Die Liste der Komorbiditäten von ADHS ist lang – jetzt wird sie noch länger! Eine ADHS-Erkrankung könnte das Risiko für Typ-2-Diabetes erhöhen. Was mögliche Ursachen sind, lest ihr hier.
Die Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS) betrifft laut des zentralen ADHS-Netzwerks Deutschland 3–7 % der Kinder und Jugendlichen und etwa 2–3 % der Erwachsenen. Betroffene haben oftmals Schwierigkeiten sich bei „uninteressanten“ Tätigkeiten zu konzentrieren, sind impulsiv und haben Probleme bei der Selbstregulation. Sie werden aber auch als besonders kreativ, empathisch und neugierig wahrgenommen. Die Palette an Symptomen ist groß. Eine Diagnose ist daher komplex und umfasst verschiedene Tests und Gespräche mit den Patienten, aber auch mit Angehörigen.
ADHS-Patienten leiden häufig an Komorbiditäten, die mit ADHS einhergehen. Bedeutet: ein erhöhtes Risiko für Depression, Ess- oder Angststörungen und Stimmungserkrankungen. „Komorbiditäten bei ADHS sind eher die Regel als die Ausnahme. Gerade Erwachsene leiden sehr häufig an komorbiden Erkrankungen, allen voran psychischen Erkrankungen wie z. B. Depression.“, so Prof. Andreas Reif, Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Universitätsklinikums Frankfurt und Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, im Gespräch mit DocCheck. „Fast die Hälfte aller erwachsener ADHS-Patienten leiden mindestens einmal im Laufe ihres Lebens an einer komorbiden Depression, aber auch Angststörungen und Substanzmissbrauch können häufig bei ADHS-Betroffenen beobachtet werden.“
Schwedische Forscher belegten nun auch ein mögliches erhöhtes Risiko für Typ-2-Diabetes (T2D) bei ADHS-Betroffenen.
Viele Risikofaktoren des T2D überschneiden sich mit Symptomen von ADHS bzw. seinen Komorbiditäten, wie z. B. Depression, Angststörungen sowie übermäßiger Drogenkonsum. Dies veranlasste Wissenschaftler in der Vergangenheit dazu, den Zusammenhang von ADHS und T2D genauer zu untersuchen (hier, hier und hier). In einer Metastudie analysierten schwedische Forscher jetzt die Ergebnisse vier solcher Studien, die sich mit diesem Zusammenhang befassten.
Hierzu führten die Forscher alle Daten der vorliegenden Studien zu einer großen Datenbank zusammen und erstellten Modelle an denen sie den Einfluss von Demografie, Bildungsstand und anderen Faktoren (Psychische Erkrankungen, Medikation, sonstige Erkrankungen) untersuchten. Insgesamt erstreckte sich ihr Datensatz über 5.738.287 Personen (103.022 Personen mit ADHS und 5.635.265 ohne ADHS), wobei das Durchschnittsalter ca. 26 Jahre betrug und etwa 64 % der Personen männlich waren. In der Analyse wiesen Patienten mit ADHS ein doppelt so hohes Risiko für T2D auf wie Patienten ohne ADHS, was auf einen mittelstarken Zusammenhang der beiden Krankheiten schließen lässt. Dabei war das Risiko bei Frauen und Männern etwa gleich hoch.
Die Korrelation zwischen T2D und ADHS ließ sich laut der beteiligten Wissenschaftler zum Teil auch durch genetische und familiäre Komponenten erklären, jedoch war der Einfluss von Komorbiditäten von ADHS am größten. Am Einflussreichsten bezüglich der Korrelation waren vor allem:
Aber wie kommt es dadurch zu T2D? Die Wissenschaftler argumentieren, dass die Komorbiditäten von ADHS-Patienten oft zu einem ungesunden Lebensstil führen. Körperliche Beschwerden könnten dazu führen, dass sich Betroffene nicht ausreichend bewegen, was wiederum auch die psychischen Leiden verstärken kann (und damit das Risiko für T2D erhöht).
