Ärzte beklagen sich über No-shows in der Praxis und fordern eine Ausfallgebühr. Aber weder Patienten noch Kassen wollen dafür in die Tasche greifen. Wir haben bei euch nachgefragt, wie ihr das seht.
Das Problem der versäumten und abgesagten Termine ist kein Neues. Mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) wollte man von politischer Seite bereits 2019 einen Riegel vorschieben und Ärzteschaft wie Patienten eine Lösung präsentieren. Die darin vorgesehene Steigerung an möglichen ärztlichen Terminen kommentiert KBV-Chef Dr. Andreas Gassen bereits als „einfach lächerlich“. Nach Umsetzung und Praxiserfahrung zeigt sich nun tatsächlich: Die No-shows nehmen zu, nicht ab.
Laut KBV-Umfrage seien es bei 40 % der Betroffenen zwischen 5–10 % aller Termine, die ohne Absage ausfallen. Wir haben in der DocCheck Community nachgefragt – und ihr habt euch zahlreich an unserer Umfrage beteiligt. Etwa bei der Hälfte von euch (49 %) wird ebenfalls fast jeder zehnte Termin abgesagt, 43 % gaben an, dass 5–10 % der Termine ohne Absage verfallen.
Noch deutlicher ist das Bild bei den abgesagten Terminen – rund 50 % von euch antworteten, dass auf diesem Weg ebenfalls 5–10 % der eingeplanten Termine entfielen.
Dabei ist es unerheblich, welcher Fachrichtung man angehört – das Problem ist flächendeckend und spezialisierungsübergreifend. Der Terminservice der Kassenärztlichen Vereinigung registrierte, dass im ersten Quartal 2023 rund 22 % der Patienten nicht zum Termin erschienen, bei Terminen der Psychotherapeuten waren es sogar 27 %. Dabei bedeut ein Ausfall oder eine spontane Absage einen nicht zu unterschätzenden wirtschaftlichen Schaden. Immerhin sind kurzfristige Neuvergaben nur in den seltensten Fällen möglich, wie die DocCheck Umfrage zeigt:
Von 10 abgesagten Terminen kann ein Viertel der Umfrageteilnehmer gerade mal 1–2 Termine neu vergeben, 20 % von euch gaben an, das so gut wie nie zu schaffen. Etwa 35 % von euch gaben aber auch an, dass sie es fast immer, bzw. bei mehr als 50 % der Termine schaffen, diese wieder mit einem neuen Patienten zu belegen.
Nun müssen Lösungen gefunden werden, die die ohnehin überlastete Terminstruktur nicht noch vor weitere Herausforderungen stellen, aber gleichzeitig eine faire Grundlage sein können und ein Umdenken bei den Patienten mit sich bringen. So kommt der ebenfalls nicht neue Vorschlag der Ausfallgebühr wieder auf den Tisch. Dass bei Ausfall grundsätzlich eine „bisher unverändert unzureichende Vergütung“ bestünde, „die für rund zehn Prozent der in Anspruch genommenen Termine kein Honorar mehr auslöst“, müsse laut Gassen ausgeglichen werden. Angemessen wäre „eine von den Kassen zu entrichtende Ausfallgebühr, wenn deren Versicherte Termine vereinbaren und dann nicht wahrnehmen.“
Einen positiven Nebeneffekt bringt Robert Schneider, Hauptgeschäftsführer des Spitzenverband Fachärzte Deutschlands (SpiFa), auf den Punkt: „Es geht bei der Forderung nach einer Ausfallgebühr um nicht weniger als eine erzieherische Maßnahme bei denjenigen, die unser solidarisch finanziertes Gesundheitswesen und dessen Ressourcen missbrauchen. Eine Ausfallgebühr wird niemals so hoch sein können, wie der tatsächlich ausgefallene Erlös durch einen versäumten Termin.“ Dr. Dirk Heinrich, Vorstandsvorsitzender des SpiFa, untermauert den pädagogischen Aspekt, sieht aber auch die Pflicht der Praxen: „Unsolidarisches Verhalten sollte Konsequenzen haben, ob nun Geldstrafe, Terminsperre oder anderes. Das hat einen Erziehungseffekt und ist gerechter gegenüber denen, die unnötig warten müssen. Natürlich müssen Praxen eine zeitnahe Terminabsage möglich machen, zum Beispiel digital. Für Notfälle wird es immer Ausnahmen geben.“
Dass die ärztliche Bundesvertretung damit tatsächlich einen Vorschlag vorlegt, der Zuspruch findet, zeigen eure Meinungen zur Ausfallgebühr: 80 % halten eine Gebühr, die Patienten bei Nicht-Erscheinen zahlen müssten, für eine gute Sache – auch wurde diese Frage von fast allen Teilnehmern der Umfrage beantwortet (311 von 312). Hiervon räumen 29 % ein, dass diese ihnen zwar helfen würde, für den Patienten allerdings ein Problem darstellen könne.
