Psychotherapie im Maßregelvollzug ist anders – zum Beispiel, wenn es um die ärztliche Schweigepflicht geht. Was ihr schon immer über Knast-Therapie wissen wolltet, lest ihr hier.
Die Psychotherapie im Maßregelvollzug richtet sich an Straftäter, die aufgrund psychischer Erkrankungen oder schwerwiegender psychischer Störungen als nicht schuldfähig oder vermindert schuldfähig eingestuft wurden (gem. §§ 20, 21 StGB). Der Maßregelvollzug ist eine forensische Einrichtung, in der die Patienten einer psychischen Behandlung unterzogen werden, um ihre psychische Gesundheit zu verbessern und die Gefahr für weitere Straftaten zu reduzieren. Je nach Straftat und Behandlungsanlass wären dementsprechend unterschiedliche Behandlungskontexte indiziert. Die Psychotherapie im Maßregelvollzug findet in einer sicherheitsorientierten Umgebung statt. Die Behandlung erfolgt meist innerhalb der forensischen Einrichtung, in der die Patienten untergebracht sind, und kann intensive Sicherheitsvorkehrungen erfordern. Gesetzliche Vorgaben finden sich in den §§ 20, 21, 63, 64, 65 StGB.
Handelt es sich um straffällige Suchtkranke, so wird die Unterbringung gem. § 64 StGB in einer Entziehungsanstalt vollzogen. Handelt es sich um einen Straftäter mit einer psychischen Erkrankung bzw. einem psychischen Zustand, der zum Zeitpunkt der Tat die Schuldfähigkeit aufhebt oder mindert, so wird eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (gem. § 63 StGB). Dabei müssen bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit einige Eingangsmerkmale berücksichtigt werden. Es handelt sich hierbei um juristische Krankheitsbegriffe: krankhafte seelische Störung, tiefgreifende Bewusstseinsstörung, Intelligenzminderung, schwere andere seelische Störung.
Übrigens: Eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gem. § 64 StGB kann unabhängig vom Grad der Schuldfähigkeit angeordnet werden. Eine Behandlung gem. Maßregeln der Besserung und Sicherung in einer forensischen Einrichtung (Entziehungsanstalt oder forensische Psychiatrie) ist allerdings nur durch einen Gerichtsbeschluss – und meist auch durch eine forensisch-psychiatrisch/psychologische Begutachtung – zulässig. Auch eine ambulante Behandlung in einer forensischen Institutsambulanz (z. B. für Sexualstraftäter) erfolgt ausschließlich basierend auf einer gerichtlichen Grundlage bzw. Entscheidung. Dies zeigt, dass eine forensische Behandlung in einem hoch interdisziplinären Rahmen und einem Spannungsfeld zwischen Psychotherapie, Justiz und Gesellschaft stattfindet.
Konventionelle Psychotherapie findet hingegen in der Regel außerhalb von forensischen Einrichtungen statt und richtet sich an Menschen, die psychische Probleme oder Störungen haben, jedoch nicht straffällig geworden sind. Eine Richtlinienpsychotherapie kann nicht „angeordnet“ werden, auch wenn manchmal dies als eindringliche Empfehlung in einigen Gerichtsbeschlüssen formuliert wird. Man kann niemanden dazu verpflichten, ohne eine Straftat begangen zu haben, eine Psychotherapie aufzunehmen. Dies gilt nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die niedergelassenen Psychotherapeuten. Man kann also niemanden in eine Psychotherapie „schicken“.
Die psychotherapeutische Schweigepflicht ist eine der wichtigsten Säulen therapeutischen Handelns. Die psychiatrisch-psychotherapeutische Rolle im Maßregelvollzug bzw. Justizvollzug ist mit unterschiedlichen ethischen Dilemmata behaftet, auch im Bezug auf die Schweigepflicht. Nach § 182 des Strafvollzugsgesetz (StVollzG) unterliegen Psychotherapeuten im Strafvollzug grundsätzlich zwar auch einer Schweigepflicht gegenüber der Anstaltsleitung, allerdings ist diese begrenzt.
