Kommunikation ist wichtig – vor allem in Beziehungen. Was das angeht, sind sogar Zellen auf einer Wellenlänge. Wie sie das machen und welche (Körper-)Sprache sie dafür nutzen, lest ihr hier.
Woran denkt man bei biologischer Forschung? Tiere, Pflanzen, theoretische Berechnungen auf Computern? Letzteres scheint überraschend, dabei ist es ein wichtiger Teil der biologischen Grundlagenforschung. Gerade diese Berechnungen helfen, komplexe biologische Phänomene bis ins kleinste Detail zu verstehen. Edouard Hannezo, Professor am Institute of Science and Technology Austria (ISTA), erkundet damit beispielsweise physikalische Prinzipien in biologischen Systemen. Die aktuelle Studie seiner Gruppe liefert neue Erkenntnisse darüber, wie sich Zellen im lebenden Gewebe bewegen und kommunizieren.
Während seiner Dissertation entwickelte Daniel Boocock zusammen mit Hannezo und Tsuyoshi Hirashima von der National University of Singapore ein detailliertes neues theoretisches Modell – publiziert im Fachmagazin PRX Life. Es dient dem besseren Verständnis der Zell-Zell-Kommunikation und beschreibt sowohl die komplexen mechanischen Kräfte, die Zellen aufeinander ausüben, als auch ihre biochemische Aktivität.
„Nehmen wir an, man hat eine Petrischale, die mit Zellen bedeckt ist – ein sogenannter einschichtiger Zellrasen oder kurz Monolayer. Es wirkt so, als würden die Zellen einfach nur dasitzen. Tatsächlich aber bewegen sie sich, sie wirbeln herum und zeigen spontan chaotische Verhaltensweisen“, erklärt Hannezo.
Ähnlich wie ein dichtes Gedränge auf einem Konzert reagieren Zellen darauf, wenn eine andere Zelle an einer Seite anzieht. Entweder folgen sie in die gleiche Richtung oder schieben in die entgegengesetzte an. Informationen breiten sich somit in Wellen aus, die sogar unter dem Mikroskop sichtbar sind.
„Zellen nehmen nicht nur mechanische Kräfte wahr, sondern auch ihre chemische Umgebung, also jene Kräfte und biochemische Signale, die die Zellen aufeinander ausüben“, so Hannezo weiter. „Ihre Kommunikation ist ein Zusammenspiel aus biochemischer Aktivität, physikalischem Verhalten und Bewegung; das Ausmaß der einzelnen Kommunikationsarten und die Art und Weise, wie solche mechanisch-chemischen Wechselwirkungen in lebenden Geweben funktionieren, war bisher jedoch schwer zu erfassen.“
Angetrieben von den Wellenbildern war es das Ziel der Wissenschaftler, ein theoretisches Folgemodell zu entwickeln, das ihre bisherige Theorie über die Bewegung von Zellen von einer Region zur nächsten bestätigt. Boocock erklärt: „In unserer früheren Arbeit wollten wir den biophysikalischen Ursprung der Wellen aufdecken und herausfinden, ob sie eine Rolle bei der Organisation der kollektiven Zellwanderung spielen. Allerdings hatten wir weder den Flüssig-Fest-Übergang des Gewebes, das systemeigene Rauschen noch die detaillierte Struktur der Wellen in 2D berücksichtigt.“
Ihr neuestes Computermodell beachtet Zellbeweglichkeit und Materialeigenschaften des Gewebes. Damit fanden Boocock und Hannezo heraus, wie Zellen mechanisch und chemisch kommunizieren und wie sie sich bewegen. Die in Petrischalen beobachteten Phänomene konnten sie replizieren und damit eine theoretische Erklärung der Zellkommunikation auf Basis physikalischer Gesetze verifizieren.
Für den experimentellen Nachweis dieses rein theoretischen Modells arbeiteten die Wissenschaftler mit Biophysiker Hirashima zusammen. Zur Überprüfung, ob das neue Modell auf echte biologische Systeme angewandt werden kann, verwendeten sie 2D-Monolayer von MDCK-Zellen – spezifische Säugetiernierenzellen, die ein klassisches In-vitro-Modell für solcherlei Forschung sind.
Ein prachtvolles Farbenspiel. Das Bild zeigt die Aktivierung eines chemischen Signalweges (ERK-Weg; oben rechts) kombiniert mit simulierten 2D-Zellbereichen (unten links) in einer Zellschicht. Credit: Hannezo Group.
„Blockierten wir einen chemischen Signalweg, der Zellen das Spüren und Erzeugen von Kräften ermöglicht, bewegten sich die Zellen nicht mehr und es breiten sich keine Kommunikationswellen mehr aus“, erklärt Hannezo. „Mit unserer Theorie können wir verschiedene Komponenten des komplexen Systems verändern und einfach feststellen, wie sich die Dynamik des Gewebes verändert.“
Zellgewebe ähnelt in gewisser Weise Flüssigkristallen: Es fließt wie eine Flüssigkeit, ist aber kristallartig angeordnet. „Insbesondere das flüssigkristall-ähnliche Verhalten von biologischem Gewebe wurde bisher nur unabhängig von mechanisch-chemischen Wellen untersucht“, so Boocock. Eine Ausweitung auf 3D-Gewebe oder Monolayer mit komplexen Formen, wie sie in lebenden Organismen vorkommen, ist ein potenzieller nächster Forschungsansatz.
Ebenso haben die Forscher begonnen, das Modell in Hinsicht auf Wundheilung zu optimieren. In Simulationen konnte – über die Verbesserung des Informationsflusses durch verschiedene Parameter – die Heilung bereits beschleunigt werden. Hannezo fügt hinzu: „Richtig interessant wird sein, inwieweit sich unser Modell bei der Wundheilung in Zellen innerhalb von lebenden Organismen bewährt.“
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung des Institute of Science and Technology Austria. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Linus Nylund, unsplash