Die ABDA wills Karl Lauterbach jetzt mal so richtig zeigen – mit Postkarten. Idee ist, dass wir unsere Apo-Kunden bitten, einmal aufzuschreiben, warum sie uns brauchen und das dann an den Minister schicken. Wie absurd!
Nachdem im August nun endlich das wohlklingende Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) in Kraft getreten ist, sind die Apotheken wenigstens wieder rechtlich auf der sicheren Seite, was die erweiterten Abgaberegelungen betrifft. Unklar war lange, wie die Umsetzung mit der 50-Cent-Pauschale funktionieren soll – und auch, wie die nächste Eskalationsstufe der ABDA aussehen wird, denn die Pauschale liegt natürlich weit unter den Forderungen. Dies alles hat sich inzwischen aber herauskristallisiert. Ob die Apotheker mit dem weiteren Vorgehen zufrieden sein werden? Es sieht nicht danach aus, wenn man sich in den sozialen Medien umsieht.
Der Reihe nach: Das ALBVVG sorgt seit dem 1. August unter anderem dafür, dass sich die Apotheken wegen einer Nullretax aufgrund eines Formfehlers keine Sorgen mehr machen müssen. Das bedeutet, dass, wenn beispielsweise nur die Dosierungsangabe auf dem Rezept fehlt, oder die Gründe für die Nichtabgabe eines lieferbaren Rabattarzneimittels nicht auf dem Rezept vermerkt wurden, es trotzdem von der Krankenkasse bezahlt werden muss.
Diese Regelung hat zunächst bei einigen Apothekenmitarbeitern für Verwirrung gesorgt. Die Frage war: Kann man ab sofort einfach auf alle Regeln verzichten und abgeben, was man möchte? Nein, ganz so einfach ist es natürlich nicht, denn die Kasse zahlt zwar, allerdings nur den Grundpreis des Arzneimittels, nicht das Apothekenhonorar. Wer also einfach abgibt, was er möchte, wird für seine Arbeit nicht bezahlt, verliert aber auch kein Geld. Man lebt künftig nur nicht mehr unter dem Damoklesschwert der Nullretax. Das lässt einen bei der Abgabe von Hochpreisern, deren Nichterstattung die Apotheke in erhebliche finanzielle Bedrängnis gebracht hätte, doch besser schlafen.
Die erweiterten Austauschregeln, die den Arztpraxen und Apotheken während der Coronazeit viel Nerven, Telefonate, Wege und Zeit gespart haben, wurden mit dem ALBVVG immerhin zum Teil verstetigt. Was weggefallen ist, ist die Möglichkeit der Abgabe von Medikamenten, die in der Apotheke vorrätig sind, im Austausch zum verordneten Arzneimittel, das bestellt werden müsste. Künftig müssen Patienten also wieder öfter einmal den Weg zur Apotheke doppelt machen, wenn das Rabattarzneimittel lieferbar, aber nicht auf Lager ist. Der Akutbedarf wird nun enger ausgelegt und es liegt wieder im Ermessen der Krankenkasse, ob sie eine solche Begründung akzeptiert.
Bei Antibiotika oder Schmerzmitteln, die am selben Tag verordnet wurden, ist das vermutlich kein Problem; bei der Verordnung einer Dauermedikation, die erst Tage später vorgelegt wird, wird diese Argumentation ab sofort wieder schwieriger, selbst wenn der Kunde es vielleicht wirklich gerade eilig hat. Das ist also wieder Erziehungssache und im ein oder anderen Fall erklärungsbedürftig, da es in den vergangenen Jahren ja kein Problem war.
In die Praxis zurückschicken, um sich ein neues Medikament verordnen zu lassen, mussten die Apotheken ebenfalls lange niemanden mehr, da sogar nicht wirkstoffgleiche Medikamente nach einer telefonischen Rücksprache und dem entsprechenden Vermerk auf der Verordnung abgegeben werden konnten. Auch das gehört nun der Vergangenheit an. Ist der verordnete Wirkstoff nicht lieferbar, dann muss der Patient mit dem Rezept zum Verordner zurück, um es sich neu ausstellen zu lassen.