Die Begrenzung bezieht sich auf Informationen, die eine „erhebliche Gefahr für Leib oder Leben anderer Gefangener oder Dritter“ enthalten. In solchen Fällen gilt die Offenbarungspflicht, von der die jeweiligen Gefangenen auch unterrichtet werden müssen. Ähnliches gilt für Gefangene oder psychisch kranke Straftäter im Maßregelvollzug. Dies gilt laut der Bayerischen Landeskammer der Psychologischen Psychotherapeuten und der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten auch für verurteilte Straftäter unter Führungsaufsicht. „Nach § 68a Absatz 8 Satz 1 StGB besteht eine Pflicht zur Offenbarung, soweit dies notwendig ist, um der verurteilten Person zu helfen, nicht wieder straffällig zu werden. Hier wurde die Schweigepflicht der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der forensischen Ambulanzen wie auch anderer Therapieeinrichtungen aus § 203 StGB eingeschränkt, um eine effektive Betreuung der Führungsaufsichtsprobanden sicherzustellen.“
Bei einer konventionellen Psychotherapie hingegen gilt die Wahrung der psychotherapeutischen Schweigepflicht gem. den geltenden Gesetzen und der geltenden Fassung der Psychotherapeuten-Berufsordnung.
Das Hauptziel der Psychotherapie im Maßregelvollzug besteht darin, die psychische Gesundheit der Patienten zu verbessern, ihre Rückfallgefahr zu verringern und ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft vorzubereiten. Im ambulanten Setting wird in der forensischen Psychotherapie – welche größtenteils in forensischen Ambulanzen stattfinden – nicht auf die Heilung einer psychischen Erkrankung (im engeren medizinischen Sinne) abgezielt. Diese therapeutische Arbeit wird auch vielfach Kriminaltherapie genannt und betont, dass im forensischen Setting der Schwerpunkt auf Risikomanagement, Risikominderung und Veränderung von Risiko- und Rückfallmerkmalen liegt. Viele Straftäter weisen auch Risikomerkmale auf, welche nicht unter psychiatrisch-diagnostischen Kategorien oder Diagnosen gem. ICD/DSM subsumiert werden können (z. B. erhöhte Kränkungsbereitschaft, delinquenzförderliche Weltanschauung, Gewaltlegitimationstendenzen).
Im Rahmen einer forensischen Behandlung können auch Techniken und Interventionen eingesetzt werden, welche primär psychotherapeutisch anzusiedeln sind – vor allem auch Techniken der kognitiven Verhaltenstherapie zur Steuerung der Impulskontrolle und des Belohnungsaufschubs oder Methoden der mentalisierungsbasierten Psychotherapie bei Straffälligen mit Persönlichkeitsstörungen. Oft geht es um Deliktarbeit und Veränderung von risikosteigernden Umständen.
Im Gegensatz zur konventionellen, also nicht im strafrechtlichen Rahmen stattfindenden Psychotherapie, kann zu Beginn der forensischen Behandlung eine Veränderungs- und Therapiebereitschaft und -motivation nicht vorausgesetzt werden. Die Kunst besteht darin, die initial erzwungene Haltung in eine intrinsisch-motivierte Behandlungseinstellung umzuwandeln. Das heißt: Was zu den Behandlungsvoraussetzungen in einer konventionellen Psychotherapie gehört, zählt bei der Kriminaltherapie zu den wichtigsten Therapiezielen.
In der konventionellen Psychotherapie stehen dementsprechend die Behandlung und Bewältigung von psychischen Störungen und Problemen im Vordergrund. Hier geht es nicht um Deliktarbeit oder Erlangung von Einsicht in strafrelevantem Verhalten – zumindest in der Regel nicht! In diesem Kontext müssen behandelnde Psychotherapeuten sich an die Kriterien der Psychotherapie-Richtlinie halten, nämlich: Indikation für die Psychotherapie (behandlungsbedürftige psychische Störung, kein Beratungsanlass, also keine Eheberatung, Lebensberatung, Berufslaufbahnberatung oder Sexualberatung), Motivierbarkeit und Umstellungsfähigkeit des Patienten, sowie eine ausreichend positive Prognose.
