Die Patientin klagt über Schlafstörungen – doch wo sie herkommen, ist unklar. Sie ist schon seit einigen Monaten in psychotherapeutischer Behandlung, aber besser fühlt sie sich nicht. Dann springt mir einer ihrer Laborwerte ins Auge.
Der Autor ist der Redaktion bekannt, möchte jedoch anonym bleiben.
In der Sprechstunde suchte mich eine Mitte 30-jährige Patientin auf. Sie gab an, unter Schlafstörungen zu leiden. Seit etwa 1,5 Jahren wache sie 3–4 mal nachts auf. Sie habe dann manchmal große Schwierigkeiten wieder einzuschlafen, mache sich zwar keine belastenden Gedanken, fühle sich aber unruhig. Sie sei seit einem Jahr in Deutschland, weil ihr Mann beruflich hierhergekommen sei. Sie selbst gehe keiner Berufstätigkeit nach, was sie aber auch nicht störe. Sie sei es gewohnt mit ihrem Mann um die Welt zu reisen und finde immer schnell Anschluss. Insgesamt beschrieb sie sich selbst als unternehmungslustig und lebensfroh.
Man habe schon früh psychische Probleme als Ursache für die Schlafstörung vermutet und ihr eine Psychotherapie empfohlen. Die nehme sie seit 9 Monaten in Anspruch, aber ohne, dass sie selbst den Eindruck habe, an psychischen Problemen zu leiden oder von der Psychotherapie zu profitieren. Blut habe man einmal abgenommen, das sei aber lange her und die Werte hatte sie nicht bei sich. Durchfälle oder Hitzegefühl sowie Haarausfall oder Gewichtverlust wurden verneint. Der Zyklus sei regelmäßig. Medikamente oder Drogen nehme sie nicht ein. Von Schlafmitteln halte sie grundsätzlich nichts, weil sie Angst habe süchtig zu werden, zudem bestehe ein Kinderwunsch.
Die körperliche Untersuchung zeigte eine normalgewichtige Patientin in gutem Allgemeinzustand. Die Auskultation von Herz und Lunge war unauffällig. Es erfolgte eine Sonographie der Schilddrüse ohne pathologischen Befund. Der Patientin wurden ein Blutbild, Elektrolyte, Nierenwerte, Leberwerte sowie ein Schilddrüsen-Panel abgenommen. Dieses beinhaltete neben TSH und fT3/T4 auch TRAK- und TPO-Antikörper sowie – automatisch mit enthalten – Parathormon (PTH).
Die Laborwerte waren sämtlich normwertig, zeigten jedoch ein Parathormon, das auf das doppelte des Grenzwertes erhöht war. Die Patientin wurde kontaktiert und zu einer nüchtern Laborkontrolle einbestellt. Diese beinhaltete Parathormon, Albumin, Calcium, Phosphat, Alkalische Phosphatase und Vitamin D. Das erhöhte Parathormon konnte erneut reproduziert werden. Das albuminkorrigierte Calcium war normwertig, Phosphat war niedrig normal. Ein Vitamin-D-Mangel bestand nicht. Die alkalische Phosphatase war normwertig.
Konnte es sein, dass die Patientin wirklich einen primären Hyperparathyreoidismus (pHPT) hatte, obwohl das Calcium normwertig war oder handelte es sich hier um einen Laborfehler? Konnte das erhöhte Parathormon etwas mit der Schlafstörung der Patientin zu tun haben?
Sinkt der Cacliumspiegel im Blut, wird die Synthese und Sekretion von Parathormon stimuliert, das Calcium aus dem Knochen mobilisiert und die enterale und renale Calciumresorption fördert. Gleichzeitig werden die Phosphatspiegel abgesenkt, indem die renale Resorption gehemmt wird. Bei Patienten mit primärem Hyperparathyreoidismus ist die normale Regulation der PTH-Sekretion gestört. Ursächlich ist bei mehr als 80 % der Patienten mit pHPT ein singuläres Adenom der Nebenschilddrüsen. Seltenere Ursachen sind eine Hyperplasie oder multiple Adenome der Nebenschilddrüsen wobei die Hyperplasie mit vererbbaren Syndromen wie der multiplen endokrinen Neoplasie Typ 1 (MEN 1) oder der familiären hypokalziurischen Hyperkalzämie (FHH) assoziiert ist.
