Therapien gegen Autoimmunerkrankungen haben oft erhebliche Nebenwirkungen. Auf der Suche nach einer Alternative haben Wissenschaftler nun einen Impfstoff-Kandidaten für die rheumatoide Arthritis entwickelt.
Die rheumatoide Arthritis (RA) ist eine schwere, chronische Autoimmunerkrankung, bei der es zu einer anhaltenden Entzündung der Gelenke – etwa der Gelenkinnenhaut und des angrenzenden Knorpels und Knoches – mit fortschreitender Zerstörung des betroffenen Gewebes kommt. Eine Entzündungsreaktion tritt dabei auch in den lokalen Lymphknoten auf. Etwa ein Prozent der Bevölkerung in Deutschland ist von der Erkrankung betroffen, Frauen zwei bis drei Mal so häufig wie Männer.
Bisherige Behandlungsansätze zielen darauf ab, die Entzündung und die Schädigungen durch den Entzündungsprozess einzudämmen. Sie können jedoch die Erkrankung nicht heilen und haben das Risiko von Nebenwirkungen. Dazu gehören eine generelle Schwächung des Immunsystems mit erhöhtem Infektrisiko und eine beeinträchtigte Immunüberwachung von Krebserkrankungen. Ein langjähriges Ziel der Forschung ist es daher, gezielte und möglichst vorbeugende Therapien gegen rheumatoide Arthritis zu entwickeln.
Nun hat ein Forscherteam vom Karolinska Institut in Stockholm, dem Universitätsklinikum Frankfurt am Main und dem Fraunhofer-Institut für Translationale Medizin und Pharmakologie (ITMP) in Frankfurt am Main einen Impfstoffkandidaten gegen rheumatoide Arthritis entwickelt und erfolgreich an Mäusen getestet. Dieser bindet gezielt an Rezeptoren von T-Zellen mit einer bestimmten Antigenspezifität im Gelenkgewebe und aktiviert in kontrollierter Weise nur eine bestimmte Untergruppe der T-Zellen. Diese unterdrücken die Entzündung im Gelenkgewebe und geben diesen regulatorischen Effekt an weitere Immunzellen weiter.
Die Ergebnisse könnten zur Entwicklung eines effektiven, nebenwirkungsarmen Impfstoffs gegen rheumatoide Arthritis beitragen. Zudem könnten sie als Modell für die Entwicklung weiterer Impfstoffe gegen andere Autoimmunerkrankungen dienen – etwa gegen Multiple Sklerose. Die Ergebnisse ihrer langjährigen Forschungsarbeiten veröffentlichten die Wissenschaftler nun in der Fachzeitschrift PNAS.
Bei dem Impfstoff-Kandidaten handelt es sich um einen peptid-basierten Impfstoff, der subkutan verabreicht wird. Er besteht aus einem Wirkstoffkomplex, der sich aus einem „Schnipsel“ eines Gelenkknorpel-Proteins – dem so genannten COL2-Peptid – und einem MHCII-Molekül zusammensetzt. Das COL2-Peptid ist als Ansatzpunkt für eine Modulation der Immunreaktion bei RA besonders interessant, weil es Bestandteil eines wichtigen Strukturproteins des Gelenkknorpels ist. Zugleich konnte es auch in Geweben nachgewiesen werden, die für die Reifung von Immunzellen bedeutsam sind – etwa in der Thymusdrüse und im Knochenmark.
