Patienten haben ein höheres Risiko, auf die Intensivstation verlegt zu werden, wenn zuvor andere Patienten derselben Station verlegt wurden. Woran liegt’s?
Bei der Verlegung eines Patienten von der Normal- auf eine Intensivstation spielen zahlreiche Faktoren eine Rolle – nicht nur der Gesundheitszustand. Eine Studie in JAMA veranschaulicht jetzt, wie subjektiv die Entscheidung für eine Verlegung sein kann. Darin heißt es nämlich, dass Krankenhauspatienten ein erhöhtes Risiko für eine Verlegung auf die Intensivstation haben, wenn das bei anderen Patienten auf derselben Station in den letzten Stunden der Fall war. Aber woran liegt’s?
Die Wissenschaftler analysierten in ihrer retrospektiven Kohortenstudie Daten von insgesamt 118.529 Krankenhausaufenthalten aus drei kanadischen Lehrkrankenhäusern. Die Patienten waren durchschnittlich 72 Jahre alt, rund die Hälfte war weiblich (49,3 %). Von der Gesamtzahl der Klinikaufenthalte waren 35.301 (29,8 %) keinem kritischen Krankheitsereignis auf derselben Station ausgesetzt und 83.228 (70,2 %) waren mindestens einem Ereignis ausgesetzt. Zum Tod oder zur Verlegung auf die Intensivstation kam es bei 8.785 Aufenthalten (7,4 %). In dieser Gruppe kam es bei 4.062 (3,4 %) zu einer Verlegung auf die Intensivstation und bei 4.723 (4 %) zum Tod ohne Verlegung auf die Intensivstation.
Die Wahrscheinlichkeit, selbst ein kritisches Krankheitsereignis zu erfahren, war bei Patienten um 39 % höher, wenn ein anderer Patient auf derselben Station in den vorangegangenen 6 Stunden ein solches Ereignis erlitten hatte, als wenn kein solches Ereignis vorlag (bereinigte Odds Ratio, aOR: 1,39). Die Exposition gegenüber zwei vorherigen kritischen Krankheitsereignissen auf derselben Station in den vorangegangenen 6 Stunden war mit einer noch höheren Wahrscheinlichkeit für ein kritisches Krankheitsereignis verbunden (aOR: 1,49).
Die Exposition war dabei mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit einer Verlegung auf die Intensivstation verbunden (aOR: 1,67) – aber nicht mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit des Todes (1 Ereignis – aOR: 1,08; > 1 Ereignis – aOR: 0,88). Traten die kritischen Krankheitsereignisse hingegen auf anderen Stationen auf, kam es nicht zu einem erhöhten Risiko.
Warum es zu diesem Cluster-Phänomen kommt, können sich die Forscher nicht genau erklären, mögliche Gründe liefern sie aber dennoch. Vermutlich spielt die erhöhte Wachsamkeit des Personals nach einem früheren kritischen Ereignis eine entscheidende Rolle. Eine weitere Möglichkeit ist die erhöhte Verfügbarkeit von Betten auf der Intensivstation bzw. Kapazitätsschwankungen auf den Stationen. Allerdings zeigte die negative Kontrollanalyse der Autoren, dass es keinen signifikanten Zusammenhang zwischen der Verlegung von der einen Station und der Verlegung von einer anderen Station auf die Intensivstation gab. Das deute darauf hin, dass nicht nur die Verfügbarkeit von Betten auf der Intensivstation für den Unterschied verantwortlich ist.
„Die Umgebung auf der Intensivstation ist für die Rehabilitation und Genesung der Patienten nicht gerade förderlich“, schreiben Wang et al. in einem begleitenden Editorial. Es bräuchte daher Maßnahmen für eine objektive und physiologische Risikovorhersage, um dem Personal bei der Entscheidung für die Verlegung eines Patienten besser helfen zu können.
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