl durch die Gesellschaft als auch durch die wissenschaftliche Forschung – verdient. Und auch betroffene Männer müssen innerliche Mauern durchbrechen und ihre Sorgen und Probleme beim Namen nennen. Denn nur so lässt sich abschätzen, ob eventuell doch viel mehr Männer betroffen sind und wie ihnen die moderne Medizin wirklich helfen kann.
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