Manchmal ruht er, manchmal vermehrt er sich. Herpesviren nutzen für beides aber unterschiedliche Zellen – glaubte man bisher. Eine neue Studie zeigt was anderes.
Bislang glaubte man, dass Herpesviren bestimmte Körperzellen nutzen, um sich zu vermehren. Andere Körperzellen hingegen, um dort latent zu bleiben – also länger inaktiv zu ruhen. Dieses Dogma wird nun anhang des Cytomegalovirus (CMV) in Frage gestellt. Er ist ein Herpesvirus aus der beta-Herpesvirus-Subfamilie, das in immungeschwächten Empfängern von Transplantaten tödlich sein kann.
Wissenschaftler der Abteilung „Virale Immunologie“ des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig haben in einer neuen Studie herausgefunden, dass bestimmte Bindegewebszellen (Fibroblasten) von CMV nicht nur, wie bisher angenommen, zur Vermehrung genutzt werden. CMV kann in den Fibroblasten offenbar auch latent bleiben. Das vorherrschende Bild, dass das CMV entweder bestimmte Arten von Körperzellen zur Vermehrung nutzt, oder dort inaktiv überdauert, ist damit nicht mehr haltbar.
Ein zweiter Paradigmenwechsel, den die Studie nahelegt, ist die Regulation der Zellen durch CMV. Offenbar steuert das Virus die jeweilige Nutzung der Fibroblasten nicht ausschließlich über in der Zelle vorhandene Faktoren, sondern auch über eine Interaktion mit dem Immunsystem. Die Ergebnisse wurden im Fachmagazin Nature Communications veröffentlicht.
Im Rahmen der Studie infizierte Dr. Katarzyna Sitnik gemeinsam mit Kollegen Mäuse mit dem Maus-CMV (mCMV). Diese Variante des Virus kommt zum Einsatz, da das humane CMV (HCMV) an den Menschen als Wirt angepasst ist und keine Mäuse infizieren kann. Die durch das Mauspathogen verursachte Krankheit, ist vergleichbar mit einer durch das HCMV ausgelösten Erkrankung. Anschließend haben die Wissenschaftler eine systematische Analyse der Zellen durchgeführt, die in experimentell infizierten Mäusen das latente Virus tragen könnten.
Das HZI-Team und Kollegen von der Veterinärmedizinischen Universität Wien, sowie von der medizinischen Fakultät der Universität in Rijeka, konnten gemeinsam zeigen, dass mCMV-Genome in verschiedenen Zelltypen von latent infizierten Mäusen vorhanden sind. Die Fibroblasten stechen aber hervor: Hier waren teilweise besonders große Mengen an mCMV-Genomen nachweisbar.
„Dass ausgerechnet Fibroblasten dem überdauernden CMV als Aufenthaltsort dienen können, hat uns alle überrascht. Denn wir verwenden Fibroblasten, um dieses Virus in Gewebekulturen zu züchten“, sagt Prof. Luka Cicin-Sain, Leiter der Abteilung „Virale Immunologie“ des HZI. Das Ergebnis widersprach der Lehrmeinung, dass Herpesviren typischerweise einen spezialisierten Zelltyp haben, um ihre Latenz aufrechtzuerhalten, und einen anderen Zelltyp, in dem sie sich vermehren. Wie konnten dieselben Zellen ruhende und sich replizierende Viren beherbergen?
Die Autoren testeten zunächst, ob Stromazellen das Wachstum von mCMV in natürlichen Umgebungen in vivo unterstützen. Sie bestätigten die Ergebnisse, die zuvor in Gewebekulturen gezeigt worden waren: CMV nutzt Fibroblasten auch, um in einem Organismus zu wachsen.
„Wir fragten uns natürlich, wie die CMV-Latenz reguliert wird. Also suchten wir nach Immunreaktionen – und wurden fündig“, sagt Sitnik. Die Forschenden fanden heraus, dass sich das mCMV bei Mäusen, denen ein bestimmtes Molekül namens STAT-1 fehlt, zwar früh nach der Infektion repliziert, aber es seine Genome nicht im Latenzzustand halten konnte. STAT-1 ist für die immunologische Signalgebung von Interferonen entscheidend. „Das war für uns der fehlende Baustein, um zu erklären, wie es dem Virus gelingt, denselben Zelltyp sowohl für die Vermehrung als auch für die langen Phasen der Latenz zu nutzen“, sagt Sitnik.
Diese Studie stellt also einen doppelten Paradigmenwechsel dar: Einerseits zeigt sie, dass dieselben Zellen ein wichtiger Ort der produktiven Virusreplikation und der Latenz sein können. Zum anderen zeigt sie, dass im Falle von CMV das Ruhestadium nicht durch intrinsische Eigenschaften eines bestimmten Zellreservoirs, sondern durch die Interaktion des Virus mit dem Immunsystem reguliert wird.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Veterinärmedizinischen Universität Wien. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Pawel Czerwinski, unsplash