Mehr als nur ein paar Muskelzellen: Wissenschaftler kartografierten nun alle Zelltypen im menschlichen Herz. Wie Herzschrittmacherzellen mit dem umliegenden Gewebe kommunizieren und wie die Reizweiterleitung funktioniert, lest ihr hier.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind weltweit eine der Hauptursachen für chronisches Leid und Tod. In Deutschland ist die Herzschwäche die häufigste Ursache für einen Krankenhausaufenthalt. Sie geht oft mit Vorhofflimmern einher und erhöht das Risiko für den plötzlichen Herztod.
Die in Nature veröffentlichte Studie gehört zum internationalen „Human Heart Cell Atlas“, der alle Zelltypen im menschlichen Herzen kartographiert. Forscher des Wellcome-Sanger-Institute des Imperial College London, des Berliner Max Delbrück Center und des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung haben nun für acht Herzregionen insgesamt 75 Zellzustände beschrieben und damit die Zellen und die Genexpression in gesunden erwachsenen Herzen mit bisher unerreichter Genauigkeit räumlich kartiert. Dieses Wissen kann der Schlüssel dazu sein, wie unzählige Zellen das Herz koordiniert schlagen und pumpen lassen.
Die Studie umfasst Daten von 22 Organspendern im Alter zwischen 40 und 75 Jahren. Die Forscher verwendeten modernste Methoden wie die Einzelzellsequenzierung, bei der für jede einzelne Zelle ermittelt wird, welche Gene sie gerade abliest. Mithilfe der räumlichen Transkriptomik konnten sie nachvollziehen, wo genau die einzelnen Zellen im Herzen sitzen und wie sie miteinander kommunizieren. „Die räumliche Anordnung der Zellen im Herzgewebe ist äußerst wichtig. Es macht einen Unterschied, ob eine Bindegewebszelle mit einer Herzmuskelzelle oder einer Immunzelle spricht. Das kann erhebliche Konsequenzen für die Funktion des Herzens haben“, sagt Professor Norbert Hübner vom Max Delbrück Center, Co-Autor der Studie.
Erstmals erstellte das britisch-deutsche Team auch ein Profil der Zellen des menschlichen Reizleitungssystems. Dazu gehören die Herzschrittmacherzellen, welche die elektrischen Impulse erzeugen und die Herzfrequenz bestimmen. Ist das Reizleitungssystems gestört, gerät der Herzrhythmus aus dem Takt. Dies führt zu einer Reihe von Herzrhythmusstörungen, die tödlich verlaufen können.
Die Forscher machten dabei eine unerwartete Entdeckung: Die Herzschrittmacherzellen arbeiten mit benachbarten Gliazellen zusammen. Gliazellen befinden sich vorwiegend im Gehirn, wo sie die Nervenzellen unterstützen, während sie im Herzen bisher nur wenig untersucht wurden. Nun stellte sich heraus, dass Gliazellen Teil des Reizleitungssystems des Herzens sind und über bisher unbekannte Signalwege mit den Herzschrittmacherzellen kommunizieren. Offenbar setzen die Schrittmacherzellen den Neurotransmitter Glutamat frei, ein Prozess, der bisher noch nicht beschrieben wurde.
Ein weiteres wichtiges Ergebnis der Studie ist die räumliche Auflösung von Immunzellen im Herzen: Plasmazellen im Epikard bilden Immunnischen, die möglicherweise zur Abwehr von Infektionen beitragen.
Die Forscher entdeckten auch etwas, das als frühes Warnzeichen für Herzschwäche interpretiert werden könnte. Sie stellten fest, dass die Kardiomyozyten in der Herzkammer ein für Stress typisches Genexpressionsprofil aufweisen und das Brain Natriuretic Peptide (BNP) produzieren. BNP ist ein Biomarker, den Ärzte einsetzen, um Herzinsuffizienz zu erkennen. Bisher war jedoch unbekannt, welche Zellpopulation im Herzen diese Substanz freisetzt. Als sie ihre Ergebnisse mit öffentlich zugänglichen Daten von erkrankten Herzen verglichen, stellten die Forscher fest, dass diese Zelltypen dann öfter vorkamen und als Frühwarnsignal für eine Herzinsuffizienz bei gesunden Menschen dienen könnten.
Außerdem stellte das Team ein neues Werkzeug namens Drug2cell vor: Das Tool nutzt die in der ChEMBL-Datenbank gespeicherte Einzelzellprofile sowie Wechselwirkungen zwischen Medikamenten und Zielmolekülen und gibt Aufschluss darüber, wie verschiedene Medikamente das Reizleitungssystem und die Herzfrequenz beeinflussen. So konnten die Forscher beispielsweise eine bisher unbekannte Nebenwirkung eines Diabetesmedikaments (GLP-1) auf Schrittmacherzellen identifizieren.
Dieser Text beruht auf einer Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text markiert.
Bildquelle: National Cancer Institute, Unsplash