Jahrzehnte lang immer gesund und dann plötzlich ein Herzinfarkt. Wer das überlebt, stellt oft seinen Lebensstil in Frage. Aber ist Sport dann überhaupt sinnvoll – oder gar gefährlich?
Der heute 62-Jährige Dieter war ein Leben lang schlank, fühlte sich immer gesund und ging nur dann zum Arzt, wenn eine Fußballverletzung das Arbeiten als Klempner unmöglich machte. An sportliche Aktivitäten war aufgrund zahlreicher Überstunden und Wochenendbaustellen kaum zu denken, stattdessen sorgten Feierabend-Bierchen und die ein oder andere Pausenzigarette für Entspannungszeiten. Dann, kurz vor Eintritt ins Rentenalter, der Paukenschlag: Dieter erlitt im Sommerurlaub beim Italiener einen Herzinfarkt und kam nur dank des beherzten Eingreifens eines Kellners und einer schnellen medizinischen Versorgung mit insgesamt drei kardialen Stents mit dem Leben davon.
Kurz nach dem Aufwachen auf Station dann die ersten Arztgespräche und eindringlichen Empfehlungen einer Lebensstiländerung. Er solle das Rauchen aufhören, auf das Cholesterin achten und vor allem mehr Sport treiben. Natürlich klingt das immer viel leichter gesagt, als getan. Denn wie startet man nach einem Herzinfarkt mit einem effektiven Sportprogramm, wenn regelmäßiges Training bislang nicht zum Leben zählte? Und ist das überhaupt sinnvoll, oder gar gefährlich?
Eine Arbeitsgruppe um Erstautor Fontes-Carvalho hat sich im Rahmen einer klinischen Studie aus dem Jahr 2015 mit der zweiten Frage befasst und die Effekte eines strukturierten Trainingsprogrammes auf Struktur und Funktion des Herzmuskels nach einem akuten Myokardinfarkt genauer untersucht. Denn obgleich Bewegungstraining zur Verbesserung der Funktionsfähigkeit und Lebensqualität v. a. Betroffenen mit koronarer Herzkrankheit empfohlen wird, bleiben in Bezug auf die Auswirkungen auf die systolische und die diastolische Funktion des linken Ventrikels immer noch einige Fragen offen.
Ausgewählte Probanden nahmen einen Monat nach ihrem Herzinfarkt entweder an einem strukturierten Trainingsprogramm teil, oder bildeten die Kontrollgruppe. Die Intervention umfasste ein achtwöchiges ambulantes Trainingsprogramm, das Ausdauer- und Krafttraining für jeweils 8 Sitzungen pro Woche kombinierte. Die Studienendpunkte umfassen schließlich verschiedene echokardiographische Parameter und Entzündungsbiomarker, wie beispielsweise CRP und Pro-BNP.
Obgleich sich im Endergebnis die systolische und diastolische Funktion des linken Ventrikels durch das Training nicht signifikant verbesserte, gab es dennoch positive Effekte in Bezug auf andere Parameter der körperlichen Belastungsfähigkeit. Und das Allerwichtigste: es gab bei der allerersten randomisierten kontrollierten Studie dieser Art (laut Autoren) keine unerwünschten Nebenwirkungen.
Nachdem die Thematik also vor knapp 10 Jahren vermehrt in den Vordergrund rückte, zogen auch Moraes-Silva und Coautoren in ihrer Übersichtsarbeit von 2017 ein positives Fazit. Denn sie sahen zunächst einen großen Widerspruch zwischen Bewegungsmangel als Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankung einerseits und dem noch vor Jahren mehrjährigen Verbot für körperliches Training nach einem Myokardinfarkt andererseits. Auf Grundlage eines Überblicks zur Pathophysiologie des Myokardinfarktes und von Diskussionen der Ergebnisse bisheriger experimenteller Studien halten sie vor allem die individuelle Verordnung von Übungen und körperlichem Training für empfehlenswert.
Da beide Veröffentlichungen schon ein paar Jahre zurückliegen, wundert es kaum, dass körperliches Training heute in vielen Rehabilitationsprogrammen für Infarktpatienten eine Rolle spielt. So veröffentlichten Erstautorin Nabutovsky et al. im Juni 2023 eine Studie über Israels erstes nationales kardiales Remote-Rehabilitationsprogramm, bei dem in einer retrospektiven Auswertung die überwiegend männlichen Patienten im mittleren Alter von 58 Jahren von aerobem Training von mindestens 183 Minuten pro Woche messbar profitierten.
Regelmäßiges körperliches Training kann also – unter der Voraussetzung einer individuellen Anpassung und fachlich kompetenten Betreuung – einen wichtigen Beitrag zur Sekundärprävention nach einem Myokardinfarkt leisten.
Für unseren Dieter empfiehlt sich im Anschluss an ein sportfreies Leben daher am ehesten eine stationäre oder ambulante Rehabilitationsbehandlung mit einem eingebetteten Trainingsprogramm, das ihm optimalerweise Spaß macht und auch körperlich zu schaffen ist. Denn nur dann wird Dieter mit hoher Wahrscheinlichkeit auch zu Hause mit dem Training und den neuen gesunden Lebensgewohnheiten weitermachen und hoffentlich nie wieder einen weiteren Infarkt erleiden.
Quellen
Fontes-Carvalho R, Azevedo AI, Sampaio F, Teixeira M, Bettencourt N, Campos L, Gonçalves FR, Ribeiro VG, Azevedo A, Leite-Moreira A. The Effect of Exercise Training on Diastolic and Systolic Function After Acute Myocardial Infarction: A Randomized Study. Medicine (Baltimore). 2015 Sep;94(36):e1450. doi: 10.1097/MD.0000000000001450.
Moraes-Silva IC, Rodrigues B, Coelho-Junior HJ, Feriani DJ, Irigoyen MC. Myocardial Infarction and Exercise Training: Evidence from Basic Science. Adv Exp Med Biol. 2017;999:139-153. doi: 10.1007/978-981-10-4307-9_9.
Nabutovsky I, Breitner D, Heller A, Moreno M, Levine Y, Klempfner Y, Scheinowitz M, Klempfner R. Israel's first national remote cardiac rehabilitation program: A retrospective analysis. Digit Health. 2023 Jun 26;9:20552076231180762. doi: 10.1177/20552076231180762.
Bildquelle: Benoît Deschasaux, Unsplash