Die Deutschen und ihr Brot: Niemand kann sie trennen. Gefährdet ein Spezialmehl aus Hülsenfrüchten jetzt diese innige Beziehung? Welche gesundheitlichen Vorteile es bringt, lest ihr hier.
Aktuelle Forschungsergebnisse zeigen, dass Brötchen mit einem hohen Anteil eines zellulären Kichererbsen-Mehls schneller und länger satt machen. Mit einem patentierten Verfahren werden die Hülsenfrüchte schonend verarbeitet, so dass die Zellstrukturen weitgehend erhalten bleiben.
Hülsenfrüchte wie Kichererbsen, Linsen, Bohnen und Lupinen gelten landläufig als sehr gesund. Sie enthalten große Mengen an hochwertigem Eiweiß und sind reich an wertvollen Ballaststoffen. Darüber hinaus sind sie eine wichtige Quelle für zahlreiche Vitamine, Mineralien und Spurenelemente. Leider werden Hülsenfrüchte von breiten Teilen der Bevölkerung nicht in nennenswerten Mengen verzehrt. Nach Schätzungen des Bundesinformationszentrums Landwirtschaft (BZL) liegt der derzeitige Pro-Kopf-Verbrauch in Deutschland nur bei etwa zwei Kilogramm pro Jahr. Im Vergleich dazu liegt der jährliche Verzehr von Getreide und Kartoffeln bei etwa 100 bzw. 56 kg pro Bundesbürger. Die Planetary Health Diet, ein Speiseplan, der die Gesundheit des Menschen und des Planeten gleichermaßen schützt, empfiehlt einen Pro-Kopf-Verbrauch von 27 kg Hülsenfrüchte pro Jahr.
Der Konsum von Hülsenfrüchten trägt entscheidend zur Regulierung eines normalen Körpergewichts bei und wird mit positiven Auswirkungen auf die kardiometabolische Gesundheit in Verbindung gebracht. Die gesundheitlichen Effekte hängen jedoch stark vom Verarbeitungsgrad der Hülsenfrüchte ab. Neuartige Verarbeitungstechniken haben jetzt Spezialmehle hervorgebracht, die die intrinsische Zellstruktur ganzer Hülsenfrüchte bewahren. Die Anreicherung von Backwaren und industriell vorverarbeiteten Fertigprodukten mit derartigen Vollzellmehlen aus Hülsenfrüchten könnte zur Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung beitragen.
Das Vollzell-Kichererbsenmehl ist das Ergebnis eines speziell entwickelten hydrothermischen Verfahrens. Dazu werden die Hülsenfrüchte in Wasser gequollen, zum Keimen gebracht, vorsichtig erhitzt und anschließend schonend aufgeschlossen und getrocknet. Auf diese Weise bleiben die Zellstrukturen der Hülsenfrüchte weitgehend erhalten. Im Gegensatz zu Weizen und anderen Getreidearten neigt das Keimblattgewebe von Hülsenfrüchten aufgrund seiner Struktur und Eigenschaften dazu, sich im Verarbeitungsprozess in intakte Zellen zu trennen, sodass die Stärke in den Zellen eingeschlossen bleibt.
Derart „verkapselte“ Stärke wird auch als resistente Stärke vom Typ-1 (RS 1) bezeichnet. Hülsenfrüchte enthalten von Natur aus große Mengen davon. Da sie für die Verdauungsenzyme des Dünndarms nur schwer zugänglich ist, wird sie den Ballaststoffen zugeordnet. Sie gelangt weitgehend unverändert in den Dickdarm, wo sie durch die dort ansässige Mikrobiota z. B. zu kurzkettigen Fettsäuren verstoffwechselt wird. Das neuartige Hülsenfrüchtemehl wird in Großbritannien als patentierte Lebensmittelzutat unter dem Warenzeichen PulseON® von einem 2021 gegründeten Startup-Unternehmen kommerziell vermarktet.
Resistente Stärke kommt darüber hinaus in drei weiteren Formen vor. Sie unterscheiden sich hinsichtlich ihrer physiologischen Wirkung beim Menschen. Resistente Stärke vom Typ 2 (RS 2) findet man vorwiegend in rohen Kartoffeln, grünen bzw. unreifen Bananen sowie amylosereichen Getreidesorten. Sie entsteht durch eine spezielle Anordnung von Amylose und Amylopektin. Diese Variante kann jedoch im Dünndarm verdaut und aufgenommen werden, wenn die Stärkekörner vorher durch Erhitzen zum Quellen und Platzen gebracht wurden.
