Man lernt nie aus. Dieser Satz scheint wohl für alle zu gelten, auch für Demenzkranke. Lest hier, wie Demenzpatienten von- und miteinander lernen – und das alles komplett selbstständig.
Menschen mit Demenz haben trotz ihrer Krankheit noch die Fähigkeit, Neues zu lernen. Zu diesem Schluss kommt eine aktuelle Arbeit, die kürzlich an der Universität Linköping (Schweden) vorgestellt wurde. Studienautor Elias Ingebrand ließ zehn Demenzkranke, von denen acht in Pflegeeinrichtungen lebten, zum ersten Mal in ihrem Leben Computer-Tablets benutzen. Ein Mitarbeiter oder eine nahestehende Person war zur Unterstützung dabei – aber die einzige Anweisung, die die Teilnehmer erhielten, war, das Tablet so zu benutzen, wie sie es wollten. Es stellte sich bald heraus, dass das Gerät sie neugierig machte.
„Das hat mich ziemlich überrascht. Ich hätte vielleicht erwartet, dass es einfach nur daliegt und sie über etwas anderes reden würden, aber wir haben gesehen, dass sie ihre Aufmerksamkeit darauf richteten“, sagt er.
Die Studie erstreckte sich über 4–6 Wochen. Obwohl die Teilnehmer unter starken Gedächtnisverlusten litten, lernten sie allmählich, das Tablet selbstständiger zu benutzen. Ingebrand vermutet, dass sich der Körper an die erforderlichen Bewegungen erinnert – auch wenn die Fähigkeit, darüber zu sprechen, verloren gegangen ist. Aber es ist wichtig, das Interesse der Person zu wecken.
Eine Frau, die früher Orientierungslauf machte, begann spontan, das Tablet zu benutzen, um die Wettkampfergebnisse zu überprüfen. Ein Mann, der früher unruhig und aggressiv war, lernte, wie man zum offenen Archiv von SVT (dem schwedischen öffentlich-rechtlichen Fernsehsender) navigiert. Nach einer Weile bemerkten die Mitarbeiter, dass er lange Zeit ruhig und konzentriert das Programm verfolgte. Das war eine Seite an ihm, die sie noch nie gesehen hatten.
Ingebrand war überrascht, dass Menschen mit Demenz die Rätsel des Tablets auch ohne Hilfe von Mitarbeitern oder Angehörigen lösen konnten, indem sie zusammenarbeiteten und voneinander lernten. Auch in diesem Zusammenhang gelang es ihnen, sich auf die anstehende Aufgabe zu konzentrieren. Soweit er weiß, hat noch niemand die Zusammenarbeit zwischen Demenzkranken untersucht.
Es gibt jedoch frühere Studien, in denen festgestellt wurde, dass Menschen mit Demenz die Fähigkeit haben, neue Dinge zu lernen. Dabei ging es um das Erinnern von unsinnigen Wörtern oder das Erinnern von Namen beliebiger Personen. Die aktuelle Studie zeige jedoch, dass Lernen auch ohne besondere Anweisungen stattfinden kann und dass diese Ergebnisse auch unmittelbar in der Demenzpflege angewendet werden können.
„Diese Arbeit hat Auswirkungen darauf, wie wir mit Menschen mit Demenz umgehen. Sie sind nicht als Kinder zu behandeln, sondern als Menschen, die einen Willen und einen Anreiz haben, etwas zu tun. Letztendlich geht es darum, dass sie die Möglichkeit haben, an sinnvollen Aktivitäten teilzunehmen, die auf ihren eigenen Interessen und Wünschen beruhen.“
Dies stellt natürlich eine Herausforderung für das Personal von Pflegeeinrichtungen dar, das oft zu beschäftigt ist, um sich für längere Zeit nur mit einer Person zusammenzusetzen. Es könnte einen Versuch wert sein, Menschen mit Demenz gemeinsam etwas unternehmen zu lassen. Auch wenn es in dieser Studie um Computertabletts geht, glaubt Ingebrand, dass die Ergebnisse auch für andere Formen des Lernens gültig sind.
„Ich möchte herausfinden, wie man das Wissen und die Erfahrung von Menschen mit Demenz bei der Gestaltung sinnvoller Aktivitäten nutzen kann. Vielleicht könnte jemand eine Aktivität initiieren und andere in der Pflegeeinrichtung unterrichten. Vielleicht ein kleines Seminar, oder Stricken. Das Recht auf lebenslanges Lernen sollte für jeden gelten. Wichtig ist, dass man die Chance bekommt, zu lernen.“
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung des Schwedischen Forschungsrats – The Swedish Research Council. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Jonathan Farber, unsplash