Typisches Augustwetter haben wir zwar nicht, aber die nächste Hitzewelle kommt bestimmt. Ärzte fordern daher eine ausgedehnte Mittagspause an heißen Tagen für Arbeitnehmer – und Karl hat auch noch Ideen.
Er sorgte ganz schön für Aufsehen, der Vorschlag des Vorsitzenden vom Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD), Johannes Nießen. Er will im Sommer hierzulande eine Art Siesta einführen. Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach twitterte prompt: „Siesta in der Hitze ist sicherlich kein schlechter Vorschlag.“
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Man solle sich in Hitzeperioden an den Arbeitsweisen südlicher Länder orientieren: Früh aufstehen, morgens produktiv arbeiten und mittags Siesta machen, so Nießen im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Komplexe Arbeitsanforderungen sollte man daher lieber in die frühen Morgenstunden verschieben. Zudem braucht es ausreichend Ventilatoren und leichtere Kleidung, auch wenn die Kleiderordnung im Büro das nicht erlaubt.“
Und tatsächlich, dieser Vorschlag mag unrealistisch klingen, die Motivation dahinter ist aber begründet. In Deutschland verstarben im Zeitraum zwischen 2017–2021 insgesamt 5.140 mehr Menschen an Hitze, als in den Jahren 2000 –2004, was einer Zunahme um 53 Prozent entspricht. Fest steht: Es wird immer wärmer und wir müssen mit häufigeren Hitzewellen rechnen – auf der ganzen Welt.
Mittlerweile ist die Siesta größtenteils aus dem Alltag der Spanier verschwunden – nicht mal mehr ein Fünftel der Menschen sollen dort noch einer mehrstündigen Mittagsruhe frönen. Aber schützte ihre mittägliche Pause sie, solange diese noch weit verbreitet war? Vielleicht. Schaut man sich die Länder mit den meisten Hitzewellen-Tagen in Europa in den letzten 23 Jahren an, steht Spanien mit 46 Hitzewellen-Tagen hinter den baltischen Ländern und der Schweiz auf Platz fünf, vor Italien (43 Tage) und Frankreich (35 Tage). Als Hitzewellen-Tage wurden Tage mit Temperaturen gezählt, die für die Region ungewöhnlich hoch sind. Auch wurden verschiedene gesundheitlich relevante Parameter wie zum Beispiel die Luftfeuchtigkeit berücksichtigt. Schaut man sich allerdings Zahlen der verheerenden Hitzewelle von 2003 an, meldete Spanien deutlich weniger Todesopfer (15.090) als Frankreich (19.490) und Italien (20.089). Bei den Hitzetagen lag Deutschland übrigens bisher mit 31 Tagen im europäischen Vergleich hinten. Aber auch hier forderte die Hitzewelle von 2003 9.355 Todesopfer.
Sollte die Siesta also doch in besonders heißen Regionen wieder verstärkt eingeführt werden – besonders in Berufen, in dem Menschen der Außentemperatur ausgesetzt sind? In Spanien wird jedenfalls von einer zunehmenden Anzahl an Todesfällen durch hohe Temperaturen berichtet. Letzten Sommer starben dort mehr als 350 Menschen aufgrund von Hitze, davon 122 durch einen Hitzschlag und 233 durch Dehydrierung. Drei Jahre vorher waren es noch 49 bzw. 109 Todesfälle.
Wie also umgehen mit der Hitze? Der Siesta-Vorschlag wurde medial eher zerpflückt und von vielen belächelt.
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Nun, auch wenn es an der konkreten Umsetzung noch hapert, so kann es doch nötig und nützlich sein, während Hitzewellen Vorkehrungen zu treffen. Ein Forscherteam der Universität Bern wertete in einer Studie Arbeitsunfälle in der Schweiz von 1996 bis 2019 aus. Das kleine Land mit den vielen Bergen und Seen eignete sich laut der Forscher für eine solche Untersuchung, da es hier auf kleinem Raum eine große Variation an Temperaturen gibt. Auch lassen sich die Unfalldaten tagesgenau auf kleinteiliger regionaler Ebene einsehen und mit dem Wetter abgleichen. Das Ergebnis: Mit Temperaturen über 30 Grad steigt auch die Zahl der Arbeitsunfälle – um 7,4 Prozent.
