Was mit dem Pinard-Rohr anfing, erreicht jetzt seinen Höhepunkt – die Rede ist von der gynäkologischen Diagnostik. Erfahrt hier, wie KI auch euren Arbeitsalltag in Zukunft prägen wird.
Früher wurden die kindlichen Herztöne mit einem hölzernen Auskultationstrichter nach Pinard überwacht. Heute geben uns CTG, Ultraschall und Doppler Auskunft über das kindliche Wohlbefinden. KI wird uns vielleicht in nicht allzu ferner Zukunft Bilder, Dopplerspektren und CTGs interpretieren. Und bei der Auswertung suspekter Sonographiebefunde von Uterus, Ovarien und Brust könnte KI im Abgleich mit zigfachen Vorbefunden aus dem Netz eine hilfreiche Risikoeinschätzung liefern.
Bisher findet die KI noch keine routinemäßige Anwendung in der gynäkologischen Praxis. Dabei könnte KI präoperativ helfen, zwischen benignen und malignen Ovarialläsionen zu unterscheiden, oder die Diagnose einer Endometriose zu festigen. Eine Differenzierung zwischen Leiomyom und Leiomyosarkom wäre denkbar, ebenso die objektive Auswertung von Kolposkopiebefunden. Besonders die moderne Mammadiagnostik lässt viel Potential für den Einsatz von KI erkennen. Ein Blick auf die Einsatzmöglichkeiten.
In der Mammographie werden KI-gesteuerte Befundungsprogramme bereits vereinzelt genutzt. Aktuell gibt es mehrere Studien, die mit immer moderneren Ansätzen den Vorteil von KI in der radiologischen Brustdiagnostik untersuchen. Besonders hilfreich hat sich der automatisierte Vergleich beider Mammae und die Berechnung der Malignitätswahrscheinlich von Auffälligkeiten erwiesen.
Ziel ist es, die Falsch-positiv-Rate zu verringern, die diagnostische Genauigkeit eines erfahrenen Radiologen zu erreichen und die Auswertungszeiten zu minimieren. Damit würde KI in der klinischen Routine Ressourcen für andere ärztliche Aufgaben gewinnen. Ein weiteres Einsatzgebiet von KI kann die Auswertung neoadjuvanter Therapieerfolge sein. Eine gezielte, automatisierte Größenmessung vor und nach Systemtherapie könnte ein objektiveres Ergebnis ermöglichen.
Bei der Mammasonographie, die per se als stark untersucherabhängig gilt, könnte KI durch automatischen Vergleich zigfacher Vorbefunde das Malignitätsrisiko einer dargestellten Raumforderung berechnen. Denkbar wären auch Alarmsysteme, die auf kleine, leicht übersehbare Befunde aufmerksam machen.
Zufällig entdeckte Ovarialtumoren sind überwiegend gutartig und operative Eingriffe könnten häufig vermieden werden, wäre da nicht eine Restunsicherheit über die Dignität. Bei prämenopausalen Frauen, die sich einer Operation unterziehen, liegt das Malignitätspotenzial bei < 10 %, postmenopausal kann es bis zu 15 % betragen. Eine exaktere Differenzierung kann Operationen begründet vermeiden oder die Operationstechnik festlegen.
Der Ultraschall ist direkt von der klinischen Expertise des Untersuchers abhängig, d. h. je erfahrener, desto exakter die Diagnosestellung. In verschiedenen präoperativen Studien konnten KI-Modelle eine hohe Sensitivität und Spezifität erreichen. Es wurden Menopausenstatus, Tumormarker CA-125 und bestimmte Kriterien der US-Bilder abgeglichen und die Dignitätswahrscheinlichkeit berechnet. Im Vergleich mit den histologischen Ergebnissen fand sich eine hohe Übereinstimmung.
Endometriose ist das Chamäleon unter den gynäkologischen Erkrankungen und betrifft bis zu 10 % der Frauen im reproduktionsfähigen Alter. Eine zuverlässige Diagnostik ist bisher nur operativ möglich. Das bedeutet für die Betroffenen oft viele Jahre ohne exakte Diagnose und Therapie. Im Ultraschall gibt es Softmarker, wie das negativ Sliding-Sign, was die fehlende Verschieblichkeit des Ovars gegenüber Uterus oder Darm beschreibt, oder die „Kissing Ovaries“, Ausdruck eines sehr engen Beieinanderliegens der Ovarien. Sie weisen auf eine tief infiltrierende Endometriose hin. Über transvaginale Videoclips ist KI zuverlässig im Stande, solche Softmarker zu klassifizieren.
