Um die Krankenkassen zu entlasten, schielen die Verantwortlichen schon seit einigen Jahren auf den Posten hochpreisiger Medikamente. Ganz vorne mit dabei: Biologika. Könnten Biosimilars das Problem lösen?
Viele sehen in Biologika die Effizienzreserven, die gerade dringend gesucht werden, denn sie werden immer mehr eingesetzt. Zwischen den Jahren 2007 und 2018 verdreifachten sich die Ausgaben dafür, ihr Umsatz erhöhte sich im Jahr 2021 im Vergleich zum Vorjahr um zwölf Prozent. Um konkrete Zahlen zu nennen, beliefen sich die Ausgaben für diese Art Medikamente 2021 auf 16,4 Milliarden Euro. Ein Gesetz, das die Austauschbarkeit von Biosimilars regelt, steht daher schon seit geraumer Zeit in den Startlöchern. Aber weder die Apotheker noch die Ärzteschaft steht uneingeschränkt dahinter. Trotzdem wurde nun auf Bundesebene ein weiterer Schritt in Richtung Austauschbarkeit getan. Ein Schritt in die richtige Richtung, oder ein unkalkulierbares Risiko für die Patienten?
Als Biologika werden Arznei- oder Impfstoffe bezeichnet, die entweder biotechnologisch in lebenden Zellen oder mithilfe von gentechnisch veränderten Organismen hergestellt werden. Sie dienen unter anderem der Substitution körpereigener Proteine oder binden beispielsweise als monoklonale Antikörper gezielt an Proteine, um diese auszuschalten. Aus der Krebstherapie, bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen oder zur Behandlung rheumatoider Arthritis sind sie inzwischen nicht mehr wegzudenken. Ihre Nachahmerpräparate, die zugelassen werden, sobald der Patentschutz ausgelaufen ist, werden als Biosimilars und nicht als Generika bezeichnet. Sie waren bislang nicht einfach substituierbar, da sie aufgrund ihrer komplexen Proteinstruktur und des aufwändigen biotechnologischen Herstellungsprozesses niemals mit einer exakt identischen Struktur herstellbar sind.
Um auf dem Markt vertrieben werden zu können, müssen die Hersteller der Biosimilars per pharmazeutischer Dossiers, präklinischer pharmakologisch-toxischer und klinischer Studien nachweisen, dass ihr Biosimilar therapeutisch gleichwertig und genauso sicher in der Anwendung ist, wie das Biologikum. Diese Praxis hat sich bewährt seit dem ersten Biosimilar des Wachstumshormons Somatotropin, das 2006 die Marktreife erlangte. Bislang wurden für die 68 Biosimilars, die seither die EU-Zulassung erhalten haben, keine Unterschiede zum Referenz-Biologikum bezüglich Wirksamkeit und Nebenwirkungen berichtet.
Was läge also näher, als die Ressourcen der Solidargemeinschaft zu schonen, indem man die Substitution von Biosimilars in der Apotheke – ähnlich wie bei Generika – zulässt? Bisher war das nur bei Bioidenticals möglich, die aufgrund identischer Ausgangsstoffe und demselben Herstellungsprozess nicht nur wirkstoffähnlich zum Referenzpräparat, sondern wirklich identisch sind, wenn diese nach Anlage 1 des Rahmenvertrags als gegeneinander austauschbar definiert werden.
Das Problem, auf das nach Ansicht vieler Pharmaverbände sehenden Auges hingesteuert wird, ist aber weniger die Nicht-Vergleichbarkeit mit dem Originalprodukt, sondern dass derselbe Fehler, der mit zu den derzeitigen Lieferengpässen beiträgt, wiederholt wird: aus Kostengründen werden bestimmte Hersteller bevorzugt, andere geben dafür auf, weil der Absatzmarkt verschwindet. Die Produktion läge dann wieder bei einigen wenigen Firmen, die, um weiterhin unter den preisgünstigsten Anbietern zu bleiben, billig produzieren müssen. Damit steigt die Fehleranfälligkeit bei der Produktion in Drittweltländern und die Lieferkette wird dünner. Zudem erhöht es wieder einmal die Abhängigkeit Europas von Ländern wie China, in denen viel und billig produziert wird. Die AG Pro Biosimilars ist daher der Ansicht, dass die Lehren, die wir aus der Coronazeit hätten ziehen können, bei der Politik nicht hängen geblieben sind.
Einen anderen Grund für die Ablehnung des Austauschens von Biologika durch Biosimilars hat die BAG Selbsthilfe: sie erachtet es als schwierig, da nach einem Austausch bis zu 30 Prozent der Patienten die Therapie abbrechen, was auf den Nocebo-Effekt zurückzuführen ist. Das sinnvollste „Gegenmittel“ gegen diesen Nocebo-Effekt sei ein intensives Gespräch zwischen Arzt und Patient über diesen Austausch, was aber nicht möglich sei, wenn die Apotheke das Medikament aus Kostengründen austauscht, ohne dass der Arzt das überhaupt erfährt. Genau das kritisiert auch die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) die das Umstellen von Patientinnen und Patienten auf ein Biosimilar aus denselben Gründen als ärztliche Aufgabe sieht.
Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) hat im Juni aller negativen Stimmen zum Trotz die Kriterien zur automatischen Substitution von Biologika in Apotheken beschlossen. Davon betroffen sind allerdings zunächst nur Parenteralia zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung. Der Austausch gegen Biosimilars tritt aber frühestens im Oktober 2023 in Kraft, denn es wird noch ein Beschluss zur Ergänzung vom Bundesministerium für Gesundheit geprüft, bevor die Regelung im Bundesanzeiger veröffentlicht werden kann. Da die parenteralen Zubereitungen zur unmittelbaren Anwendung üblicherweise individuell in den Apotheken hergestellt und dann direkt in der ärztlichen Praxis an die betroffenen Patienten verabreicht werden.
Die Apotheken werden dann ab Oktober bei der Herstellung in der Rezeptur wirkstoffbezogen ein preisgünstiges Fertigarzneimittel auswählen, dessen Hersteller einen Rabattvertrag mit der Krankenkasse des Patienten eingegangen ist. Auf diese Weise ist ein Austausch des Wirkstoffs für den Patienten selbst erst einmal nicht ersichtlich und einem Nocebo-Effekt kann damit vorgebeugt werden. Auch hat der Arzt hier gegebenenfalls die Möglichkeit, mit dem Betroffenen über den Austausch zu sprechen.
Bis der Austausch gegen Biosimilars neben der Rezeptur auch in den Offizinen ankommt, bleibt also noch etwas Zeit. Diese sollte sich die Politik aber auch nehmen, um die berechtigten Einwände zu hören, die seitens der Patientenverbände, der Ärzteschaft und der Apotheken erhoben werden.
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