Die Anzahl der Alzheimer-Patienten steigt – ein Trend, der auch in Zukunft erstmal so bleiben wird. Neue Therapieansätze sind kostspielig. Können wir uns das überhaupt leisten?
Fast 8,5 Prozent der Deutschen im Alter über 65 Jahren waren laut Angabe des Statistischen Bundesamts im Jahr 2021 von einer Demenz betroffen. Aufgrund des demographischen Wandels ist in den kommenden Jahren mit einem weiteren Anstieg zu rechnen – denn in einer alternden Gesellschaft nimmt die absolute Zahl von altersassoziierten Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson weiter zu. Hinzu kommt, dass der Anstieg der Neuerkrankungsrate an neurodegenerativen Erkrankungen sogar noch höher ist, als sich allein durch Alterung der Gesellschaft erklären ließe. Als Ursache werden hier Umwelt- und Lebensstilfaktoren diskutiert. Gleichzeitig steigt die Lebenserwartung weiter an, sodass sich unsere Gesellschaft auf einen großen Zuwachs an Menschen mit chronischen neurologischen Erkrankungen einstellen muss.
Verschärft wird die zukünftige Versorgungslage in der Neurologie dadurch, dass für neurologische „Volksleiden“ wie Alzheimer neue innovative Therapien auf den Markt kommen, die eine besondere Betreuung der Patienten erforderlich machen. Damit Betroffene von den Therapien profitieren, muss die Behandlung so früh wie möglich einsetzen – bevor das Vollbild einer Alzheimer-Erkrankung erreicht ist. Bei den ersten kognitiven Einschränkungen muss geklärt werden, ob tatsächlich Alzheimer zugrunde liegt. Hierfür sind eine spezialisierte neuropsychologische, bildgebende und laborchemische Diagnostik einschließlich Liquor-Untersuchung erforderlich.
Nun rechtfertigen Lumbalpunktionen keine stationäre Aufnahme im Krankenhaus, werden aber auf der anderen Seite nicht flächendeckend in den Facharztpraxen angeboten. Nach der Diagnose bedarf es einer umfassenden Patientenaufklärung über die Therapien und die Infusion der Medikamente muss spezialfachärztlich überwacht werden. Sowohl die Diagnostik als auch die Therapie werden so zu einem Stress-Test für die ambulanten neurologischen Versorgungsstrukturen, qualitativ und quantitativ.
„Alle Betroffenen haben Anspruch auf eine leitliniengerechte Therapie“, betont Dr. Uwe Meier, Vorsitzender des Berufsverbands Deutscher Neurologen (BDN). „Es wird zukünftig eine große Herausforderung, all diese Menschen auch in der Fläche gut zu versorgen“, bestätigt Dr. Klaus Gehring, Vorsitzender des Berufsverbands Deutscher Nervenärzte (BVDN).
Wie Prof. Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), weiter ausführt, müssen für eine flächendeckende Versorgung zeitnah qualitativ hochwertige Diagnostik- und Therapie-Strukturen an neurologischen Kliniken und in Facharztpraxen geschaffen werden. „Bei Zulassung der neuen Alzheimer-Medikamente, die in wenigen Monaten zu erwarten sein dürfte, brauchen wir nicht nur ausreichend viele Infusionsplätze in Ambulanzen, Praxen und MVZs, sondern auch speziell geschultes und ausgebildetes Personal sowie ein entsprechendes Frühdiagnostik-Angebot mit den dafür notwendigen Labor- und Bildgebungskapazitäten.“
Der Fortschritt in der Therapie bringe aber auch noch eine ganz andere Herausforderung mit sich. „Die neuen Therapien sind per se kostenintensiv, hinzu kommen die Zusatzkosten für Diagnostik, Infrastruktur und Personal – und im Fall von Alzheimer sprechen wir nicht von einer seltenen Erkrankung“, betont Berlit. „Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie sieht ihre Aufgabe darin, wissenschaftlich belegte Diagnostikkriterien anzuwenden, damit diejenigen die Behandlung erhalten, die davon profitieren und bei denen die Nutzen-Risiko-Relation günstig ist. Dafür ist die Einrichtung von Gedächtnisambulanzen und -praxen dringend erforderlich.“
Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft schätzt die Zahl der Demenzneuerkrankungen pro Jahr auf über 430.000 Fälle und etwa bei Dreiviertel aller Demenzfälle liegt eine Alzheimer-Erkrankung zugrunde. Eine Arbeit dieses Jahres rechnet vor, dass für eine Therapie mit dem Antikörper Lecanemab in 27 europäischen Ländern insgesamt 5,4 Millionen Patienten in Frage kommen, was zu jährlichen Therapiekosten in Höhe von 133 Milliarden Euro führen würde. Die jährlichen Therapiekosten pro Patient werden auf knapp 25.000 Euro beziffert. In Abhängigkeit von der Zahl behandelter Patienten pro Jahr würden Alzheimertherapeutika rasch Rang 1 der verordnungsstärksten Arzneimittelgruppe belegen und noch vor den Ausgaben für Krebsmedikamente liegen. Hinzu kämen die erforderlichen Investitionen in die Versorgungsstruktur.
Die DGN und die Berufsverbände sind sich einig: „Das sind Ausgaben, die gesamtgesellschaftlich konsentiert sein müssen und es fehlt eine öffentliche Debatte zu diesem wichtigen Thema. Hier ist nun die Gesundheitspolitik gefordert – denn es muss geklärt werden, wie wir die Versorgung in der Fläche und die Bezahlbarkeit sicherstellen können.“
Dieser Artikel beruht auf einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie.
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