Dass, wenn es um Geld und Zuständigkeiten geht, des einen Lösungsvorschlag immer des anderen Dorn im Auge ist, ist naheliegend. In diesem Fall sind es die Krankenkassen, die den Ärzte-Vorschlag ablehnen – immerhin sind sie es, die nach dem Konzept in Vorleistung treten müssten.
„Wir können den Ärger vieler Arztpraxen über nicht abgesagte beziehungsweise wahrgenommene Arzttermine gut nachvollziehen. Insbesondere im fachärztlichen Bereich werden Termine ja oft Monate im Voraus vergeben und können nicht einfach kurzfristig von anderen Versicherten übernommen werden. Mit Blick auf die vielen anderen Patientinnen und Patienten, die wochen-, ja monatelang auf Arzttermine warten müssen, ist das höchst unsolidarisch. Daher lehnen wir aber auch die Forderung der KBV ab, dass die Versichertengemeinschaft dafür eine pauschale Ausfallgebühr zahlen soll. Um die Termintreue der Patientinnen und Patienten zu erhöhen, bewähren sich ein gutes Terminmanagement und elektronische Erinnerungsservices im Vorfeld“, erklärt Dr. Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes.
Auch der GKV-Spitzenverband lehnt die Ausfallgebühr als Lösung ab. „Ein immer tieferer Griff in die Taschen der Beitragszahlenden löst keine Probleme. Stattdessen wäre es nur ein weiterer Zusatzverdienst für eine Berufsgruppe, die schon jetzt zu den Spitzenverdienern gehört“, nimmt Helge Dickau vom GKV-Spitzenverband Stellung.
Den Vorwurf der Kassen, dass es sich bei den Ausfallgebühren um „Zusatzverdienste für Spitzenverdiener“ handle, wiesen die Ärztevertreter derweil entschieden zurück: „Bei der geforderten Ausfallgebühr von einem Zusatzverdienst für Spitzenverdiener zu sprechen, ist so einfältig wie ungeheuerlich“, so Heinrich. „Anstatt sich in einer gemeinsamen Anstrengung zwischen Ärztinnen und Ärzten sowie gesetzlichen Krankenkassen um das Problem sachgerecht zu kümmern, zetteln die Krankenkassen […] eine sinnlose Neiddebatte an.“
Welche Fallstricke es gibt, wird auch bei euren Statements hierzu deutlich: „Die Hauptausfälle kommen bei NeupatientInnen zustande, die sich telefonisch angemeldet haben und noch gar nicht im (PV)System drinnen sind – somit ist eine Nachverfolgung und Nachforderung schwierig (schon gar nicht haben sie eine Abtretungserklärung unterschrieben)“, erklärt ein Arzt in eigener Praxis. Eine MFA hat dieselben Bedenken und ergänzt: „Auch zunehmend demente Patienten verpassen ihre Termine, da würde die Ausfallgebühr keine Erhöhung der Termintreue bringen.“
Ein angestellter Arzt schreibt: „Eine Ausfallgebühr ist schwer umsetzbar, da eindeutig belegt sein muss, dass es sich um eine reine Bestellpraxis handelt und der Termin nicht anderweitig belegt werden konnte. Zudem kommen dann die üblichen Antworten der darauf angesprochenen Patienten, sie hätten angerufen, niemanden erreicht, nur Bandansage, kein Handy mit, Mailadresse der Praxis nicht parat und so weiter.“ Auch schreiben einige von euch, dass der Aufwand hoch sei und man trotzdem in vielen Fällen das Geld nie erhalten würde.
Ein Patient klagt in unserer Umfrage sein Leid: „So vielfältig wie die Menschen sind, ist nicht davon auszugehen, dass die Mehrheit der Patienten einen Termin einfach so nicht einhalten.“ Er nennt vielfältige Gründe, warum es mit den Terminen manchmal nicht klappt: „Der häufigste Grund: Ich bin nicht wach geworden, da die Schmerzen in der Nacht so stark waren, dass Schlafen kaum möglich war.“ Er habe auch Bekannte nach ihren Gründen gefragt. „Zu früh, zu spät, vergessen, Angst, Panik – wie Sie sehen, gibt es niemanden, der dachte: ‚ach, egal‘. Schließlich wartet ja jeder auf diesen Termin, gerade der Patient. [...] Die gesunden Menschen in meinem Umfeld gehen nur einmal im Jahr zum Arzt, um sicherzugehen. Das sind nicht die, die nicht auftauchen. Diese Ausfallgebühr ist eine Frechheit! Der Patient bekommt doch auch nichts, wenn der Arzt ihm nicht geholfen hat.“ Auch sei bei seinem Hausarzt „die Praxis voll, egal ob man pünktlich ist oder nicht – warten muss man eh mindestens 30 Minuten bis zu 2 Stunden. Wahrscheinlich glauben Mediziner, Kranke haben Zeit.“