„T-Zellen oder T-Lymphozyten sind wichtige Zellen des Immunsystems, die Peptide auf antigenpräsentierenden Zellen erkennen“, erläutert Prof. Harald Burkhardt das Grundprinzip. Er ist Leiter der Abteilung Rheumatologie an der Medizinischen Klinik II am Universitätsklinikum Frankfurt am Main und einer der beiden Letztautoren der Studie. „Normalerweise handelt es sich dabei um Krankheitserreger. Bei Autoimmunerkrankungen werden jedoch Peptide von körpereigenen Zellen erkannt, die dann vom Immunsystem angegriffen werden.“
Das MHCII-Molekül ist dabei eine Art Teller, der die Peptid-Schnipsel so präsentiert, dass sie von den T-Zellen erkannt werden. „Damit es zu einer entzündungsfördernden Aktivierung der T-Zellen kommt, ist noch ein zweites, unabhängiges Signal notwendig, das zeitgleich über ein anderes Zellmembran-Protein von der antigenpräsentierenden Zelle ausgelöst wird“, erklärt der Experte. „Wird von der T-Zelle jedoch ein körpereigenes Peptid wie COL2 erkannt, ohne dass das zweite Signal vorhanden ist, wird es als nicht bedrohlich eingestuft. Das hat zur Folge, dass sich die T-Zelle in eine regulatorische T-Zelle umwandelt.“ Diese unterdrückt dann die Aktivierung des Immunsystems in ihrer unmittelbaren Umgebung und verhindert so, dass körpereigene Zellen angegriffen werden.
„Wir haben nun einen Weg gefunden, mithilfe des von uns entwickelten, spezifischen Wirkstoffkomplexes einen bestimmten Typ regulatorischer T-Zellen gezielt zu aktivieren“, erläutert Prof. Rikard Holmdahl, Immunologe am Department für medizinische Biochemie und Biophysik am Karolinksa Institut in Stockholm (Schweden) und ebenfalls Letztautor der Studie. „Diese T-Zellen bewirken eine Immuntoleranz, die spezifisch für das Gelenkgewebe ist. Die Immunzellen greifen das Gelenkgewebe also nicht mehr an.“ Die Spezifität des Wirkstoffs hat den Vorteil, dass – anders als bei immunsuppressiven Medikamenten – das Immunsystem nicht generell unterdrückt wird. Weiterhin ist dadurch die Wahrscheinlichkeit, dass aggressive T-Zellen aktiviert werden, die körpereigenes Gewebe angreifen, sehr gering.
„Die aktivierten regulatorischen T-Zellen verhalten sich wie eine Art Ordnungspolizei“, erläutert Burkhardt. „Sie signalisieren anderen entzündlichen Zellen in ihrer Umgebung, dass sie sich ‚ruhig verhalten‘ und körpereigenes Gewebe nicht angreifen sollen. Diesen Wirkmechanismus nennt man auch Bystander-Suppression.“ Dies sei die Voraussetzung, dass der Impfstoff die rheumatoide Arthritis effektiv eindämmen könne – denn regulatorische T-Zellen allein, die nur die fehlgeleitete Immunreaktion gegen ein einzelnes Protein hemmen, wären dazu nicht ausreichend.
Entsprechend beobachteten die Forscher, dass der Impfstoff-Kandidat verschiedene experimentelle Modellerkrankungen der rheumatoiden Arthritis in den untersuchten Mäusen effektiv eindämmen konnte, ohne dass relevante Nebenwirkungen auftraten.
„Mäuse und Menschen sind sich sehr ähnlich, was das COL2-Peptid und die Funktionsweise des MHCII-Moleküls angeht“, sagt Holmdahl. „Daher nehmen wir an, dass der Impfstoff bei Menschen ähnlich wirksam und sicher sein könnte wie bei Mäusen.“ Im nächsten Schritt wollen die Wissenschaftler klinische Phase-I-Studien durchführen, in denen zunächst die Sicherheit und dann die Wirksamkeit des Impfstoffs bei Menschen getestet werden sollen. Die Studien sollen in Deutschland in Zusammenarbeit mit der neu gegründeten Firma AidCure – einer Ausgründung aus dem Fraunhofer-Institut für Translationale Medizin und Pharmakologie – auf Basis der bisherigen Forschungsarbeiten durchgeführt werden. Ein Grund für die Ausgründung sind die hohen Investitionskosten für diese Art von Forschung. Fördergelder kamen in der Vergangenheit unter anderem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Gründungsoffensive Biotechnologie (GO-Bio).