Die Inzidenz des primären Hyperparathyreoidismus (pHPT) hat durch die routinemäßige Mitbestimmung des Calciums zugenommen. Durch die frühere Diagnosestellung wird die klassische Symptomtrias aus „Stein, Bein, Magenpein“ nur noch selten angetroffen. „Stein“ steht dabei für eine Nephrolithiasis, „Bein“ für eine Osteitis fibrosa cystica und „Magenpein“ für eine Dyspepsie oder Ulcera ventriculi, wie sie bei der MEN 1 durch ein Gastrinom auftreten können. Patienten, bei denen keine klassischen Beschwerden auftreten, gelten allgemeinhin als asymptomatisch. Diese Beschreibung ist jedoch häufig unzutreffend, da bei genauerer Befragung viele Betroffene neuropsychiatrische Symptome wie Abgeschlagenheit, Konzentrationsstörungen, Müdigkeit, Reizbarkeit und Mangel an sexuellem und emotionalem Interesse sowie in über der Hälfte der Fälle auch Schlafstörungen beschreiben, die sich negativ auf die Lebensqualität auswirkt.
Mehrere Studien konnten eine Verbesserung der Lebens- und Schlafqualität nach operativer Entfernung der Nebenschilddrüse feststellen. Insbesondere nahm die Häufigkeit des nächtlichen Erwachens ab. Es wird postuliert, dass das die Schlafstörung durch eine Dysfunktion des autonomen Nervensystems und/oder durch die Ausschüttung proinflammatorischer Zytokine (IL-6) in Folge des erhöhten Parathormons ausgelöst wird. Interessanterweise korrelierten die Schlafstörungen nicht mit der Höhe des Serumcalciums oder der Höhe des gemessenen Parathormons. In der SK2-Leitlinie zum Thema „Operative Therapie des primären und renalen Hyperparathyreoidismus“ wird empfohlen, bei typischen psychischen und neurokognitiven Symptomen eine Operation durchzuführen. Es ist somit durchaus möglich, dass im obenstehenden Fall die Schlafstörung mit dem vermutlich bestehenden Hyperparathyreoidismus in Zusammenhang stand. Zudem kann es sinnvoll sein, bei unklaren psychischen Symptomen und Schlafstörungen einmalig Parathormon mitzubestimmen.
Beim Hyperparathyreoidismus findet sich im Labor typischerweise ein erhöhter Serumcalcium- sowie ein erniedrigter Phosphatwert. Im oben liegenden Fall lag das albuminkorrigierte Calcium jedoch im Normbereich. Der nächste Schritt sollte hier die Bestimmung des ionisierten Calciums sein, bei normalen Albuminwerten stellt das albuminkorrigierte Calcium jedoch eine gute Näherung dar.
Nein: Es gibt Fälle eines normokalzämischen primären Hyperparathyreoidismus (npHPT). Da es sich hier um Zufallsbefunde handelt, ist diese Entität noch wenig erforscht und verstanden. Meistens werden diese Fälle zufällig im Rahmen einer Knochenstoffwechselanalyse entdeckt – die Häufigkeit wird mit bis zu 17 % angegeben. Möglicherweise handelt es sich um eine frühe Form des primären Hyperparathyreoidismus. Wichtig ist bei dieser Konstellation der Ausschluss eines sekundären Hyperparathyreoidismus. Ein normokalzämischer sekundärer Hyperparathyreoidismus kann durch einen Vitamin-D-Mangel, Nierenversagen, intestinale Malabsorptionssyndrome, bariatrische Operationen, eine langfristig reduzierte Kalziumzufuhr mit der Nahrung, ein renales Kalziumleck und eine idiopathische Hyperkalziurie verursacht werden. Doch auch zahlreiche Medikamente wie z. B. Antikonvulsiva, Bisphosphonate, Denosumab, Thiazid-Diuretika und Lithium können einen sekundären Hyperparathyreoidismus auslösen.
