Personalisierte Medikamente sind die Hoffnungsträger der Medizin. Aber sind sie wirklich so wirksam wie gedacht – oder hat hier auch eine besondere Form des Placebo-Effekts seine Finger im Spiel?
Globuli gegen Kopfschmerzen, Pusten auf das gestoßene Knie des Kindes und der Rollmops nach einer durchzechten Nacht – diese Wege zur Besserung verbindet ein Wirkmechanismus: Der Placebo-Effekt. Tabletten und Pillen, die keine (oder nicht-wirksame Mengen) Wirkstoffe enthalten, können bei Patienten nachweislich Linderung von Beschwerden verschaffen – ebenso wie Scheinbehandlungen. Eine Placebo-Behandlung kann bei Patienten den gleichen Effekt haben, wie das Verabreichen von Medikamenten.
Schon die Antizipation einer voraussichtlichen Besserung durch Medikamenteneinnahme kann einen positiven Einfluss auf Beschwerden haben. Auch Erfahrungen spielen hier eine wichtige Rolle: Hat Pille-X bisher bei Übelkeit immer geholfen, wird sie das auch diesmal tun. Studien haben in der Vergangenheit gezeigt, dass Suggestion, Erwartungen der Patienten, Lernen durch Beobachtung sowie soziale Verhaltensweisen große Einflussfaktoren für den Placebo-Effekt sind (hier und hier). Ein Arzt, der von der Behandlungsmethode überzeugt zu sein scheint, kann auch dann eine Verbesserung der Symptomatik erzielen, wenn er nur ein Placebo verabreicht. Die Wirkung des Placebo-Effekts reicht von Verbesserung von subjektiven Wahrnehmungen (Schmerz oder z. B. Depressionen) über die von physiologischen Symptomen (z. B. Immunfunktion).
Die Präzisionsmedizin ist Hoffnungsträger bei seltenen oder bisher schwer behandelbaren Krankheiten. Sie ist auf ein Individuum, bzw. eine Form einer Erkrankung zugeschnitten und orientiert sich häufig an Biomarkern oder molekularen Besonderheiten. Mithilfe von z. B. Genomsequenzierung können genetische und molekulare Ursachen von Krankheiten identifiziert werden und die Behandlung entsprechend angepasst werden. Welchen Einfluss der Placebo-Effekt auf den Behandlungserfolg von personalisierter Medizin hat, untersuchten jetzt amerikanische Wissenschaftler.
Die Forscher analysierten die Schmerzwahrnehmung von gesunden Probanden im Alter von 18–25 Jahren unter verschiedenen Bedingungen. Dafür wurden die Probanden in zwei Placebo-Gruppen aufgeteilt: Eine Kontroll-Gruppe und eine, die eine „personalisierte“ Placebo-Behandlung erhielt. Beide Versuchsgruppen füllten zu Beginn Fragebögen zur Persönlichkeit aus, die später mit den Ergebnissen zusammen ausgewertet wurden.
In ihrem Experiment gaben die Forscher gegenüber den Probanden an, den Effekt eines analgetisch-wirkenden Geräts testen zu wollen. Dazu wurde zunächst die Schmerzwahrnehmung jedes Einzelnen getestet und anschließend ein weiterer Durchlauf mit gleichzeitiger Anwendung des „schmerzstillenden Gerätes“ durchgeführt. Bei beiden Gruppen sendete das Gerät nur schwache, kaum merkliche elektrische Impulse, die eine Behandlung simulierten, aber keinen Nutzen hatten. Die Probanden sollten dann sagen, ob und wie sich das Schmerzempfinden verändert hat.
Für jeden Probanden wurde zunächst eine Schmerz-Kalibrierung durchgeführt, bei der Abschnitte auf ihrem Arm insgesamt 28 verschiedenen Hitze-Impulsen ausgesetzt wurden. Diese Impulse dauerten jeweils neun Sekunden und variierten zwischen 40 °C und 49 °C und mussten anschließend auf einer Skala von 0–100 eingeordnet werden.