„In weiteren Schritten wollen wir den Impfstoff bei Patienten mit rheumatoider Arthritis testen, um herauszufinden, ob er das Fortschreiten der Erkrankung aufhalten kann“, berichtet Holmdahl. „Und das letztendliche Ziel wäre, den Impfstoff möglichst frühzeitig bei Menschen mit hohem Erkrankungsrisiko einzusetzen, um den Ausbruch der Erkrankung zu verhindern.“ So ist aus Studien bekannt, dass Menschen mit RA-assoziierten genetischen MHCII-Varianten, dem Risikofaktor Rauchen und bestimmten Autoantikörpern ein 50-prozentiges Risiko haben, in den kommenden drei Jahren an rheumatoider Arthritis zu erkranken. „Ob man eine vorbeugende Impfung durchführen würde, hängt natürlich stark von der Sicherheit und Verträglichkeit des Impfstoffs ab“, betont Burkhardt. „Diese schätzen wir jedoch als hoch ein.“
Der konkrete Impfstoff-Kandidat wäre nur für Menschen mit einem bestimmten Genotyp des MHCII-Moleküls wirksam und sicher. „Das Vorkommen dieser Genvariante ist in verschiedenen Ethnien unterschiedlich verteilt mit einem häufigeren Vorkommen in bis 50 % der RA-Patienten in Europa und Nordamerika während in Asien und Afrika andere Varianten stärker mit der rheumatoiden Arthritis assoziiert sind, sodass für die Anwendung des Therapieansatzes in diesen Regionen eine Impfstoffanpassung an den dominanten Genotyp im Sinne einer personalisierten Medizin notwendig und prinzipiell möglich wäre“, erläutert Burkhardt. „Für andere Betroffene müsste dann ein abgewandelter Impfstoff entwickelt werden – es handelt sich also um eine Form der personalisierten Medizin.“ Vor Gabe des Impfstoffs müsste mithilfe eines entsprechenden Bluttests bestimmt werden, welches MHCII-Molekül die jeweilige Person besitzt. Dies lasse sich jedoch zweifelsfrei bestimmen, so der Experte.
Unklar ist bisher, wie lange der schützende Effekt des Impfstoffs anhalten könnte. „Wir gehen jedoch davon aus, dass eine einmalige Impfung wahrscheinlich nicht unbegrenzt vor rheumatoider Arthritis schützt und die Impfung in gewissen Abständen wiederholt werden muss“, sagt Burkhardt. Im Mausmodell wurde gezeigt, dass die Wirkung übertragener T-Zellen aus behandelten Tieren die Empfänger-Tiere mindestens 50 Tage vor der Auslösung einer rheumatoiden Arthritis schützt. Auch bei einer Therapie der RA, bei der die B-Lymphozyten unterdrückt wurden, wurden in Studien nach einmaliger Gabe längerfristige entzündungshemmende Wirkungen beobachtet. Diese hielten individuell unterschiedlich lang an. „Diese klinischen Beobachtungen deuten darauf hin, dass die Schutzwirkung des neu entwickelten Impfstoff-Kandidaten individuell sehr unterschiedlich sein könnte. In einzelnen Fällen könnte auch eine vollständige Heilung möglich sein“, erläutert der Wissenschaftler. „All das muss aber zunächst in Studien untersucht werden.“
Abgesehen von einer Impfung gegen rheumatoide Arthritis könnten die Forschungsarbeiten auch als Modell für die Entwicklung von Impfstoffen gegen andere Autoimmunerkrankungen dienen. „Die aktuelle Publikation ist die Quintessenz aus unseren langjährigen gemeinsamen Forschungsarbeiten, in die viele Detailstudien eingeflossen sind“, fasst Burkhardt zusammen. „Daher gibt das Paper einen guten Überblick über die Wirkprinzipien des Impfstoff-Kandidaten, aus denen sich weitere Anwendungsmöglichkeiten ableiten lassen.“ Allerdings müssten für einen wirksamen und sicheren Impfstoff jeweils eine Reihe von Voraussetzungen erfüllt sein – etwa, dass das Peptid spezifische T-Zellen aktivieren kann und dass das Prinzip der Bystander-Suppression erfüllt ist. „Dazu sind weitere, umfassende Forschungsarbeiten notwendig“, sagt der Forscher. „Und natürlich eine Portion Glück, um geeignete peptidbasierte Wirkstoffkomplexe zu finden.“
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