Bei Entzündungen des ZNS überwinden Immunzellen die Blut-Hirn-Schranke. Forscher haben nun Verbindungen identifiziert, die diesen Prozess steuern. Welche Enzym-Substrate dabei eine Schlüsselrolle spielen, erfahrt ihr hier.
Die Endothelzellen an der Innenwand von Hirngefäßen bilden über eng verknüpfte Verbindungsstellen – den Tight Junctions – eine das Gehirn schützende Barriere. Ohne die darunterliegenden Astrozyten kann sich jedoch keine voll funktionsfähige Blut-Hirn-Schranke (BHS) bilden. Bei der Neuroinflammation sind die Endothel- und die Astroglia-Schicht molekular und funktionell zwei unterschiedliche Barrieren für eindringende Leukozyten.
Studien zu Multiple Sklerose zeigen, dass sich Krankheitssymptome aber erst entwickeln, wenn die Immunzellen auch die Astroglia-Schicht durchdrungen haben. „Das unterstreicht ihren wichtigen Beitrag zur funktionellen Unversehrtheit der BHS sowie ihre Unabhängigkeit von der Endothelbarriere“, sagt Prof. Lydia Sorokin von der Uni Münster. „Doch im Gegensatz zur Leukozytenpenetration der Endothelbarriere gab es bisher wenig Kenntnis über nachfolgende Prozesse an der Astroglia-Schicht.“
Es ist bekannt, dass die Gelatinasen, Matrix-Metalloproteinase (MMP)-2 und -9 das Eindringen von Leukozyten ins Gehirns bei Neuroinflammation regeln. Eine Aktivität dieser beiden proteinspaltenden Enzyme ist somit ein früher Marker für das Eindringen dieser Immunzellen in das Hirnparenchym – bisher der einzige spezifische Marker für eine laufende Neuroinflammation. „Es gibt Hinweise darauf, dass MMP-2 und MMP-9 sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf die BHS haben. Daher wird die Entschlüsselung ihrer Substratspezifität an der Hirnparenchymgrenze zum Verständnis der molekularen Prozesse beitragen, die essentiell für die astrogliale Barrierefunktion sind“, sagt Sorokin.
Die Identifizierung der Enzym-Spaltstellen ist eine Herausforderung. Das Forscherteam setzt dabei auf jüngste Fortschritte in der Massenspektrometrie (MS) zur Analyse des Sekretoms – eine Methode, mit der von Zellen abgesonderte Proteine umfassend detektiert werden können. In ihrer aktuellen Studie entwickelten sie diese Methode weiter, um proteolytische Spaltungen von Zellmembran-assoziierten Proteinen zu identifizieren. „Unser Ansatz weist extrazellulär freigesetzte Proteinfragmente unabhängig von biochemischen Anreicherungen nach und ist daher besonders empfindlich“, sagt Studienautor Prof. Felix Meissner.
Im Mikroskop-Bild sind Astrozyten grün und Immunzellen rot gefärbt. Die Basalmembranen der Gefäße sind in weiß zu sehen. Credit: ukb/mfm.Mithilfe eines maßgeschneiderten Sekretom-MS-Ansatzes identifizierte das Team zwei Hauptklassen von Verbindungen, die durch MMP-2/MMP-9 von der Astrozyten-Zelloberfläche freigesetzt werden. Validiert wurden diese neuen Substrate der Neuroinflammation im Maus-Modell von Multipler Sklerose und in menschlichen MS-Proben.
Insgesamt liefert die Kombination des Sekretom-MS-Ansatzes mit Kenntnissen über die astrogliale Barriere eine einzigartige Datenbank bisher unbekannter Gelatinase-Substrate, die wahrscheinlich zur Barrierefunktion der astroglialen Grenze beitragen. Zudem deutet vieles darauf hin, dass die MMP-2/MMP-9-Aktivität auch die Kommunikation zwischen Astrozyten und Neuronen beeinflussen kann. „Unser Ansatz zur Identifizierung von proteolytischen Prozessen, die die astrogliale Barrierefunktion steuern, funktioniert und bietet Möglichkeiten für zukünftige Forschungen zum Verständnis der molekularen Natur der Astroglia-Barriere und ihres Beitrags zur BHS“, sagt Meissner.
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung des Universitätsklinikums Bonn. Hier findet ihr die Originalpublikation.
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