Die so umstrittene 50-Cent-Pauschale für ausgetauschte Arzneimittel ist ebenfalls bereits abrechenbar – wenn auch in vielen Fällen nur theoretisch. Die Softwarehäuser schienen zu Beginn allesamt überrumpelt worden zu sein, von der Möglichkeit, eine Pauschale einzupflegen. Der Einbau in die Kassenparameter gestaltete sich offenbar komplizierter als gedacht, so dass ab Anfang August erst einmal viele Rezepte auf Halde gelegt werden mussten. Inzwischen sind die ersten Starschwierigkeiten aber überwunden, wenn auch noch nicht bei allen Softwarehäusern. Einige Apotheken können also bereits bedrucken, während bei anderen Systemen offenbar noch nicht einmal die Sondernummern im System hinterlegt sind. Erste pragmatische Lösungen, die für alle Apotheken hätten gelten können, wurden vom GKV-Spitzenverband und einigen Kassen abgelehnt. Chaos ist also absehbar und das für gerade einmal 50 Cent zuzüglich Mehrwertsteuer.
Ebenfalls problematisch zu programmieren sind offenbar die neuen Zuzahlungen, falls die Patienten eine nicht lieferbare Großpackung mit mehreren Kleinpackungen ersetzt bekommt. Diese Zuzahlung soll nun auf die Höhe begrenzt werden, die auch für die ursprünglich verordnete Packung gegolten hätte, aber erst ab Februar 2024. Auch die verhasste Präqualifizierung wird erst im kommenden Jahr wegfallen, wenn entweder der Deutsche Apothekerverband gemeinsam mit dem GKV-Spitzenverband oder – bei Uneinigkeit – die Schiedsstelle, festgelegt hat, was als „apothekenübliches Hilfsmittel“ gelten soll. Auffällig viele Apotheken melden derzeit, dass sie zeitnah zur Re-Präqualifizierung nun ein sogenanntes Zwischen-Überwachungsaudit angekündigt bekommen haben. Der Verdacht liegt daher bei vielen nahe, dass noch einmal abkassiert werden soll, bevor sich dieses Einnahmefenster in wenigen Monaten schließt. Ein Schelm also, wer Böses dabei denkt, wenn diese Zwischen-Überwachungsaudits plötzlich wenige Monate nach bzw. vor den üblichen Überwachungsaudits ins Haus flattern. Gut, dass es damit bald ein Ende haben wird!
Von der ABDA kommt derweil wieder etwas Neues, denn die Eskalation geht in die nächste Runde. ABDA-Präsidentin Gabriele Overwiening dazu:
„Unser bundesweiter Protesttag am 14. Juni hat gezeigt, wie groß die Not im Berufsstand ist. Im ganzen Land waren die Apothekenteams auf der Straße, um der Politik zu signalisieren, dass die flächendeckende Arzneimittelversorgung unserer Patientinnen und Patienten in Gefahr ist. Eine wichtige Botschaft, die wir an diesem Tag mitgenommen haben, war der riesige Zuspruch der Bevölkerung. Die Menschen in diesem Land brauchen ihre Apotheke vor Ort – für unsere Protestmaßnahmen zeigten die Patientinnen und Patienten großes Verständnis. Da sich die Politik nach wie vor weigert, den wirtschaftlichen Druck in unserer Branche auszugleichen, werden wir nun als nächsten Schritt in unserer Eskalationsstrategie die Stimme der Patientinnen und Patienten zu Wort kommen lassen.“
Das bedeutet, dass die Apotheken vor Ort in den kommenden Tagen etwa 1,8 Millionen Postkarten erhalten werden, die sie an ihre Kunden aushändigen sollen. Diese sollen dort vermerken, warum sie ihre Apotheke so dringend brauchen. Die Karten werden dann gesammelt und durch die ABDA an die Bundesregierung übergeben.
Viele Apotheker sind mit dieser Eskalation nicht einverstanden, denn der Aufwand, den Patienten einen Platz in der Apotheke einzurichten, um die Karten ausfüllen zu können und ihnen dazu noch zu erklären, was sie warum tun sollen und zusätzlich noch die notwendige DSGVO-Liste abzeichnen zu lassen, übersteigt vielerorts die ohnehin knappen personellen Ressourcen. Ohnehin scheint Bundesgesundheitsminister Lauterbach nicht viel am Dialog mit den Apothekern zu liegen, da er, entgegen seines Versprechens im vergangenen Jahr, am diesjährigen Deutschen Apothekertag im September wieder nicht persönlich erscheinen wird. Hier muss man leider ganz klar sehen, welchen Platz er den Anliegen der Apotheken bei sich einräumt. Solange sich das nicht ändert, wird das vermutlich auch nichts mit einer besseren Honorierung und die Apotheken müssen sich mit 50 Cent für ihre Arbeit abspeisen lassen. Ob Postkarten hier helfen können, ist bestenfalls fraglich.
Bildquelle: Héctor J. Rivas, Unsplash