Im nächsten Schritt unterschieden sich die beiden Gruppen.
Im Versuch selbst wurden die Probanden beider Gruppen den bereits bekannten Hitze-Impulsen erneut ausgesetzt. Diesmal waren sie jedoch gleichzeitig am Gerät angeschlossen, das angeblich zur Schmerzlinderung führen sollte. Die Wissenschaftler untersuchten so den Einfluss auf die Schmerzintensität und das durch den Schmerz ausgelöste Unbehagen.
Die Auswertung ergab, dass die „personalisierte“ Gruppe (PG) eine fast doppelt so hohe Reduktion der Schmerzintensität wahrnahm als die Kontroll-Gruppe (KG) (red. um 38 % [PG], 19 % [KG]). Auch das Gefühl, wie unangenehm sie den Schmerz wahrnahm, war bei der PG stärker reduziert (41 %) als bei der KG (27 %). Die Häufigkeit von Nebenwirkungen war in beiden Versuchsgruppen gleich.
Aus den Fragebögen war zu entnehmen, dass die personalisierte Placebo-Anwendung insbesondere bei Probanden einen größeren Effekt zeigte, die ein höheres Bedürfnis für Einzigartigkeit angaben. Die Stärke des Placebo-Effekts korrelierte in der Studie also mit der Persönlichkeit der Probanden. Personen, die mit einer positiven Einstellung in das Experiment gingen und schon vor der Konditionierung erwarteten, dass das Gerät funktioniert, empfanden den Schmerz als weniger unangenehm. Personen, die erst nach der Konditionierung von der Wirksamkeit des Geräts überzeugt waren, empfanden den Schmerz als weniger intensiv.
Diese Studie liefert erste Belege für eine mögliche besondere Form des Placebo-Effekts bei personalisierter Medizin. Das stellt keineswegs den Nutzen von Präzisionsmedizin in Frage, macht aber deutlich, dass diese Form des Placebo-Effekts in Zukunft berücksichtigt werden sollte. „Wenn wir verstehen, wie sich die Psyche bzw. Überzeugungen der Patienten auf die personalisierten Behandlungen auswirken, könnten wir die Forscher ermutigen, sie bei der Entwicklung neuer Medikamente besser zu berücksichtigen“, so Dasha Sandra, Hauptautorin der Studie. Die Autoren wünschen sich in Zukunft mehr doppelblinde Studien bei der Zulassung neuer personalisierter Medikamente.
Auch die Einbeziehung von Persönlichkeitstest halten die Wissenschaftler für sinnvoll, da die Stärke des Placebo-Effekts auch mit gewissen Persönlichkeitsmerkmalen korrelierte. Auch hier könne man dann einem möglicherweise verstärkten Placebo-Effekt durch gewisse Persönlichkeitsmerkmale vorbeugen. Auch die Interpretation der Ergebnisse könnte mit diesen Hintergrundinformationen verbessert werden, ebenso wie die Durchführung von Behandlungen.
„Derzeit wissen Kliniker, die personalisierte Behandlungen durchführen, wenig darüber, wie psychologische Faktoren die Ergebnisse ihrer Patienten verbessern können“, so Mathieu Roy, Professor für Psychologie und Autor der Studie. „Unsere Ergebnisse könnten bei Bestätigung in klinischen Studien den Ärzten helfen, diese Faktoren zu nutzen, um personalisierte Behandlungen effektiver durchzuführen.“
D. A. Sandra et al. (2023) Presenting a sham treatment as personalised increases the placebo effect in a randomised controlled trial, eLife, Juli 2023
https://www.meduniwien.ac.at/web/forschung/eric-kandel-institut-fuer-praezisionsmedizin/
https://psylex.de/placebo-psyche/#a4
Michael R. Kosorok and Eric B. Laber (2019) Precision Medicine, Annual Review of Statistics and Its Application, März 2019
Bildquelle: Matteo Badini, Unsplash