Sei es DocMorris, der Lunapharm-Skandal oder aber ein Kollege, der wegen 11 Euro Schaden fast 10.000 Euro zahlen muss – vor Gericht tut sich aus Apo-Sicht gerade einiges. Lest hier mehr.
Derzeit gibt es wieder mehrere Gerichtsverfahren, welche die Apothekenwelt beschäftigen. Einige davon hätten – je nachdem, wie sie ausgehen – einen großen Einfluss auf den Alltag in den Apotheken vor Ort und auch für die Versender. Bei anderen geht es schlicht um die Glaubwürdigkeit von Pharmakonzernen und damit auch um das Vertrauen, das Patienten (noch) in ihre medikamentöse Therapie setzen können. Ein anderes Urteil ist für den betroffenen Apotheker hart und auch schwer verständlich – gerade im Hinblick auf das kommende ALBVVG. Wir wollen uns das mal genauer ansehen.
Es geht um gut 14 Millionen Euro zuzüglich Zinsen, die verschiedene Unterlassungsverfahren durch die Apothekerkammer Nordrhein (AKNR) den Arzneimittelversender DocMorris, der aus den Niederlanden operiert, gekostet haben sollen. Hintergrund: Die deutsche Preisbindung von Arzneimitteln, die vor 2016 auch für Versender galt, wurde mehrfach von DocMorris nicht eingehalten. Die Kammer mahnte ab. Als keine Reaktion erfolgte und die Boni-Praktik weiterlief, ging die Angelegenheit vor Gericht und es wurden einstweilige Verfügungen erlassen, um das Abwerben von Patienten über Preisnachlässe, die deutsche Apotheken nicht gewähren durften, zu stoppen.
Im Jahr 2016 entschied allerdings der Europäische Gerichtshof, dass das Verbot von Boni und Preisnachlässen gegen europäisches Recht verstößt, denn die Anwendung der deutschen Preisbindung auf Versandapotheken aus dem EU-Ausland laufe der Warenverkehrsfreiheit innerhalb der EU zuwider. Die Verfügungen gegen DocMorris waren damit also nicht rechtens und es wurde eben diese Klage gegen die Apothekerkammer Nordrhein erhoben, da der Arzneimittelversender sich finanziell geschädigt fühlte. Statt nun endlich einen Strich zu ziehen und die Schadensersatzansprüche festzulegen, wurde das Verfahren allerdings aktuell wieder ausgesetzt und der EuGH um die Klärung offener Fragen gebeten. Das bedeutet, dass weiterhin nichts entschieden wurde – weder für, noch gegen die AKNR.
Wer erinnert sich nicht an die Firma Lunapharm, die 2018 in die Schlagzeilen geriet? Laut Bericht des ARD-Magazins Kontraste soll die Firma mit Sitz in Brandenburg illegal beschaffte Krebsmedikamente – Bevacizumab und Rituximab – über eine Apotheke in Griechenland bezogen haben, die nicht einmal die entsprechende Großhandelserlaubnis hatte. Als direkte Folge dieses Skandals trat Diana Golze, damals brandenburgische Gesundheitsministerin, zurück und der Bundesrat beschloss das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV), um den Bundesbehörden mehr Möglichkeiten zur Überwachung an die Hand zu geben.
Lunapharm wurde außerdem aufgrund von Unzuverlässigkeit die Herstellungs- und Großhandelserlaubnis entzogen. Geschäftsführerin Susanne Krautz-Zeitel sprach von Beginn an davon, dass es sich hier lediglich um einen Medien-, nicht um einen Arzneimittelskandal handle. Die Ware sei immer einwandfrei und ohne Mängel gewesen, lediglich der Vertriebsweg war – was ihr persönlich nicht bekannt gewesen sei – möglicherweise unsauber. Sie verklagte die Bundesrepublik Deutschland auf Grundlage von Amts- und Staatshaftungsrecht auf Schadensersatz – und unterlag vor Kurzem mit ihrer Klage vor dem Landgericht Potsdam. Die Klage habe sich von vornherein gegen die falsche Beklagte gerichtet, da für die Bescheide die zuständige brandenburgische Arzneimittelaufsicht zuständig gewesen sei.
Ein glücklicherweise seltener Fall für eine Nullretax, die dafür geeignet ist, eine Apotheke in wirtschaftliche Nöte zu bringen: Ein Apotheker hat 2018 ein Rezept über 2 x Humira® 40 mg 6 Fertigspritzen erhalten und es – da es nicht lieferbar war – gegen ein wirkstoffgleiches Produkt einer anderen Firma ausgetauscht, für die kein Rabattvertrag mit der Hanseatischen Krankenkasse (HEK) vorlag. Die Krankenkasse beanstandete dies im Folgejahr, und zog 9.790,66 Euro, nämlich die Differenz zwischen Verkaufspreis und Apothekenrabatt, von den folgenden Forderungen der Apotheke gegen sie ab. Der Apotheker reichte der Krankenkasse verschiedene Belege unterschiedlicher Großhändler nach, dass zum Abgabezeitpunkt weder das Originalprodukt, für das ein Rabattvertrag vorlag, noch die Rabattartikel anderer Firmen lieferbar waren. Das reichte der HEK nicht aus, so entschied der Apotheker zu klagen.
Dabei unterlag er nun vor dem Sozialgericht Lübek. Er war der Auffassung, dass der Kasse bei seinem Austausch nur ein minimaler Schaden entstanden sei, nämlich etwa 11 Euro und sah eine Nullretax daher als nicht gerechtfertigt an. Das Gericht verwies jedoch darauf, dass vergessen wurde, den Grund des Austausches auf dem Rezept zu vermerken, die Belege der Großhändler nicht ausreichten und der tatsächliche Schaden durch die genannten 11 Euro nicht wirklich umfänglich bezifferbar sei. „Die Pflicht zur Abgabe rabattierter Arzneimittel dient nicht nur der Einsparung bei individuellem Abgabepreis, sondern auch dazu, insgesamt durch die Abgabe einer größeren Anzahl Medikamente des gleichen Herstellers weitere Rabatte für die Versichertengemeinschaft zu erzielen. Die gesetzliche Regelung dient also dem Schutz des Rabattsystems als solchem“, heißt es in der Begründung des Sozialgerichts.
Solche Urteile gehören allerdings hoffentlich bald der Vergangenheit an, da Paragraph 129 SGB V Absatz 4d des Arzneimittellieferengpass- und Versorgungsverbesserungsgesetzes (ALBVVG) künftig einen Retaxausschluss vorsieht, wenn trotz existierendem Rabattvertrag kein Rabattvertragsarzneimittel abgegeben wird. Die Apotheke hat dann lediglich keinen Anspruch auf die Vergütung nach der Arzneimittelpreisverordnung, den Fixzuschlag von 8,35 Euro plus 3 Prozent, bekommt also wenigstens ihre Ausgaben erstattet. Ein schwacher Trost für den betroffenen Apotheker aus Hamburg – für ihn kam der Paragraph zu spät.
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