Die Therapieansätze im Maßregelvollzug können je nach den spezifischen Bedürfnissen der Patienten variieren, können jedoch auf speziellen forensischen Modellen oder Methoden beruhen, um die Risikofaktoren für erneute Straftaten zu reduzieren. Die Behandlungen können als Einzel- oder als Gruppentherapien stattfinden. Zu den geläufigsten Behandlungsansätze zählen das Risk-Need-Responsivity (RNR)-Modell. Es handelt sich dabei um ein Rehabilitationsmodell, das mittlerweile weltweit eingesetzt wird. Dieser Ansatz beinhaltet drei Komponenten:
Ein anderes Modell, was sich mit den Annährungszielen befasst, ist das Good-Lives-Modell. Das GLM-Modell ergänzt das RNR-Modell und gilt als ressourcenorientiert. Es verfolgt das Ziel, einen gelungenen Lebensplan zu erreichen. Dabei handelt es sich bei der Täterarbeit um die Auseinandersetzung u. a. mit der Erfüllung von Grundbedürfnissen ohne Einsatz von kriminellem Handeln.
Die Dauer der Psychotherapie im Maßregelvollzug kann von einigen Monaten bis hin zu mehreren Jahren variieren, abhängig von den individuellen Bedürfnissen und Fortschritten des Patienten sowie der Entscheidung des Gerichts. Bei vielen Fragestellungen, die den Behandlungsverlauf und den individuellen Umgang mit dem Straftäter betreffen (z. B. Lockerungen, oder Fragen bzgl. der Kriminalprognose) werden forensisch-psychiatrische bzw. -psychologische Gutachten in Auftrag gegeben.
Im Gegensatz zum Strafvollzug, bei dem die Strafdauer bzw. Inhaftierungsdauer bereits zu Beginn und vor Haftantritt bekannt ist, wird im Maßregelvollzug (im stationären Rahmen) eine Dauer von Beginn an nicht verbindlich festgelegt. Denn, es handelt sich um die psychotherapeutischen Fortschritte und die erreichte Reduktion von Risikomerkmalen und deliktförderlichen bzw. rückfallbegünstigenden Verhaltensmerkmalen. Da bei vielen Straftätern eine ungünstige psychosoziale Entwicklung feststellbar ist, sind psychotherapeutische und kognitive Veränderungsprozesse langwierig und machen eine langangelegte Behandlung und Betreuung erforderlich. Eine im Vorfeld festgelegte Dauer für solche Veränderungsprozesse ist oft nicht möglich.
Zusammenfassend muss noch konstatiert werden, dass die Psychotherapie im Maßregelvollzug eine besondere Aufgabe hat und ihr Augenmerk auf die Sicherheit der Öffentlichkeit legt, da die Patienten aufgrund ihrer strafrechtlichen Vergangenheit als gefährlich eingestuft wurden. Die konventionelle Psychotherapie hingegen zielt darauf ab, psychische Störungen von Individuen zu behandeln und die psychische Gesundheit zu fördern, ohne den Fokus auf Sicherheitsaspekte legen zu müssen.
Das sogenannte zweispurige Rechtssystem in Deutschland schreibt vor, für gefährlich erachtete Rechtsbrecher, die teilweise gem. eines der Eingangskriterien der §§ 20, 21 schuldunfähig bzw. vermindert schuldfähig sind, dem psychiatrischen Maßregelvollzug zu übergeben und die „Gesunden“ als Schuldfähige dem regulären Strafvollzug.
In diesem Beitrag ging es somit ausschließlich um Straftäter, die die Kriterien der §§ 20, 21 erfüllen. Nicht um solche, die im Strafvollzug untergebracht werden und gleichzeitig eine psychische Störung aufweisen bzw. eine solche erst dort entwickeln. Denn Psychotherapie im Rahmen von Strafvollzugseinrichtungen ist mit der forensischen Psychotherapie nicht gleichzusetzen. Wobei es auch hier natürlich viele Ähnlichkeiten gibt – etwa hinsichtlich der Schweigepflicht, Veränderungsmotivation oder der Inhalte und Ziele.
Quellen
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