Insbesondere Depression kann laut der Autoren zu einem ungesunden Essverhalten führen, bei dem Betroffene Mahlzeiten auslassen oder sich ungesund und unregelmäßig ernähren. Da Depression beeinflussen kann, wie der Köper Insulin produziert, besteht auch hier die Vermutung, dass dies T2D begünstigt, so die Autoren in ihrem Paper. Auch der Übermäßige Konsum von Drogen und Alkohol werden in der Studie als mögliche Verstärker der ADHS-Symptome und somit auch für das T2D Risiko genannt.
Reif ergänzt: „Wir wissen, dass ADHS-Betroffene zu Adipositas prädisponiert sind. Es ist nicht verwunderlich, dass ADHS-Patienten, die zu Adipositas neigen, auch ein erhöhtes Risiko für Typ-2-Diabetes aufweisen.“
Die Forscher konnten einen Trend im Zusammenhang mit dem Alter erkennen: Mit zunehmendem Alter der Patienten nahm die Korrelation zwischen T2D und ADHS ab (Hazard Ratio [> 31] = 3,84; HR [51–72] = 1,24). Dies könnte laut der Forscher darauf zurück zu führen sein, dass es immer noch viele nicht-diagnostizierte Erwachsene mit ADHS gibt. Das würde dann jedoch die Repräsentativität der älteren Gruppen in Frage stellen. Reif weist hier darauf hin, dass die Symptome von ADHS linear mit dem Alter abnehmen, was durchaus einen Effekt auf die Korrelation haben könnte. „In Industrienationen haben wir außerdem bei steigendem Lebensalter eine generell höhere Prävalenz von Typ-2-Diabetes. Das könnte eine mögliche Erklärung für die abnehmende Korrelation der beiden Krankheiten sein, da auch nicht-ADHS-Patienten im höheren Alter häufiger an Typ-2-Diabetes erkranken.“
Die Studie liefert wichtige Belege dafür, dass ADHS-Patienten möglicherweise eine vulnerable Gruppe für Typ-2-Diabetes darstellen. Die Autoren schreiben, dass eine angepasste Therapie für ADHS-Patienten mit T2D entwickelt werden sollte, die auf die Bedürfnisse dieser zugeschnitten ist. Außerdem wünschen sie sich ein tieferes Verständnis dafür, dass Betroffene ein erhöhtes Risiko für T2D aufweisen und Präventionsstrategien entwickelt werden sollten. Reif sieht auch die Chance in ein einer medikamentösen Behandlung: „Die Behandlung mit Stimulanzien senkt das Risiko für Übergewicht und damit möglicherweise auch für den Typ-2-Diabetes.“
Auch er wünscht sich ein besseres Bewusstsein dafür, dass mit einer ADHS-Erkrankung – aber auch anderen psychiatrischen Erkrankungen – kardiovaskuläre und metabolische Erkrankungen einher gehen können. „Insbesondere Kliniker sollten bei ADHS-Patienten auf das Metabolische Profil schauen, um einschätzen zu können, ob ein erhöhtes Risiko für Typ-2-Diabetes besteht. Es handelt sich hierbei um eine Risikopopulation, die entsprechend betreut werden muss. Hierfür muss bei Psychiatern, aber auch bei Internisten und Allgemeinärzten ein Bewusstsein geschaffen werden.“
Auch eine Anpassung der Leitlinien könnte hier eine Chance darstellen, in Zukunft ein größeres Augenmerk auf die Prävention bei Risikopatienten legen zu können. Reif wünscht sich, dass Kollegen, wachsam sind und Risikofaktoren der Komorbiditäten von psychiatrischen Erkrankungen im Auge zu behalten. „Man hat sich viel zu lange damit abgefunden, dass Patienten mit psychiatrischen Erkrankungen zu Übergewicht neigen und früher sterben.“
Bildquelle: Behnam Norouzi, unsplash