Massive Stresserfahrungen verzögern die Heilung von Knochenbrüchen. Welcher molekulare Mechanismus dahintersteckt, haben Forscher der Universität Ulm nun herausgefunden.
Rettungskräfte im Notfall-Einsatz stehen massiv unter Stress, genauso wie Opfer von Naturkatastrophen und Gewalttaten. Im Falle einer schweren Verletzung bleibt dies nicht ohne Folgen. Denn mittlerweile gilt es als erwiesen, dass massive Stresserfahrungen und posttraumatische Belastungen die Wund- und Knochenheilung verzögern.
Eine Studie der Ulmer Universitätsmedizin zeigt, über welche molekularen Mechanismen psychische Traumen und andere massive Stresserfahrungen die Heilung von Knochenbrüchen verzögern. Das Forscherteam, zu dem auch Wissenschaftler aus Kanada und Japan gehörten, konnte nachweisen, dass bestimmte Immunzellen unter Stress ein Enzym produzieren, das wiederum die Ausschüttung von Stresshormonen befördert. Diese Stresshormone wirken lokal am Knochen und hemmen dort die Umwandlung von Knorpel- in Knochenzellen. Sie verzögern damit die Knochenbildung und Frakturheilung.
„Eine kontinuierliche Stressbelastung führt dazu, dass Immunzellen ein bestimmtes Enzym produzieren, das wiederum die Ausschüttung von Stresshormonen bewirkt, die die Knochenbildung hemmen“, bringt Studienkoordinator Professor Stefan Reber das Ergebnis der Untersuchung auf einen einfachen Nenner. Der Neurobiologe leitet an der Ulmer Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie die Sektion für Molekulare Psychosomatik und hat gemeinsam mit Professorin Melanie Haffner-Luntzer vom Institut für Unfallchirurgische Forschung und Biomechanik die Studie koordiniert. Veröffentlicht wurde die Arbeit in der Fachzeitschrift Nature Communications.
Bei den Immunzellen handelt es sich um sogenannte Neutrophile Granulozyten. Diese Zellen gehören zu den weißen Blutkörperchen und damit zum unspezifischen, angeborenen Immunsystem. Starker Stress veranlasst diese Immunzellen dazu, das Enzym Tyrosinhydroxylase (TH) zu produzieren, und dieses Enzym wiederum sorgt dafür, dass bestimmte Stresshormone (Katecholamine) freigesetzt werden. Zur Gruppe der Katecholamine gehört beispielsweise Adrenalin, sowie die Vorläufer Noradrenalin und Dopamin. Im Frakturhämatom wirken diese Stresshormone lokal auf die Zonen, in denen Knochenmaterial neu gebildet wird. Die Neubildung geschieht normalerweise, indem Knorpelzellen in Knochen umgebaut werden.
Oberschenkelknochen einer Maus Credits: Melanie Haffner-Luntzer / Uniklinikum Ulm
„Durch den Einfluss der Stresshormone wird der Umbau von Knorpel- in Knochenzellen gehemmt. Die Knochenbildung und damit die Frakturheilung verlangsamt sich“, erklärt Erstautorin Dr. Miriam Tschaffon-Müller.
Mit zelltyp-spezifischen Knockout-Mäusen, bei denen einerseits die TH-Expression unterbunden und andererseits der Adrenorezeptor geblockt war, konnten die Forschenden den Nachweis für diesen stressinduzierten Wirkmechanismus auf molekulargenetischer Ebene erbringen. Die Knockout-Mäuse zeigten keine stressbedingte Verzögerung der Knochenheilung. Im klinischen Teil der Studie wurden Patienten mit Sprunggelenksfraktur untersucht.
„Das Ergebnis der klinischen Teilstudie zeigte: Wurde der Grad der psychischen Belastung durch Stress, traumatische Belastungen oder Depressionen als hoch eingeschätzt, war auch ein hoher Level an Tyrosinhydroxylase (TH) im Frakturhämatom zu finden und die Frakturheilung verlangsamt“, so Haffner-Luntzer. Das Erstaunliche: Ausschlaggebend für diese messbaren Effekte war dabei die subjektive Einschätzung der Belastung und auch das Schmerzempfinden.
Die Studie hat bereits eine gewisse praktische Relevanz. Schon jetzt lassen sich aus den Befunden Empfehlungen für die klinische Praxis ableiten. So könnte es ratsam sein, bei der Behandlung von Patienten mit Knochenbrüchen und anderen massiven Verletzungen, die persönliche Stresshistorie zu berücksichtigen. Unter Umständen macht es Sinn, Beta-Blocker einzusetzen, um den negativen Einfluss von Stresshormonen bzw. Katecholaminen auf die Knochenheilung zu dämpfen.
Dieser Artikel beruht auf einer Pressemitteilung der Universität Ulm. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Harlie Raethel, unsplash