Wiederholte kraniale Traumata bei Rugby-Spielern haben Jahrzehnte später Folgen. Jetzt gibt es erste Hinweise, woran das liegen könnte.
Wissenschaftler um Dr. Thomas Owens und Prof. Damian Bailey vom Neurovaskulären Forschungslabor der Sportmediziner an der Universität Süd-Wales haben sich Rugby-Spieler angesehen, bei denen es zu ihrer aktiven Zeit wiederholt zu Gehirnerschütterungen gekommen war. Sie berichten über ihre Forschung in der Zeitschrift Experimental Physiology. Gehirnerschütterungen kommen beim Rugby häufiger vor als bei anderen Ballsportarten, sind aber auch beim Fußball durchaus ein Thema. Bei Kampfsportarten sind sie es ohnehin.
Konkret nahmen zweiundzwanzig ehemalige Rugbyspieler teil, im Mittel 64 Jahre alt, bei denen sich anamnestisch im Mittel drei – zwischen einer und zehn – Gehirnerschütterungen über einen Zeitraum von im Schnitt 22 aktiven Rugby-Jahren retrospektiv evaluieren ließen. Es habe sich herausgestellt, dass viele der Episoden von den Betroffenen gar nicht ernstgenommen wurden, so Studienleiter Bailey. Die meisten hätten angegeben, mehr oder weniger sofort weitergespielt zu haben.
Die ehemaligen Rugby-Spieler wurden mit einer gematchten Kontrollgruppe gleicher Größe verglichen, die den Rugby-Spielern hinsichtlich Ausbildung, kardiorespiratorischer Fitness und natürlich Alter entsprachen, die aber nie Kontaktsportarten gemacht hatten und bei denen sich auch keine Gehirnerschütterungen eruieren ließen. Signifikante Unterschiede im Blutdruck sowie bei der kardiovaskulären Medikation gab es nicht.
Was die Wissenschaftler konkret interessierte, waren mehrere kardiovaskuläre und kognitive Biomarker, darunter Metabolite von Stickstoffmonoxid, neuronenspezifische Enolase (NSE), außerdem Neurofilamente und Eiweißstoffe aus Gliazellen. Gemessen wurden ferner der mittlere zerebrale Blutfluss und dessen Hyper-/Hypokapnie-Reaktion. Für die kognitive Funktion wurden zwei Testbatterien – Grooved Pegboard Test und Montreal Cognitive Assessment – genutzt, und schließlich wurden mit Hilfe des Sport Concussion Assessment Tools auch Symptome einer Gehirnerschütterung abgefragt. Zusätzlich gab es weitere Untersuchungen, darunter 12-Kanal-EKG und Belastungstest sowie eine Erhebung der Ernährungsgewohnheiten.
Die Wissenschaftler bauen mit ihrer Studie auf zahlreiche Vorarbeiten zu diesem Thema auf. So ist prinzipiell bekannt, dass Sportler in Kontaktsportarten, insbesondere mit Gehirnerschütterungen in der Anamnese, ein etwa fünffach erhöhtes Risiko für milde kognitive Einschränkungen (MCI) haben. Auch Hinweise für ein erhöhtes Risiko von neurodegenerativen Erkrankungen einschließlich chronischer, traumatischer Enzephalopathie gibt es zur Genüge.
Die Studie der Waliser ist deswegen bemerkenswert, weil sie einen Einblick in mögliche involvierte Mechanismen gibt. Diskutiert werden unter anderem eine gehirnerschütterungsbedingte Schädigung von Mitochondrien, die über die Freisetzung freier Radikale zu einer Reduktion von Stickstoffmonoxid und im Gefolge negativen hämodynamischen Effekten führt. Ein zweiter Weg könnte über direkte Schädigung von entweder Neuronen oder Gliazellen gehen, die einer Hirnatrophie Vorschub leistet.
Insbesondere für den ersten der beiden Mechanismen finden die Wissenschaftler in ihrer Arbeit jetzt Hinweise. Klinisch zeigten die Ex-Sportler im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant mehr Symptome, die als Langzeitfolgen von Gehirnerschütterungen gelten, darunter Kopfschmerz, Nackenschmerz, verschwommenes Sehen, Lichtempfindlichkeit sowie Konzentrations- und Gedächtnisstörungen. Dies ging einher mit einem im Vergleich zur Kontrollgruppe geringeren mittleren zerebralen Blutfluss sowohl in Ruhe als auch unter Hyperkapnie-Bedingungen sowie mit einer signifikant geringeren NO-Aktivität. Keine Unterschiede gab es dagegen bei den Nervenzell- und Gliazell-Biomarkern.
Es spreche daher viel dafür, dass die beobachteten, klinisch-neurologischen Defizite und Symptome eine Folge metabolisch-hämodynamischer Prozesse seien, so die Autoren. Direkte neurologische Schäden, für die es aus Bildgebungsstudien bei analogen Sportlerpopulationen Hinweise gebe, könnten ebenfalls eine Rolle spielen. Möglicherweise würden diese allerdings durch die üblichen Biomarker für Nervenschädigung, wie etwa NSE, nicht erfasst.
Definitive Aussagen zur Kausalität kann die Studie als Querschnittsstudie nicht liefern. Die Symptome und Defizite könnten unmittelbare Langzeitfolgen der Gehirnerschütterungen sein. Es ist aber auch denkbar, dass es weitere Faktoren gibt, die einen Einfluss haben. Untersucht wurden fragebogenbasiert unter anderem die Ernährungsgewohnheiten, und die unterschieden sich zwischen Ex-Rugby-Spielern und Kontrollgruppe: Ehemalige Sportler nahmen weniger Kalorien, weniger Nährstoffe und Spurenelemente aller Art, aber mehr Alkohol zu sich. Vielleicht spielt auch das in die ungünstigere kognitive Entwicklung der Leistungssportler mit hinein.
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