Resistente Stärke vom Typ 3 (RS 3) wird auch als retrogradierte Stärke bezeichnet. Sie entsteht beim Abkühlen zuvor erhitzter stärkehaltiger Speisen wie z.B. Kartoffeln, Nudeln und Reis. Dabei lagert sich ein Teil der Stärkemoleküle um und bildet kristalline Bereiche, die durch Verdauungsenzyme des Dünndarms nicht mehr angreifbar sind.
Bei resistenter Stärke vom Typ 4 (RS 4) handelt es sich um chemisch modifizierte Stärken, die von der Lebensmittelindustrie zur Optimierung von Geschmack, Mundgefühl und Textur in zahlreichen Fertigprodukten eingesetzt werden.
Eine kürzlich im American Journal of Clinical Nutrition publizierte Studie untersuchte die Auswirkungen einer Substitution von hochausgemahlenem Weizenmehl durch das neuartige zelluläre Kichererbsenmehl (CCP: cellular chickpea powder) in Backwaren. In der doppelblinden, randomisierten Crossover-Studie ersetzten die Wissenschaftler 30 bzw. 60 Prozent des raffinierten Weizenmehls durch das patentierte Kichererbsenpulver PulseON®. Als Kontrolle dienten herkömmliche Weizenbrötchen, die aus 100 % raffinierten Weißmehl bestanden. Alle Brötchen enthielten ähnliche Mengen an Stärke und Weizenprotein (Gluten) pro Portion, so dass die unterschiedlichen Blutzuckerreaktionen die Kohlenhydratqualität widerspiegelten.
Nach einer Standard-Abendmahlzeit und zwölfstündigem Fasten verzehrten zwanzig gesunde Probanden (10 Männer und 10 Frauen) die Studien-Brötchen zum Frühstück in zufälliger Reihenfolge (ABC, ACB, BAC, BCA, CAB, CBA) an drei verschiedenen Tagen und mit einer viertägigen Auswaschphase zwischen jedem Besuch. Vor dem Frühstück sowie 15, 30, 45, 60, 90, 120, 180 und 240 Minuten nach dem Verzehr der unterschiedlich stark angereicherten Brötchen wurden die postprandialen Blutspiegel von Insulin, Glukose sowie der sättigungsregulierenden Hormone GIP (glukoseabhängiges insulinotropes Polypeptid), GLP-1 (Glukagon-ähnliches Peptid-1) und PYY (Peptid YY) bestimmt. Die Veränderung der Stoffwechselparameter wurde als integrierte Fläche unter der Kurve (iAUC) ermittelt. Das subjektiv empfundene Hunger- und Sättigungsgefühl wurde mit Hilfe einer zehnstufigen visuellen Analogskala (VAS) erfasst.
Das Forscherteam fand heraus, dass die Anreicherung der Brötchen durch Ganzzell-Kichererbsenmehl die Freisetzung von Sättigungssignalen aus dem Darm an das Gehirn deutlich verstärkte, die glykämische Reaktion abschwächte und sich die Probanden nach dem Verzehr der angereicherten Brötchen satter fühlten. Den Forschern zufolge gaben die Teilnehmer den mit PulseON® angereicherten Brötchen vergleichbare Noten für Textur und Geschmack wie den Weißmehlbrötchen.
Sowohl die 30 %-igen als auch die 60 %-igen CCP-Brötchen induzierten eine erhöhte und anhaltende Freisetzung von GLP-1, GIP und PYY. Darüber hinaus reduzierten beide CCP-Brötchensorten die Glykämie und Insulinämie. In den paarweisen Vergleichen der Zeitreihendaten wurden keine signifikanten Unterschiede in den glykämischen Reaktionen zwischen 30 %-igen und 60 %-igen CCP-Brötchen beobachtet. Die Blutzuckerreaktionen auf die mit dem Zellmehl angereicherten Brötchen waren im Durchschnitt um 40 Prozent niedriger als nach dem Verzehr der Kontrollbrötchen.
Der Stärkeaufschluss in jeder Brötchensorte wurde zusätzlich mit biochemischen und mikroskopischen Techniken untersucht. Dazu wurden die Bedingungen von Elektrolyten, pH-Wert, Gallensalzen und Enzymen im Mund, Magen und Dünndarm bei einer konstanten Temperatur von 37 Grad Celsius nachgeahmt. Die In-Vitro-Experimente zeigten, dass die Weizenstärke nach zwei Stunden vollständig verdaut war, aber die Stärke aus den Hülsenfrüchten zurückblieb. Eine mikroskopische Analyse des Verdauungsbreis bestätigte das Vorhandensein intakter Pflanzenzellen mit verkapselter Stärke und Protein in den CCP-Brötchen. Die geringere Glukosereaktion der angereicherten CCP-Brötchen ist also darauf zurückzuführen, dass die in dem zellulären Kichererbsenmehl enthaltene Stärke geschützt ist und nicht bzw. kaum verdaut wird.