Leiomyome sind häufige, gutartige Neubildungen innerhalb der Gebärmuttermuskulatur. Sie können Beschwerden wie Blutungsstörungen, Druck auf Blase und Darm oder Dyspareunie verursachen. Sehr schnell wachsende und stark perfundierte Myome sind auffällig und sollten an eine sarkomatöse Entartung denken lassen. Mit 8 % aller Uterusmalignome sind sie selten, aber potenziell hochmaligne. Auch das bisherige MRT kann nicht mit hoher Sicherheit ein Leiomyosarkom ausschließen. Mittels KI gelang Studiengruppen eine hohe Sensitivität und Spezifität mittels einer Kombination aus jeweils 7 Merkmalen aus 3 ausgewählten Bildarealen im perfusionsgewichteten MRT.
Gebärmutterhalskrebs ist weltweit die vierthäufigste maligne Erkrankung bei Frauen. Hier sind frühzeitige Detektion der Vorstufen, adäquate Therapie und gezielte Nachkontrollen von enormer Bedeutung. Im Bereich der Zytologie erscheint KI vielversprechend in der Bildanalyse von PAP-Abstrichen. Ein solch automatisierter Ansatz besteht aus fünf Schritten: Bilderfassung, Vorverarbeitung, Segmentierung, Merkmalsextration und Klassifizierung.
Auch in der digitalen Kolposkopie wurde das Potenzial der KI mehrfach bestätigt. Dabei zeigte eine KI-gestützte Kolposkopie einen Mehrwert bei der gezielten Biopsie eines suspekten Areals.
Schwangerschaftsvorsorge ist sehr anspruchsvoll, denn es geht immer um das Wohlergehen mehrerer Individuen. Könnte man pränatale Überwachungsmöglichkeiten mittels KI präzisieren, würde dies ein Schritt zu mehr Sicherheit bedeuten. Was wäre denkbar?
Die Untersuchungszeit kann mittels KI verkürzt, die Sicherheit der Auswertung vergrößert werden. Moderne Assistenzsysteme erkennen automatisch die korrekte Messebene, erheben exakt Biometrieparameter und überprüfen die erhobenen Daten auf Vollständigkeit. Eine besondere Herausforderung ist die automatische Erkennung und Klassifizierung von Organfehlbildungen. Das setzt einen großen Datensatz von Abbildungen voraus, der per se durch die niedrige Inzidenz von Fehlbildungen limitiert ist.
In der fetalen Echokardiographie bestehen bereits interessante Einsatzmöglichkeiten der KI. Durch Segmentierung der Kammern und Ausflusstrakte und damit automatischer Berechnung von Herz/Thorax-Quotienten, seitengetrennter Herzfunktion und Herzachse durch Flächendifferenzmethode kann unterschieden werden zwischen Normalbefund und einer Gruppe von Herzfehlern.
KI-Algorithmen wären denkbar bei der prä- und peripartalen CTG-Auswertung. Angelehnt an den FIGO-Score könnte ein Alarmsystem, ähnlich wie die Überwachung der Vitalparameter auf Intensivstationen, auf pathologische fetale Herztonalterationen hinweisen. Unerfahrenere Mitarbeiter könnten damit entlastet werden, die Überwachung wäre einfacher organisierbar.
KI ist sicherlich nicht die Lösung aller Probleme, die wir momentan im Gesundheitswesen haben. Ärzte könnten aber von den Algorithmen im klinischen Alltag profitieren, indem Arbeitsabläufe vereinfacht und standardisiert werden. Vielleicht würden wir mittels KI so wieder mehr Zeit für die sprechende Medizin bekommen.
Zwar ist eine Anleitung durch erfahrenere Kollegen immer noch die bessere Variante, jedoch lassen Arbeitsverdichtung und Ärztemangel oft eine Lücke in der klinischen Ausbildung. Künstliche Intelligenz könnte dazu beitragen – mit Respekt und Sicherheitsvorkehrungen genutzt – rascher beim Sonographieren oder in der CTG-Beurteilung an Sicherheit zu gewinnen. Weltweit könnten mit Hilfe von KI mehr Mitarbeiter im Gesundheitswesen trainiert werden als ohne.
Im Moment erzielt die Kombination aus klinischer Erfahrung und empathischer Arzt-Patienten-Interaktion die besten Ergebnisse. Künstliche Intelligenz kann dabei immer eine Bereicherung, jedoch nie ein Ersatz sein.
Bildquelle: Andrea De Santis, Unsplash