Große Verantwortung, steigende Belastung und überbordende Verwaltungsaufgaben – die Stressoren sind in vielen Praxen zu finden. Wer die Arbeit besser organisiert und störende Einflüsse beseitigt, hat bessere Karten. Viele Ärzte schaffen das nicht, wie Untersuchungen zeigen.
Niedergelassene Onkologen klagen nicht gerade über leere Wartezimmer. Laut WHO-Weltkrebsbericht 2014 litten 2012 weltweit 14 Millionen Menschen an Krebs. Besonders häufig diagnostizierten Ärzte Lungenkrebs (13 Prozent aller Fälle), gefolgt von Brustkrebs (11,9 Prozent) und Darmkrebs (9,7 Prozent). In den nächsten beiden Jahrzehnten soll es bis zu 21,6 Millionen neue Krebsfälle pro Jahr geben. Um die steigende Zahl an Patienten zu bewältigen, braucht es ausreichend viele Fachärzte.
Dazu ein Blick auf Details: Zwar hat sich die Zahl qualifizierter Kollegen von 1996 bis 2011 mehr als verdreifacht. Trotzdem betreut jede Praxis pro Jahr sechs Prozent mehr Erkrankte als im Vergleichszeitraum; 2011 waren es durchschnittlich 1.200 Patienten. Diese Belastung hat ihren Preis – laut Ärztemonitor 2014 arbeiten Fachärzte im Schnitt 52,5 Sunden pro Woche. Jetzt haben Wissenschaftler am Beispiel der Onkologie untersucht, wie groß die Belastung tatsächlich ist. Im Rahmen der WIN ON-Studie (Working Conditions in Oncology) schrieben sie 566 niedergelassene Hämatologen beziehungsweise Onkologen an und erhielten Feedback von 152 Kollegen. Leitfadengestützte Interviews ergänzten die Fragebögen. Zum Ergebnis: An der Spitze störender Einflüsse stehen administrative Pflichten und Verwaltungsaufgaben, gefolgt vom Patientenaufkommen. Interviewte gaben an, sich kaum Pausen zu gönnen – nicht mal bei eigenen Erkrankungen. Sie hatten täglich Kontakt zu 39 Patienten. „Die Ergebnisse zeigen, dass Zeitdruck und ein hoher Durchlauf an Patienten den beruflichen Stress von Onkologen erhöhen“, sagt Sophie Groß vom Institut für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft (IMVR). „Um dem entgegenzuwirken, ist ein gutes Zeitmanagement wichtig.“
Wer Strategien entwickelt, um Stress zu verringern, verliert die Freude am Job viel seltener. Insgesamt bereuen 86 Prozent ihre Berufswahl nicht – vor allem, da Patienten und Angehörige ihre Arbeit wertschätzen. Die Autoren um Sophie Groß raten zu flexiblen Zeitplänen mit Pufferzonen für Notfälle. Um wirklich Erfolg zu haben, sollte das gesamte Praxisteam miteinbezogen werden. Ein weiterer Kernpunkt: Zeitfenster, um wichtige Unterlagen ohne Störung zu bearbeiten. Bei schwierigen Fällen ist auch der Rat von Kollegen wertvoll. Und nicht zuletzt helfen Supervisionen beziehungsweise Programme zum richtigen Umgang mit belastenden Situationen.
Manche Stressfaktoren fallen Ärzten jedoch nicht auf, weil sie sich daran gewöhnt haben. Dr. Carsten Engelmann von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) untersuchte, welchen Einfluss Lärm auf die Arbeitsfähigkeit von Operateuren hat. Telefone, medizinische Geräte oder Instrumente, die in metallene Schalen geworfen werden – all das kann bis zu 63 Dezibel verursachen. Ähnliche Werte erreicht ein Rasenmäher mit Benzinmotor in zehn Metern Entfernung. Extrema im OP kommen sogar an die 100-Dezibel-Marke heran. Mit der Geräuschkulisse steigt auch der Stresspegel. Engelmann entwickelte jetzt Programme für mehr Ruhe im OP. Dazu gehörten einerseits technische Maßnahmen, um die Lautstärke medizinischer Geräte zu minimieren. Andererseits überlegte sich das Team Verhaltensregeln; Telefone oder Privatgespräche waren plötzlich tabu. Mit Erfolg: Gemessene Werte sanken von 60 auf 50 Dezibel – aufgrund der logarithmischen Skala entspricht das einer Verringerung um 50 Prozent. Vom Erfolg seiner Maßnahmen war Engelmann selbst überrascht: „Die Komplikationsrate hat sich um die Hälfte reduziert. Es gab beispielsweise weniger Nachblutungen, Infektionen und Nahtinsuffizienzen.“