Wir wissen seit langem, dass die technologische Verarbeitung von Lebensmitteln einen nachteiligen Effekt auf unsere Gesundheit hat. Jeder zusätzliche Verarbeitungsschritt geht mit einem Qualitätsverlust des Lebensmittels einher. Zahlreiche Beobachtungsstudien weisen seit Jahrzehnten auf den Zusammenhang zwischen dem Verzehr stark verarbeiteter Fertigprodukte und der Entwicklung von Übergewicht hin (hier, hier und hier). Dass es sich dabei um eine kausale Beziehung handelt, wurde 2019 erstmals auch durch eine randomisierte kontrollierte Studie belegt. Übergewicht und Fettleibigkeit begünstigen ihrerseits die Entwicklung von Stoffwechsel- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Die vorliegende Studie zeigt anhand der Veränderung verschiedener funktioneller Biomarker bzw. intermediärer Endpunkte, wie der Verzehr raffinierter Backwaren (hier Kontroll-Brötchen aus hochausgemahlenem Weizenmehl) hyperglykämische Zustände induziert und unsere körpereigene Sättigungsregulation weitgehend ausschaltet. Die Anreicherung der Brötchen mit schonend hergestelltem zellulärem Kichererbsenmehl schwächt diesen Effekt bei einer kleinen Gruppe gesunder Probanden messbar ab, hebt ihn aber nicht auf.
Um den gesundheitlichen Nutzen einer Anreicherung von Backwaren mit PulseON® zu ermitteln müsste man klinische Studien mit harten Endpunkten bei einer größeren Zahl von Patienten mit Stoffwechselerkrankungen (z. B. Typ-2-Diabetes, Dyslipidämie, Adipositas) oder Herz-Kreislauferkrankungen (z. B. Hypertonie, Arteriosklerose) durchführen. Aber selbst dann würde man sich bei positiven Studienergebnissen sicher fragen, ob der Verzehr von naturbelassenen Hülsenfrüchten nicht gleich die bessere, preiswertere und ressourcenschonendere Alternative wäre. An den Verzehr von traditionell zubereiteten Bohnen- und Linsengerichten hat sich unser Verdauungs- und Stoffwechselsystem schließlich schon seit dem Beginn der landwirtschaftlichen Revolution vor ca.12.000 Jahren angepasst.
Angereicherte Nahrungsmittel sind heute in nahezu jeder Lebensmittelgruppe zu finden, wie zum Beispiel in zahlreichen Brotsorten, Back- und Teigwaren, Frühstückscerealien, Milchprodukten, Wurstwaren, Brotaufstrichen und Sportgetränken. Sie werden auch als funktionelle Lebensmittel bezeichnet. Als „funktionelle“ Zutaten werden neben Ballaststoffen, Vitaminen, Mineralstoffen, Omega-3-Fettsäuren, Aminosäuren und Pflanzenextrakten auch lebende Mikroorganismen eingesetzt.
Für funktionelle Lebensmittel existieren weder in Deutschland noch in der Europäischen Union rechtsverbindliche Definitionen. Höchstgrenzen für zugesetzte Wirksubstanzen fehlen ebenfalls. Gesundheitsbezogene Aussagen müssen durch wissenschaftliche Studien nachgewiesen und von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zugelassenen werden. Dennoch halten längst nicht alle „Functional Food“-Produkte, was sie versprechen. Eine ausgewogene, gesunde Ernährung mit natürlichen und möglichst wenig verarbeiteten Lebensmitteln können sie in keinem Fall ersetzen. Funktionelle Nahrungsmittel sind bisher lediglich ein Marketinginstrument der Lebensmittelindustrie, um stark verarbeiteten bzw. denaturierten Fertigprodukten einen gesünderen Anstrich zu verleihen.
Bis zum Beweis des Gegenteils hält man es deshalb am besten mit Hippokrates, der bereits von etwa 2.400 Jahren sagte: „Eure Nahrungsmittel sollen eure Heilmittel – und eure Heilmittel sollen eure Nahrungsmittel sein.“ Übertragen auf die heutige Situation ist damit gemeint, dass man sich vorwiegend von frischen, regional und saisonal verfügbaren sowie selbst zubereiteten Lebensmitteln ernähren sollte. Dazu gehören in erster Linie pflanzliche Produkte wie Gemüse, Obst, Pilze, Vollkornprodukte, Kartoffeln, Hülsenfrüchte, Nüsse und Samen. Ergänzt wird der Speiseplan durch etwas Fisch, Eierspeisen und Milchprodukte. Der Verzehr stark verarbeiteter Fertiggerichte sollte die Ausnahme sein und speziellen Situationen bzw. Anlässen vorbehalten bleiben.
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Bildquelle: Sushobhan Badhai, unsplash