Medikamente verschreiben, Krankheiten verwalten, Patienten abfertigen – mit echter Heilung hat unser Alltag als Arzt oft wenig zu tun. Der Knackpunkt: Zeit hat in der modernen Medizin keinen hohen Stellenwert.
Wir tun so, als könnten wir die meisten Dinge heilen, aber das stimmt einfach nicht. Ein paar Beispiele, wo man von Heilung sprechen kann: Viele Knochenbrüche kann man mit einer simplen Ruhigstellung vom Körper selbst heilen lassen, bei bakteriellen Infekten heilen Antibiotika – aber auch da gibt es Folgeprobleme, die wir früher nicht gesehen haben.
Bei den meisten heutigen Erkrankungen gilt: Wir können behandeln, Medikamente geben und Krankheiten verwalten (Stichwort DMP), aber HEILEN ist das nicht. Denn wir müssen die Therapie ja auch kontinuierlich weiterführen. Oder wir bauen im Falle von Arthrose einen mehr oder weniger minderwertigen Ersatz ein, der nach einigen Jahren wieder ausgetauscht werden muss.
Bluthochdruck zum Beispiel heilen wir nicht wirklich. Wir geben kontinuierlich Medikamente und senken damit den Blutdruck, aber wir heilen nicht. Dasselbe gilt für viele andere Krankheitsbilder – die medikamentöse Therapie eines Diabetes heilt nicht, sondern lindert nur die Folgen. Da wir aber nicht heilen, sondern Medikamente zur kontinuierlichen Symptomkontrolle geben (müssen), brauchen wir immer weitere medizinische Kapazitäten, wenn die Krankheitslast in der Bevölkerung steigt.
Woran liegt dieser Anstieg der Krankheitslast? Ich persönlich glaube nicht, dass man die Verantwortung nur den Patienten zuschieben kann. Wir Mediziner sehen uns gern als Heilsbringer, aber wie oben erwähnt haben wir damit eine Illusion erzeugt, die einfach nicht stimmt. Die kontinuierliche Gabe von Medikamenten ist keine Heilung, sondern hinterlässt eigene Probleme:
Ich glaube schon, dass es sinnvoll wäre, wenn sich Patienten mal klar machen würden, wie viel ihre Behandlung kostet – und nein, nicht jeder umgeknickte Fuß braucht ein MRT. Aber das wird einfach für die Finanzierung nicht reichen, weil es das Grundproblem nicht adressiert: Wir müssen wieder da hinkommen, dass die Leute weniger krank werden! Und die Patienten darin bestärken, dass sie selbst mit zu ihrer Gesundung beitragen, außer nur Tabletten zu schlucken.
Viele Patienten wollen ja auch nicht krank werden – aber wenn sie einfach immer das machen, was sich gerade am besten anfühlt, fördert das halt gerade in der heutigen Gesellschaft eher krankmachendes Verhalten. Denn der innere Schweinehund bekommt Futter in Form von Werbung, geschicktem Aufbau der Einkaufsläden, Quengelkassen und immer mehr Sitzen.
Deswegen braucht auch die Therapie oft so viel Zeit für Gespräche und für konkrete Strategien für gesünderes Verhalten. Ich bin inzwischen ein großer Fan von Ernährungstagebüchern geworden. Weil man damit konkrete Tipps geben kann, was derjenige einfach umsetzen kann. Nur zu sagen „Nehmen Sie ab“ funktioniert einfach in den allermeisten Fällen nicht. Das kennt, glaub ich, auch jeder von sich selbst – Silvester-Vorsätze halten selten bis in den Februar. Wenn ich mir aber ansehe, was der Patient gerne isst und dann konkrete Verbesserungsvorschläge (am besten mit Rezepten) machen kann, ist das was ganz anderes und viel erfolgreicher.
Das wird leider in keiner Weise für mich fiskalisch entlohnt. Aber es lohnt sich einfach sehr für die Patienten. Denn bei denjenigen, die diese Lifestyle-Änderung schaffen, verbessern sich die Parameter so sehr, dass wir häufig Medikamente reduzieren oder ganz absetzen können. Damit einhergeht, dass die Patienten meine Ressourcen auf Dauer seltener in Anspruch nehmen müssen. Das Aufrechterhalten ist der nächste Punkt. Aber ich hatte jetzt auch mehrere, die nach einem Rückfall in alte Verhaltensweisen gemerkt haben, dass es ihnen mit der Rückfall-Ernährung einfach doch schlechter geht und dann wieder die Motivation zur Verbesserung haben. Und das, obwohl es momentan ja wirklich nicht einfach ist, der Werbung zu entgehen und den gesunden Lebensstil umzusetzen. Das Potential ist da – wir müssen besser darin werden, es zu nutzen!
Denn wie sagte schon Hippokrates: Lass die Nahrung deine Medizin sein und Medizin deine Nahrung.
Bildquelle: Andrew Wulf, Unsplash