Im Falle unserer Patientin könnte in der Tat ein primärer npHPT vorgelegen haben. Die Diagnose darf jedoch erst dann gestellt werden, wenn das ionisierte oder albuminkorrigierte Serumkalzium bei mindestens zwei Messungen innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten konstant im Normbereich liegt, wobei die Bestimmung des ionisierten Calciums vorzuziehen ist, falls verfügbar. Auch das Parathormon sollte mit zeitlichem Abstand noch einmal kontrolliert werden. Unsere Patientin wurde über die Befunde informiert, beschloss diese jedoch im Ausland weiter abklären zu lassen, da sie in ihre Heimat zurückkehrte. Somit konnte die Diagnose nicht abschließend gesichert werden.
Die Antwort lautet: Ja, manchmal. Obwohl die PTH-Spiegel niedriger sind als bei der klassischen pHPT, reicht die leichte chronische Erhöhung bei der npHPT aus, um eine PTH-induzierte Knochenresorption zu verursachen. Auch bilden Patienten mit normokalzämischem pHPT ähnlich häufig Nierensteine aus, wobei die Gründe hierfür noch unklar sind. Demzufolge sollte auch bei Patienten mit npHPT eine Knochendichtemessung und ein Ultraschall der Nieren erfolgen. Zudem sollte die Calciumausscheidung im Urin gemessen werden um eine familiäre hypokalziurische Hyperkalzämie auszuschließen. Die Operation der Nebenschilddrüse ist die einzige definitive Behandlung des pHPT, unabhängig davon, ob es sich um die normokalzämische oder hyperkalzämische Form handelt. Vorbereitend sollte eine Sonographie und kann eine Szintigraphie erfolgen.
In der deutschen Leitlinie heißt es: „Patienten mit einem pHPT sollten unabhängig von ihrem Alter operiert werden. Eine Beobachtung des pHPT kann ausnahmsweise bei asymptomatischen Patienten mit gering erhöhten Calciumwerten erfolgen.“ Die Empfehlungen der amerikanischen Leitlinie sind gerade in Bezug auf asymptomatische Patienten umfangreicher und differenzierter. In jedem Fall sollten auch asymptomatische Betroffene einer endokrinologischen Beratung bezüglich einer Operation zugeführt werden. Bei Kontraindikationen für einen chirurgischen Eingriff, können Medikamente (Kalzimimetikum Cinacalcet, Bisphosphonate, Östrogen und Raloxifen) eingesetzt und jährliche Laborwertkontrollen und Knochendichtemessungen durchgeführt werden.
Quellen:
Mittendorf EA et al.: Improvement of sleep disturbance and neurocognitive function after parathyroidectomy in patients with primary hyperparathyroidism. Endocr Pract, 2007. doi: 10.4158/EP.13.4.338
La J et al.: Parathyroidectomy for primary hyperparathyroidism improves sleep quality: A prospective study. Surgery, 2017. doi: 10.1016/j.surg.2016.05.047
Rasche RV et al.: Influence of Parathyroidectomy on Sleep Quality in Primary Hyperparathyroidism. Adv Exp Med Biol, 2021. doi: 10.1007/5584_2021_628
Murray SE et al.: Improvement of sleep disturbance and insomnia following parathyroidectomy for primary hyperparathyroidism. World J Surg, 2014. doi: 10.1007/s00268-013-2285-1
S2k-Leitlinie: Operative Therapie des primären und renalen Hyperparathyreoidismus.
Bilezikian JP et al.: Management of Primary Hyperparathyroidism. Journal of Bone and Mineral Research, 2022. https://asbmr.onlinelibrary.wiley.com/doi/epdf/10.1002/jbmr.4682
Bildquelle: Jack Taylor, unsplash