Was die Forscher erstaunte: Anders als Studien aus den USA es nahelegten, traf die Hitze alle Arbeitnehmer gleichermaßen. „Wir konnten in unseren Auswertungen keine Unterschiede hinsichtlich des Geschlechts, Alters, Einkommens oder der Branche feststellen“, sagt Ökonomin Katharina Drescher, Autorin der Studie. Auch konnten sie beobachten: Ob in der Baubranche oder bei Bürokräften, die Arbeitsunfälle stiegen in beiden Gruppen prozentual gleichermaßen. Bei Menschen, die im Freien arbeiten, schlug die Mittagshitze mehr zu Buche, während Bürokräften warme Nächte mehr zu schaffen machten. Den Zusammenhang zwischen Temperaturen, Schlafmangel und erhöhten Arbeitsunfällen konnten die Forscher zeigen, indem sie zusätzlich zu den Unfalldaten die Schweizerische Gesundheitsbefragung heranzogen.
Den wirtschaftlichen Schaden, den die Unfallzunahme an Hitzetagen ab 30 Grad, aber auch an Sommertagen mit 25 bis 30 Grad und Kältetagen mit Minusgraden verursacht, betrug laut Berechnungen der Forscher über 90 Millionen Euro jährlich – Tendenz stark steigend.
Anja Piel, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), forderte im Zuge der Diskussion alle Arbeitgeber auf, während der Sommermonate regelmäßig Hitzegefährdungsbeurteilungen zu erstellen. „Arbeitgeber müssen ihre Beschäftigten vor Hitze schützen – Arbeit bei Hitze ist für Beschäftigte belastend und gefährdet im schlimmsten Fall ihre Gesundheit“, sagte Piel dem RND. Auch forderte sie, Büroräume, in denen über 35 Grad sind, zu schließen. „In Räumen mit über 35 Grad kann nicht mehr gearbeitet werden – außer, der Arbeitgeber bietet Hilfsmittel wie Luftduschen und Hitzepausen an.“
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach legte am vergangenen Freitag einen ersten, konkreten Hitzeschutzplan des Bundesgesundheitsministeriums für diesen Sommer vor. Kommunikation und Sensibilisierung seien zurzeit die wichtigsten Hebel des kurzfristigen Hitzeschutzes. „Langfristig wollen wir uns aber auch strukturell besser aufstellen. Dafür werden wir uns im Herbst zu einer Statuskonferenz zusammenfinden, um uns für den Sommer 2024 zu rüsten“, erklärt Lauterbach bei der Pressekonferenz.
Was gerade schon passiert: Pflegedienste und Pflegeheime seien über ihre Verbände angeschrieben worden und hätten spezifische Informationen erhalten, was Pflegebedürftige bei Hitzewellen brauchen. Auch würden Gespräche mit Mobilfunkanbietern und Behörden geführt, in deren Zuständigkeit die staatlichen Warn-Apps liegen. Apps oder SMS-Warnungen könnten in Zukunft über Hitzewarnstufen informieren. Zudem sei eine Initiative mit dem Hausärzteverband ins Leben gerufen worden. „Ärztinnen und Ärzten kommt eine besondere Aufgabe beim Hitzeschutz zu: Sie kennen besonders vulnerable Patienten, können diese und gegebenenfalls auch deren Angehörige rechtzeitig informieren und nützliche Tipps für den Umgang mit Hitze geben“, so Lauterbach.
Ob diese Maßnahmen ausreichen, bleibt abzuwarten.
Bildquelle: Wally Salinger, Unsplash