Einige weitere Patienten bemängeln in der Umfrage, dass sie teils sehr lange Wartezeiten in den Praxen hätten – trotz Terminvergaben – oder die Praxen für Vergaben und Absagen schlicht nicht erreichbar seien. Ein weiterer Patient schreibt: „PatientInnen verpassen ständig Anschlusstermine, müssen sich am Arbeitsplatz entschuldigen oder gleich Urlaub nehmen, weil Praxen einen Termin offenbar mehrfach vergeben. Zeit ist auch bei PatientInnen kostbar.“ Eine MFA sieht dieses Argument ebenfalls: „Für längere, nicht abgesagte Termine (ab 1/2 Std.) finden es viele Parienten reell, wenn sie eine Ausfallgebühr bezahlen müssen – vorherige Aufklärung vorausgesetzt! Allerdings sollten sich auch die Ärzte an ihren Terminkalender halten. Stundenlanges Warten müssen, obwohl man einen Termin hat, geht dann gar nicht!“
Ein Rheumatologe hat eine Lösung ohne Gebühr gefunden, da er mit dieser schlechte Erfahrungen machte: „Wir hatten die Ausfallgebühr, solange es die Praxisgebühr gab. Die Aggressivität der betroffenen Patienten war eine zu hohe Belastung für das Personal. Nun beenden wir die Arzt-Patienten-Beziehung nach den zweiten nicht abgesagten Termin bzw. geben keinen zweiten nach verpasstem Ersttermin. Das ist für die Patienten noch härter, weil die Wartezeit beim Rheumatologen bis zu einem Jahr betragen kann. Aber irgendwo müssen ja auch Terminslots für Notfälle herkommen – moralisch also am besten von Menschen, die uns nicht so wichtig finden.“
Auch ein Dermatologe hat ein eigenes System: „Ich sehe oft Akuterkrankungen, die nicht terminierbar sind (Urticaria, Zoster etc.). Daher habe ich ein Mischsystem: Termine sind Richtzeiten, aber keine punktgenauen Zeiten, dafür kommen Akutfälle auch unter. Deswegen gilt: Ausfälle sind eher willkommen, weil sie Druck ablassen. Würde ich Geld für Ausfälle verrechnen, würden die Patienten auch punktgenaue Termine fordern. Als Kassenarzt ist aber die Versorgungsqualität oberste Priorität.“
Zur Neiddebatte kam von einem Arzt außerdem ein kreativer Vorschlag: „Das Geld könnte auch gespendet werden, z. B. an Ärzte ohne Grenzen, dann laufen die Neid-Argumentierer ins Leere.“ Eine MFA merkt an: „Es braucht andere Maßnahmen als eine Strafe, um Arzt und Patient wieder zu mehr gegenseitiger Wertschätzung zu bewegen – z. B. Transparenz über Leistung und Wert der Leistung.“
Die meisten Stimmen sind aber für eine Gebühr. Ein angestellter Arzt schreibt: „Bei der Buchung eines Hotelzimmers, eines Kindergeburtstages, eines Tattoo-Termins oder einer Physiotherapieeinheit muss ich im Falle einer kurzfristigen Absage ja auch eine Ausfallgebühr zahlen!“ Viele von euch haben auch schon gute Erfahrungen mit einer Gebühr gemacht. Ein Arzt schreibt: „Machen wir schon, klappt hervorragend. Nichtzahler bekommen keine weiteren Termine. Gegenseitiger Respekt muss sein!“ Ein anderer: „Erheben wir schon seit Jahren. Es hat die Termineinhaltung verbessert.“
Wie hoch die Ausfallgebühr ist, unterscheidet sich: mal 20, mal 30 Euro, den Stundenlohn je nach Termin oder 50 % des entgangenen Umsatzes – ihr habt viele verschiedene Modelle. Viele von euch schränken bei Ausfall erstmal die Terminvergabe für diese Patienten ein, bis sie sich wieder als zuverlässig erweisen. „Um No-shows bei Behandlungen, die länger dauern, zu vermeiden, ruft meine Assistenz vorher zweimal an und erinnert an den Termin. Wird nicht reagiert, wird der lange Termin eingekürzt.“
Ob und in welche Richtung die Politik nun nochmal an den Stellschrauben dreht, bleibt abzuwarten. Handlungsbedarf bleibt allerdings bestehen – das ist offensichtlich. Dass die Ausfallgebühr jedoch schlechte Karten hat, macht eine Einordnung von Stefan Schwartze, dem Patientenbeauftragten der Bundesregierung, deutlich: „Straf- und Praxisgebühren haben sich als Irrweg erwiesen. Den Arztpraxen entsteht durch das Erheben der Gelder ein erheblicher Aufwand, der den wirtschaftlichen Nutzen bei Weitem übersteigt. Durch eine Gebühr findet zudem keine steuernde oder erziehende Wirkung statt. Diese und weitere Erkenntnisse führten erst vor einigen Jahren dazu, die Praxisgebühr wieder abzuschaffen. Zudem halte ich es für unangemessen, Privathaushalte und somit Patientinnen und Patienten in wirtschaftlich schwierigen Zeiten zusätzlich zu belasten. Zielführender sind niedrigschwellige und innovative Lösungen zur Kontaktaufnahme und Terminvereinbarung sowie ein gutes und vertrauensvolles Patienten-Arzt-Verhältnis.“
Bildquelle: Jaime Spaniol, Unsplash